**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 10. Dezember 2014; 14:06
**********************************************************

Glosse:

> Im Gartenzwergmodus

Der Arbeitsfetisch scheint unbezwingbar -- vor allem in der Sozialdemokratie

Im Juni 2014 reichten die Unabhängigen GewerkschafterInnen (UG) im Parlament
die BürgerInneninitiative für eine Arbeitszeitverkürzung ein. In der
BürgerInneninitiative wird unter anderem eine Verkürzung der täglichen
Normalarbeitszeit auf sieben Stunden sowie eine deutliche Verteuerung von
Überstunden gefordert. Vollkommen unüblich zum üblichen Prozedere wurde die
Petition im Rekordtempo beamtshandelt und entsorgt. Das sozialdemokratisch
geführte Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat zu
der BürgerInneninitiative Stellung bezogen - sie zeigt, wo die
Sozialdemokratie im Moment steht: Im Gartenzwerge-Modus.

Die Arbeit als Last ...

Auf Parteitagen und zu Festtagen stimmt die SPÖ gerne das "Lied der Arbeit"
an. Es ist die Hymne der österreichischen Sozialdemokratie. Darin wird die
Arbeit als "hohe Braut" betitelt, die dem Menschen angetraut sei. Abgesehen
von den gar seltsamen Beziehungsvorstellungen der Sozialdemokratie, wusste
selbst die Sozialdemokratie in vergangener Zeit es noch besser.

In der vorletzten Strophe im "Bundeslied für den Allgemeinen deutschen
Arbeiterverein", also der Hymne für die erste - damals schon eher als
konformistisch geltende - deutsche ArbeiterInnenpartei, heißt es:

Deiner Dränger Schaar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke lehnst den Pflug,
Wenn du rufst: Es ist genug!

Aber mehr als ein Jahrhundert ist vergangen und die Sozialdemokratie hat
sich mit der Arbeit nicht nur angefreundet, sondern sogar vermählt. Die
Losung, dass die Arbeit edel sei oder sogar adelt, wurde mit dem Siegeszug
des Kapitalismus und der Industrialisierung der Arbeit fest in den Köpfen
einzementiert.

Davor war Arbeit etwas zu verfluchendes. Die Vorstellung, dass Arbeit adeln
würde und ein hohes Gut sei, mag daran liegen, dass Arbeit heute in hohem
Maße identitätsstiftend ist. "Arbeit" zu haben lässt einen jedenfalls besser
dastehen, als keine zu haben, arbeitslos zu sein. Wer noch dazu eine "gute"
Arbeit hat, hat überhaupt das große Los gezogen. In After-work-Parties oder
ganz locker im Beisl lässt es sich dann gut und gerne über das eigene
Glück - und der anderen Unglück - in der Arbeit philosophieren.

Und selbst jene, die über keine mit hohem Sozialstatus behaftete Arbeit
verfügen, haben immer noch die Arbeitslosen, die auf einem noch niedrigeren
Podest stehen. Arbeit hat deswegen eine so große Bedeutung, weil der Verlust
der Arbeit sozialen Abstieg bedeutet. Menschen ohne Arbeit werden zu
Ausgestoßenen. Zu Ausgestoßenen derjenigen, mit denen man noch kurz zuvor
auf After-work-Parties feierte oder mit denen man auf "Arbeitslose" und
andere "Sozialschmarotzer" schimpfte.

Es war ein Kardinalfehler schon der allerersten Gewerkschaftsinitiativen mit
den Unternehmern ein Bündnis für die Arbeit einzugehen. Durch die
moralische, fast schon religiöse Überbewertung der Arbeit durch die
Gewerkschaften, wurden die ArbeiterInnen abhängig von ihr. Es ist ein
leichtes geworden, ArbeiterInnen an der Maschine zu halten, wenn soziale
Ausgrenzung durch Arbeitslosigkeit droht.

"Arbeit adelt - jede Arbeit, und wenn es "Häuslputzen" ist, ist eine edle
Arbeit!" verkündete die ehemalige Bundesministerin für soziale Sicherheit,
Elisabeth Sickl (FPÖ), im österreichischen Parlament, in Anspielung auf die
von ihr geleisteten Renovierungsarbeiten in ihrem Schloss. Aber alle die
keine Schlösser besitzen, wissen es besser: Arbeit kann oft schrecklich
nerven, Arbeit ermüdet, Arbeit schwächt, Arbeit macht krank, ja Arbeit kann
töten, Arbeit zerstört, Arbeit demütigt.

Und: Arbeit hat in der Vergangenheit auch vernichtet. Arbeit ist nichts
erstrebenswertes schon gar nichts zu überhöhendes. Arbeit ist schlichtweg
eine Notwendigkeit in der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt
und sollte entsprechend auf ein absolutes Mindestmaß gekürzt werden. Auf ein
Mindestmaß gekürzt, um ausreichend Zeit für das Erstrebenswerte zu
ermöglichen, für Kunst, Kultur, Forschung, FreundInnen, Kinder, Hobbys, fürs
Faulenzen, für das Leben an sich.

... und ihre Partei

Heute würde die Sozialdemokratie den Pflug aus dem Lied wohl nicht mehr ins
Eck stellen, sondern eher noch einen zweiten Pflug kaufen, um die Menschheit
mit noch mehr Arbeit zu beglücken. Warum sonst findet das sozialdemokratisch
geführte Arbeits- und Sozialministerium in seiner Stellungnahme jede Menge
Gründe, warum Arbeitszeitverkürzung zwar irgendwann sehr schön wäre, aber
das im Moment gerade wirklich - leider - total unpassend wäre und einfach
überhaupt nicht geht? Mitten in der Krise, wo die radikalste Form von
"Arbeitszeitverkürzung" verbunden mit ökonomischem und sozialem Elend -
nämlich Arbeitslosigkeit - immer mehr Menschen trifft?

Die Stellungnahme beginnt mit dem Eingeständnis einer Niederlage, dass
nämlich "ein voller Lohnausgleich (bei Senkung der Wochenarbeitszeit auf 35
Stunden, Anm.) jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht durchsetzbar" wäre.
Vierzig Jahre nach der Einführung der 40-Wochenstunden-Arbeitszeit,
Jahrzehnte in denen eine beispiellose Arbeitsverdichtung stattgefunden hat,
in denen die neoliberale Ideologie wütete und wo die Arbeitsrechte immer
mehr ausgehöhlt wurden. Und Bundesminister Hundstorfer, immerhin nicht nur
Minister für Arbeit und Soziales, sondern auch ehemaliger Präsident des ÖGB,
gesteht die Niederlage der Sozialdemokratie und deren Ziele lapidar in einer
Stellungnahme zu einer BürgerInneninitiative ein.

Dem noch nicht genug, agiert hier das Sozialministerium scheinbar völlig
eingeschüchtert vor der Wirtschaft beziehungsweise dem Koalitionspartner,
der selbsternannten Wirtschaftspartei ÖVP. Arbeitszeitregelungen auf
kollektivvertraglicher Ebene habe den Vorteil, so das Ministerium, "dass sie
besondere Bedürfnisse und Gegebenheiten der einzelnen Branchen
berücksichtigen können".

Aber was meint das Sozialministerium damit? Der Handels-Kollektivvertrag
erlaubt etwa Arbeitszeiten weit über vierzig Stunden bei entsprechenden
Durchrechnungszeiträumen. Wenn also über einen gewissen Zeitraum im
Durchschnitt die wöchentliche Arbeitszeit vierzig Stunden nicht übersteigt,
ist eine kurzfristige Ausweitung der wöchentlichen Arbeitszeit über vierzig
Stunden erlaubt. Werden hier die besonderen Bedürfnisse und Gegebenheiten
der ArbeitnehmerInnen berücksichtigt oder doch nur überwiegend jene der
Unternehmen? Wessen Bedürfnisse stehen wo in der Klassen-Bedürfnispyramide?

Ebenso erteilt das Sozialministerium "progressiv steigenden
Beitragszuschlägen" für Überstunden eine Absage. Ziel einer solchen Maßnahme
wäre es, Überstunden teuer zu machen. Jetzt schon ist Österreich
Spitzenreiter in Sachen Arbeitszeit in der EU, nur noch im thatcherisierten
Großbritannien wird länger gearbeitet. Auch diese Begründung kann wohl nur
als Kniefall vor der ÖVP und deren Wirtschaftsbund interpretiert werden.
Eine derartige Änderung würde "eine Erhöhung der Lohnnebenkosten bedeuten",
so das Sozialministerium, "während im [...] Kapitel ,Wachstum und
Beschäftigung in Österreich' [...] eine ,Senkung der Lohnnebenkosten'
angestrebt wird." Totalniederlage.

Es geht auch anders

Während in Österreich die neoliberalen beziehungsweise marktradikalen
Parteien ÖVP, Neos, Team Stronach offen Arbeitszeitverlängerung fordern und
die SPÖ im Gartenzwerge-Modus verweilt, zeigen andere Länder, dass es auch
anders geht: nämlich in Richtung Arbeitszeitverkürzung.

In Schweden und Norwegen setzen viele Firmen, darunter Autohändler und
Molkereien, gerade den 6-Stunden-Arbeitstag um. Nicht nur die Zufriedenheit
der ArbeitnehmerInnen erhöhte sich, es gibt weniger Krankenstände und auch
die Produktivität der Unternehmen stieg. Und das Modell der
30-Stunden-Arbeitswoche findet nun Einzug auf kommunaler Ebene in Schwedens
zweitgrößter Stadt Göteborg. "Wir wollen, dass Göteborg dem Rest Schwedens
einen Fingerzeig darauf gibt, dass man den Arbeitstag auf sechs Stunden
verkürzen kann", sagt der Göteborger Kommunalpolitiker Mats Pilhem.

"Decent work (Gute Arbeit)" im "guten Leben"

Nicht Arbeit ist die Erfüllung des Lebens, nein, das genaue Gegenteil. Es
ist das Faulenzen, der Müßiggang - das "gute Leben". Das, was heute vielfach
als "unproduktiv" gilt. Die Zeit, die Dinge zu tun, die man gerne tun
möchte. Möglichst viel Freizeit zu haben - darin muss das eigentliche Ziel
liegen. Arbeit kann ein Teil der Erfüllung eines Lebens sein, aber nicht
Arbeit, wie sie vielfach heute verstanden wird. Arbeit dient heute
ausschließlich der Mehrwertproduktion, also dem Profit der ArbeitgeberInnen.
Arbeit ist völlig entkoppelt von dem, was sie eigentlich schafft. Ein
Unternehmen betreibt eine Bäckerei nicht, um Semmeln zu produzieren, sondern
weil es mit der Bäckerei Gewinn machen will. Semmeln sind somit nur das
Mittel, um den Mehrwert zu erzeugen.

Es geht nicht um das Produkt an sich, sondern es geht um den Mehrwert. Am
geschaffenen Mehrwert hängt der Lohn der ArbeiterInnen, die
Produktionskosten, der Profit der Bäckerei-BesitzerInnen und auch das
Produkt selbst - ohne Mehrwert, der durch die ArbeiterInnen erwirtschaftet
wird, gibt es keine Semmeln. In unserer Gesellschaft ist alles abhängig vom
erzielten Mehrwert, das Bedürfnis der Menschen, warum überhaupt eine
Bäckerei existiert, also der Wunsch nach Semmeln, ist in der heutigen Welt
nur zweitrangig.

Arbeitszeitverkürzung ist nur ein Weg diese Markt- und Kapitallogik
aufzubrechen, Zeit für uns zurückzuerobern, und Zeit, in der die
ArbeitgeberInnen über unsere Arbeitskraft verfügen können, zu reduzieren.
Der andere Weg ist die Demokratisierung der Wirtschaft, konkret: die
Demokratisierung der Betriebe selbst. Betriebe sind vielfach nach wie vor
Zonen autoritärer Herrschaft, mit EigentümerInnen, ManagerInnen und
GeschäftsführerInnen, die sich vielfach als Miniaturausgaben feudaler
Herrscher gebärden, mit entsprechendem Alleinherrschaftsanspruch über ihren
Bereich - das Unternehmen, den Betrieb, die Dienststelle.

Wir verbringen einen großen Teil unseres Lebens in einer autoritär
organisierten Arbeits- und Wirtschaftswelt, behaupten allerdings dennoch, in
einer "Demokratie" zu leben. Nun, es ist bestenfalls eine "halbe"
Demokratie. Ziel muss es sein, den ArbeiterInnen deutlich mehr
Mitentscheidungsrechte zu geben.

Es sind die ArbeitnehmerInnen, die Waren und Dienstleistungen produzieren.
Sie haben ein Recht darauf, demokratisch mitzubestimmen, wie produziert
werden soll und was mit dem erzielten Mehrwert passieren soll.
(Stefan Steindl in Alternative 12/2014)

Quelle: http://www.kiv.at/gartenzwergemodus



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
Blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
Facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
Mail: akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW