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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. November 2014; 09:04
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Kommentierte Presseschau (1):
> Schlimmer als gnadenlos
"Jeder dritte Jurastudent, so eine neue Studie, ist für die Wiedereinführung
der Todesstrafe. Und jeder zweite meint, die Anwendung von Folter sei unter
bestimmten Voraussetzungen durchaus gerechtfertigt, zum Beispiel zur Rettung
eines Menschenlebens oder zur Verhinderung eines Terroranschlags.
Ausgerechnet jene, die eines nicht allzu fernen Tages unser Recht auslegen,
anwenden und verteidigen sollen, stellen derart fundamentale Prinzipien wie
das ausnahmslose Verbot von Todesstrafe und Folter in Frage", schreibt
Martin Klingst in der "Zeit". Die zitierte Umfrage stammt aus Deutschland
und beruht auf Daten nur von den Unis in Erlangen und Konstanz. Allerdings
wird sie vom Erlanger Strafrechtsprofessors Franz Streng seit 1989 unter
Erst- und Zweitsemestern durchgeführt und seither ist die Zustimmung zu
Todesstrafe und Folter stark angestiegen.
Über diese zukünftigen Juristen meint Klingst daher: "Sie dürften im Grunde
niemals Richter, Staatsanwalt oder Kriminalkommissar werden. Sie sind nicht
nur, wie einige warnen, die neue Generation der 'Richter Gnadenlos'. Sie
sind Verfassungsfeinde."
Wahrscheinlich wird das nicht so heiß gegessen wie gekocht. Ein
Erstsemestriger hat noch einen weiten Weg bis zum Richter und die Hoffnung
auf Mentalitätsänderung besteht da noch -- genauso wie darauf, daß auch ein
reaktionärer Richter sich so korrekt verhalten kann, daß er sich gegen seine
Überzeugung an Gesetz und Judikatur orientiert. Dennoch ist alleine die
Vorstellung, vor einem Richter zu stehen, dessen Vorstellungen zumindest in
der Jugendzeit von einer solchen Haltung geprägt waren und es vielleicht
immer noch sind, eher gruselig. Und es ist ja auch in Österreich nicht so,
daß einem nur selten Richter, Staatsanwälte oder Polizeijuristen begegnen,
deren Verhalten auf solche politische Überzeugungen schließen lassen könnte.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-10/todesstrafe-juristen-studie-deutschland
Kurz: http://tinyurl.com/akin24jus
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> Sächsischer Kompromiß mit Demo-Pfarrer
Apropos seltsame deutsche Justiz. Im diesbezüglich eher berüchtigten Sachsen
wurde am 11.November ein Verfahren eingestellt, daß über die Landesgrenzen
hinweg für Aufsehen gesorgt hatte. Auch darüber berichtet die "Zeit". Dem
Jenaer Jugendpfarrer Lothar König war vorgeworfen worden, er habe auf einer
Anti-Nazi-Demo 2011 in Dresden zur Gewalt aufgerufen. Von Anfang an erschien
auch der liberal-bürgerlichen Presse dieses Verfahren einfach nur
lächerlich. Die Beweislage war äußerst dürftig und Mitte 2013 tauchte
plötzlich polizeiliches Videomaterial auf, daß König vielleicht auch
entlasten hätte können. Damals war der Prozeß ausgesetzt worden, eine
jetzige Fortsetzung wollten aber weder Staatsanwaltschaft noch der
Beschuldigte. Gegen eine Zahlung von 3000 Euro durch den Pfarrer zugunsten
des Fiskus und der Evangelischen Kirche wurde das Verfahren nun eingestellt.
Die Verteidigung ließ dazu Folgendes verlauten: "Motiv für die Zustimmung
des Angeklagten ist, daß er aufgrund christlicher Überzeugung nach der
langen Phase des Haders und des Streits, unter der nach seiner Wahrnehmung
nicht nur er gelitten hat, einen Beitrag zum Rechtsfrieden leisten will.
Jurisdiktion ist Menschenwerk, das fehlsam ist. Der Angeklagte läßt sich bei
seiner Entscheidung von seinem umfassenden seelsorgerischen Auftrag leiten,
mit dem er sein gesamtes Leben verbindet."
Man könnte auch sagen, der Pfarrer wurde durch einen ewig in die Länge
gezogenen Prozeß zu einer ungerechtfertigten Buße gedrängt -- wohl wissend,
daß eine Verurteilung weder juristisch noch politisch irgendwie zu
rechtfertigen gewesen wäre. Damit zog sich sich die Staatsanwaltschaft
geschickt aus dieser Affaire. Wie sehr Justiz und die mittlerweile
sprichwörtliche "sächsische Demokratie" unter Druck war, machte schon ein
Zeit-Kommentar von 2013 klar: "Sachsens Regierung ist es ja durchaus
gewohnt, große Mehrheiten hinter sich zu sammeln. Im Falle König ist es ihr
dagegen gelungen, einen mächtigen Gegner zu schaffen. Pfarrer König kannte
vorher kaum jemand jenseits von Jena. Dann wurde er zur Ikone für alle, die
sagen, der Freistaat drangsaliere die Gegner von Neonazis - statt sich der
Nazis selbst anzunehmen. Nun aber ist König nicht mehr allein ein Held der
Linken, er ist ein Held in allen Medien. War es Hybris oder Unbedarftheit,
sich als Feind ausgerechnet diesen König zu erwählen; einen Herrn, der gar
nicht besiegbar ist? Einen Mann der Kirche, zum Symbol geboren. Es war doch
klar, welches Bild das gibt: die Staatsmacht gegen den Pfarrer! Die
Staatsmacht dort, wo die Neonazis wüten, gegen einen Pfarrer, der gegen
Neonazis wütet! Wie hätte dieser Kampf, ganz ernsthaft, in einem Sieg für
die Staatsmacht enden können?"
Die Einstellung des Verfahrens gegen eine Bußzahlung rettete somit die
Justiz Sachsens vor einem aufgelegten vollkommenen Desaster. Sie verdankt
ihre moralische Teilrettung der Genervtheit und irgendwo auch der
christlichen Nächstenliebe jenes Pfarrers, den sie so gerne hätte verknacken
wollen.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-11/lothar-koenig-prozess-staatsanwaltschaft-dresden-eingestellt
Kurz: http://tinyurl.com/akin25koenig1
http://www.zeit.de/2013/28/lothar-koenig-prozess-ausgesetzt
Kurz: http://tinyurl.com/akin25koenig2
http://test.jg-stadtmitte.de/soligruppe/wp-content/uploads/2014/11/14-11-10-AG-Presseerkl%C3%A4rung.pdf
Kurz: http://tinyurl.com/akin25koenig3
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> PKK immer noch böse
Und noch einmal deutsche Justiz. Das "Neue Deutschland" berichtet am 8.11.
über die Aufhebung der Immunität der linken Bundestagsabgeordneten Nicole
Gohlke. Diese "hatte Mitte Oktober auf einer Solidaritätsdemonstration unter
anderem gegen das immer noch geltende Verbot der PKK gesprochen und die
Bundesregierung aufgefordert, 'Symbole wie diese hier nicht länger zu
kriminalisieren, denn unter dieser Fahne wird in diesen Minuten ein Kampf
für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie geführt'. Dabei hielt Gohlke
eine PKK-Fahne hoch und wurde kurz darauf von Polizei und Staatsschutz in
Gewahrsam genommen. 'Für die weitere Ermittlung wurde gestern nun der Weg
frei gemacht durch die Aufhebung der Immunität', so Gohlke ...".
In der momentanen politische Situation, wo sich die westlichen Staaten
schwer tun, zu sagen kann, wer denn die Guten und wer die Bösen sind, ist
dieses Verfahren von hoher Brisanz. Generell stellt sich damit die Frage,
wie weit ein Staat das Recht haben kann, seinen Bürgern vorzuschreiben,
welche Gruppierungen im Ausland sie als "Terroristen" und welche sie als
legitime "Befreiungskämpfer" betrachten dürfen.
Und im speziellen Fall der PKK ist das ganz besonders heikel. ND: "Die
aktuellen Geschehnisse im Nordirak und die dramatischen Wochen, die die
Stadt Kobane im Kampf gegen die IS-Banden erlebe, 'offenbaren jeden Tag aufs
Neue die Doppelzüngigkeit und das heuchlerische Verhalten der
Bundesregierung gegenüber den Kämpfenden in Kobane und den Menschen in der
Region Rojava', sagte Gohlke." Deren Parteivorsitzende Katja Kipping verwies
darauf, "dass selbst Unionspolitiker eine Unterstützung der PKK im Kampf
gegen den Islamischen Staat nicht ausgeschlossen" hatten.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/951739.wegen-pkk-fahne-linkenabgeordnete-verliert-immunitaet.html
Kurz: http://tinyurl.com/akin25nd
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> Industrielle wollen sich entfesseln
In Österreich ist die Welt hingegen wieder in Ordnung. Da kennt man sich
jetzt wieder aus. In den letzten Jahren war ja die Industriellenvereinigung
eher darum bemüht, in der Öffentlichkeit eher ein sozialpartnerschaftliches
Image aufzubauen. Damit ist jetzt offensichtlich Schluß, den IV-Präsident
Georg Kapsch zeigt wieder die klassische Kapitalistenfratze, die wir schon
so vermißt hatten. Jetzt wissen wir wieder, wo wir daheim sind, wenn Kapsch
im Klub der Wirtschaftspublizisten meint: "Es schadet keinem Menschen, wenn
er dann und wann zwölf Stunden arbeitet". Natürlich nicht immer, so Kapsch,
und mit entsprechendem Zeitausgleich. Jedoch würde eine solche
Flexibilisierung der Arbeitszeit die Abarbeitung von Auftragsspitzen
deutlich vereinfachen. Denn, so zitiert ihn "Die Presse", während in anderen
Weltgegenden der Hunger nach einer wirtschaftlichen Verbesserung groß sei,
machten sich in Europa Saturiertheit und Besitzstandswahrung breit.
Ja, schon blöd, wenn erkämpfte Arbeitsrechte nicht so einfach aufgegeben
werden. Die Besitzstandwahrung des Großkapitals hingegen ist Kapsch nicht
zuwider. Und eine Veränderung bei der Staatsholding möchte er natürlich auch
nicht: "Es muss gewährleistet sein, dass im Aufsichtsrat der ÖIAG keine
Politiker oder Vertreter von Kammern oder Verbänden sitzen. Die ÖIAG soll
kein Sozialpartner-Stelldichein werden".
Nur zu verständlich, die könnten ja den Managern, die ansonsten keinerlei
demokratischer Kontrolle mehr unterliegen, auf die Finger klopfen...
Nur zur Erinnerung: Im Wahlkampf 2013 meinte Eva Glawischnig zu jenem Herrn
Kapsch in einem Kurier-Doppelinterview, sie finde "es einfach sehr
hilfreich, sich über Sichtweisen austauschen zu können." Und: "Wir sind doch
beide an der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung in Österreich
interessiert und dazu ist ein Dialog zwischen Industriellenvereinigung und
Grünen wichtig." Fragt sich nur, wer da wem mehr zuhört, bei diesem
"Dialog".
http://diepresse.com/home/4586556
http://kurier.at/politik/inland/wahl2013/25.702.738
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Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die Berichte auf die
Online-Ausgaben
der zitierten Medien. Zeitungsleser: -br-
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