**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 10. Dezember 2014; 14:38
**********************************************************

Ö/Sozial:

> Fröhliche Bettlervertreibungszeit

Beispiele aus Wien und Salzburg
*

Weihnachten ist eine schöne Zeit! Und die darf man sich nicht vermiesen
lassen. Oder besser: Die darf man den Geschäftsleuten und den Konsumwilligen
nicht vermiesen. Deswegen macht die Polizei auch Streß, wenn man gegen ein
paar Burschenschafter im Wiener Rathauskeller protestieren möchte, weil ja
gleich daneben der Christkindlmarkt ist. Viel schlimmer aber fürs Geschäft
scheinen die Bettler zu sein -- die konsumgeilste Zeit im Jahr, wo noch das
Unnötigste an den Mann und die Frau verscherbelt werden soll und alle
Sozial-, Tierschutz- und Kirchenvereine ihre Schnorrbriefe losschicken, ist
natürlich schwerst in ihrer Besinnlichkeit gefährdet, wenn durch Bettler
Kaufkraft abgezogen und die so fröhliche Festzeit getrübt wird.

Da muß durchgegriffen werden. Wie üblich in vorderster Front die
Sozialdemokratie. Zwei Beispiele aus Wien und Salzburg seien hier erwähnt.
So zitiert der "Kurier" Walter Hillerer, den Leiter der Gruppe
Sofortmaßnahmen der Stadt Wien, der meint, weil die Bettler immer mehr
würden, sei "die Konkurrenz unter den Bettlern gestiegen." Und: "Die
Problematik hat sich in den vergangenen Jahren zugespitzt". Weiter berichtet
die Zeitung: "Um das Problem in den Griff zu bekommen, hat die Stadt
gemeinsam mit der Polizei Teams zusammengestellt, die während der
Vorweihnachtszeit auf Märkten, Einkaufsstraßen und in der U-Bahn unterwegs
sein werden". Die Ermittler seien in zivil gekleidet und hätten besondere
Verstärkung dabei, nämlich Polizei aus den Herkunftsländern der Bettler.
Zwei rumänische Polizisten werden im Advent mit ihren österreichischen
Kollegen unterwegs sein. Diese könnten auch gleich zuhause nachfragen, ob
gegen rumänische Angehaltene daheim etwas vorliege.

Und weiter heißt es im Bericht: "die Massenquartiere, in denen die Bettler
mitten in Wien hausten, sind mittlerweile Geschichte. 'Von fünf absoluten
Problemhäusern wurde eines bereits abgerissen, die vier anderen sind
bestandsfrei', sagt Hillerer. Trotzdem müssen diese Menschen irgendwo
schlafen, was sich bei winterlichen Temperaturen als schwierig erweist. 'Im
Sommer übernachten viele im Freien - auf der Donauinsel oder in Parks. Dort
sind wir auch regelmäßig auf Streife. Im Moment ist es aber zu kalt, um im
Freien zu schlafen.'"

Es scheint der Stadt Wien, also der Sozialdemokratie, ein wichtiges Anliegen
zu sein, Bettler nicht nur von der Straße zu vertreiben, sondern auch noch
aus ihren miesesten Übernachtungsmöglichkeiten. Der kleine Koalitionspartner
kann da offensichtlich nur zuschauen und leise Protest anmelden -- ohne die
mitverantwortliche SPÖ direkt anzugehen. Birgit Hebein, zuständig für
Soziales bei den Wiener Grünen: "'Expertenteams auf Tour' nennt man jetzt
die Vertreibungsaktionen, mit denen die Polizei in Zivil gegen
Armutsbetroffene vorgeht. Das Geld für diese teuren Einsätze hätte ich gerne
für SozialarbeiterInnen, die auf der Straße unterwegs sind, um BettlerInnen
muttersprachlich zu unterstützen". Und: "Die Grünen Wien sprechen sich gegen
Bettelverbote als völlig unadäquates Mittel aus, um gegen Armutsbetroffene
vorzugehen."

Salzburger Herbergssuche

Weniger Widerstand gegen solche Vertreibungsaktionen kommt von grüner Seite
in Salzburg. Das Gratisblatt "Salzburger Fenster" titelte: "Abriss des
Bettlercamps 'über Nacht' von rot-grünen Ressorts betrieben". Der Titel
schont dabei zwar die ÖVP, deren Vizebürgermeister, wie dem Text des
Artikels zu entnehmen ist, an dieser Aktion auch beteiligt war, doch ist der
Vorwurf an Rot und Grün nicht ganz falsch.

Im April dieses Jahres war als Zwischenlösung -- bis die Caritas die
entsprechenden Schlafplätze zur Verfügung stellen können würde -- eine
Gruppe von Roma am Stadtrand in Containern untergebracht worden. Doch im
November war man der Meinung, die Caritas wäre jetzt bereit für den Umzug
der Gruppe. Dass das aber in einer Hauruck-Aktion passieren mußte, zeugt
sehr davon, dass man dafür keine große Öffentlichkeit wollte. Zitat aus dem
Bericht: "Eine tragende Rolle spielten dabei das Grundamt im Ressort von
Bürgermeister Heinz Schaden [Anm. akin: SPÖ] und das Baurechtsamt unter der
Führung von Stadtrat Johann Padutsch [Grüne]. Sie vollzogen die von
Sozialreferentin Anja Hagenauer [SPÖ] angekündigte Räumung des
Wohn-Containers in einer Nacht- und Nebelaktion, wie interne Protokolle
belegen. Zunächst beauftragte man das Ordnungsamt (ÖVP-Ressort Harald
Preuner), in der Nacht auf den 18. November die 'rund 45 Bewohner' mit Hilfe
einer Dolmetscherin über die bevorstehende Räumung zu informieren: Es gebe
nun die neue Caritas-Notschlafstelle [...]; die Rumänen, darunter auch
Kinder, hätten den Container um 7 Uhr zu verlassen und ihre 'Fahrnisse
mitzunehmen'." Mitten in der Nacht hätten die Bewohner umsiedeln müssen, die
einzige Hilfestellung der Beamten wäre das Aushändigen eines Stadtplans und
einer Bettlerfibel gewesen, so der Bericht. Dass die Betroffenen nicht alles
mitnehmen konnten, war da klar. Was geschah mit dem Rest? "Die
Habseligkeiten der 'Bewohner' legte man in Bündeln auf große Planen im Regen
ins Freie."

Allerdings ist die Notschlafstelle der Caritas nur ein Schlafplatz für 14
Tage. Das berichtet der 'Standard': "Die Armutsmigranten werden von
Caritas-Mitarbeitern registriert, nach zwei Wochen müssen sie das in einem
Abbruchhaus im Stadtteil Lehen eingerichtete Notquartier verlassen. Und auch
die Lebensdauer der 'Arche Nord', wie die Behelfsbleibe heißt, ist begrenzt.
Ende März muss die Caritas das von der Stadt bereitgestellte Haus wieder
verlassen. Es wird abgerissen."

Einen Ersatz für das vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene totale
Salzburger Bettelverbot gibt es derzeit noch nicht -- das
Landessicherheitsgesetz verbietet derzeit nur aggressives Betteln und für
eine von der ÖVP gewünschte kommunale Verschärfung in Salzburg-Stadt ist
eine Mehrheit im Salzburger Gemeinderat derzeit nicht zu haben. Aber jene
Roma-Gruppe, die jetzt umgesiedelt worden ist, dürfte mittlerweile wieder
auf der Straße stehen -- auch über Nacht. Hofft man, daß die Kälte jetzt das
Problem elegant erledigt?
*Bernhard Redl*

*

Links und Hinweise:

http://kurier.at/chronik/wien/bettler-planquadrate-in-u-bahn-und-auf-adventmaerkten/100.742.363
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20141205_OTS0143 (Aussendung B.Hebein)
http://www.salzburger-fenster.at/abriss_des_bettlercamps_ueber_nacht_von_rot_gruenen_ressorts_betrieben_art7838/
http://derstandard.at/2000008265435/Bettler-in-Salzburg-Unterschlupf-im-Abbruchhaus

Das nächste Rechtshilfetreffen der Bettellobby findet am 15.12. um 19 Uhr im
Amerlinghaus (1070, Stiftgasse 8) statt. Der nächste Termin ist am
19.1.2015. Eingeladen sind BettlerInnen und UnterstützerInnen; die Beratung
ist auch auf Bulgarisch und Rumänisch möglich.
https://bettellobbywien.wordpress.com/



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
Blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
Facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
Mail: akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW