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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. November 2014; 09:33
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Glosse:

> Was ist ein Staat?

Und darf das IS-Kalifat einer sein?

Mit dem Auftauchen des Islamischen Staats auf der politischen Bühne hat
niemand gerechnet. Plötzlich gibt es da einen neuen und sehr aggressiven
Player, der sich nicht an die Spielregeln hält und den niemand zum
Mitspielen eingeladen hat. Der IS, den ich jetzt absichtlich nicht unter
Anführungszeichen gestellt habe, taucht in den Medien üblicherweise als
"Terrorgruppe" oder "Terrormiliz" auf -- die vom Kalifat selbst beanspruchte
Definition als Staat wird in der "Internationalen Gemeinschaft" geradezu als
obszön angesehen. Warum eigentlich?

Bislang ist bezüglich des Kalifats eines klar, nämlich daß nichts klar
ist -- außer daß diese neue Institution eine ausgesprochen aggressive ist.
Ansonsten sind die Informationen nicht so geartet, daß man da wirklich von
Informationen reden kann, sondern eher von Einschätzungen, Meinungen oder
schlicht Propaganda von verschiedenen Seiten. Laut kurdischen Quellen ist
die Macht des IS weitaus größer als bisher angenommen. Statt 30.000 Soldaten
soll der IS mittlerweile 200.000 Mann unter Waffen haben -- gut trainiert,
gut bezahlt und gut bewaffnet. Das von ihnen kontrollierte Gebiet soll schon
von der Größe Großbritanniens sein, mutmaßen diese Quellen -- also wenn
schon derlei Basisinformationen so unsicher sind, was ist dann wirklich noch
zu glauben?

De facto und de jure

Trotzdem sind sich alle sicher, daß das kein Staat ist -- obwohl er nach der
klassischen Definition (Land, beherrschtes Volk, Souveränität) bei aller
Unsicherheit schon so etwas sein dürfte. Vom Aufbau eines Rechtssytems ist
auszugehen -- die Scharia läßt sich ohne Mühe für die neuen
Machtverhältnisse adaptieren. Auch ein Sozialsystem dürfte im Entstehen
sein -- zumindest für die Familien der getöten Soldaten.

Daß diesen Staat niemand anerkennen will, ist eine politische Entscheidung
und ändert nichts an seiner inneren Verfaßtheit. Sollte er sich weiter
stabilisieren, wird man mit diesem Nichtstaat respektive seinen
Nichtvertretern irgendwann in Verhandlungen treten müssen. Auch die BRD hat
die DDR nie anerkannt, aber man hat schon früh eingesehen, daß da jemand
einen Grenzzaun aufgestellt hat und in Bonn niemand etwas befehlen kann, was
dann in Leipzig umgesetzt wird. Die normative Kraft des Faktischen machte
die DDR zum Verhandlungspartner, auch wenn man das formal-protokollarisch
nie zugab. Bekanntermaßen setzte die Bild-Zeitung die DDR damals genauso
unter Anführungszeichen wie heute der IS in den Massenmedien oft nur mit
Apostrophen firmiert. 'Wos a Staat is, bestimm i' scheint das Motto der
Medien, aber vor allem der Gemeinschaft derjenigen Verwaltungsapparate zu
sein, die sich wechselseitig die Staatlichkeit anerkannt haben.

Geld und Glauben

Dabei setzt der IS in seiner bekannt dezenten Art das nächste Zeichen der
Staatlichkeit mit der Ankündigung, eine eigene Währung einführen zu wollen.
Von westlichen Kommentatoren wurde das auch prompt eher belächelt. Denn
erstens müßte der IS zuerst einmal für seine metallgebundene Währung große
Mengen Gold und Silber auftreiben und zweitens wäre diese Währung höchst
instabil, weil nicht durch einen stabilen Rechtsstaat abgesichert sondern
nur durch den Metallwert, der aber auf den internationalen Märkten stark
schwankt. Außerdem wäre eine Metallwährung ein Zeichen der Schwäche, weil
der IS damit andeutet, daß er sich als Staat nicht so schnell stabilisieren
würde, daß man einem staatlich garantiertem Vertrauensgeld auch wirklich
Vertrauen schenken könnte.

Auch hier werden aber falsche Maßstäbe angesetzt -- man könnte auch sagen,
Dollar und Euro sind hochvolatile Währungen gegenüber Gold und Silber. Und
genau so wird man es nicht nur im IS definieren sondern vielleicht auch im
arabischen Raum über weite Strecken glauben. Tatsächlich hätte ein reines
Vertrauensgeld (ich versuche hier absichtlich den leider übel besetzten
Begriff "Fiat Money" zu umgehen) des IS kaum eine Chance im internationalen
Handel -- als Binnenwährung in einem repressiven System wäre das allerdings
weniger ein Problem. Durch die Einführung einer Metallwährung würde der IS
sich allerdings auf der Symbolebene stabilisieren. Seht her, heißt das,
unser Geld hat einen realen Nutzwert -- damit ein Fetzen Papier etwas wert
ist, müßt ihr ganz fest daran glauben. Wir aber geben euch für eure Waren
und eure Arbeit einen Wert in die Hand, der ein realer ist.

Das ist aber eine völlige Umkehr der ideologischen Situation: Ausgerechnet
ein religiös definierter Staat gibt Geld aus, an das man nicht glauben muß,
während der säkulare Kapitalismus nur durch einen starken Glauben an den
Wert seines Geldes funktioniert.

Aber ist dieser Staat, der ja angeblich keiner ist, überhaupt religiös
definiert, wie immer behauptet wird? Nun, da sind wir wieder bei den
Einschätzungen, denn nicht einmal die Bedeutung der Religion im Islamischen
Staat ist völlig geklärt, schließlich kämpfen auch genügend Militärs beim
IS, die sich früher einmal als baathistisch verstanden hatten. Das mag zwar
in vielen Fällen ein Lippenbekenntnis zur irakischen Staatspartei zum Zwecke
der Karriereförderung gewesen sein, aber daß die alle plötzlich Salafisten
geworden sein sollen, ist eher unwahrscheinlich. Tatsächlich haben
Salafisten und Baathisten aber etwas gemeinsam: Die Abneigung gegen das
westlich-kapitalistische Gesellschaftsmodell. Hier treffen sich nämlich die
noch die aus den Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg herkommenden
Vorstellungen der Baathisten vom Arabischen Sozialismus mit dem islamischen
Zinsverbot -- und das paßt wieder hervorragend zu einer Metallwährung, die
zwar Wertschwankungen kennt, aber üblicherweise keine stete Inflation. Damit
wären wir bei einem Wirtschaftsmodell, das keinen Wachstumszwang hat, aber
in dem natürlich auch kaum Kredite vergeben werden. Was wiederum eher zu
einem zum Feudalismus tendierenden Wirtschaftssystem passen würde (übrigens
auch zum Antisemitismus, aber das ist eine andere Geschichte). Fällt jemand
etwas auf? Ich höre schon unsere wutbürgerlichen Banal-Geldkritiker, die da
plötzlich etwas Sympathisches am IS entdecken könnten.

Was hier also passiert, ist (sofern der IS wirklich an soviel Edelmetalle
kommt, was aber angesichts seiner Wirtschaftsmacht nicht unmöglich
erscheint) das Entstehen eines Staates mit einem alternativen
Wirtschaftsmodell. Es entsteht auch ökonomisch ein Staat in der
Frontalstellung zu so ziemlich allen bislang existierenden Staaten. Daß noch
kein stabiles Verwaltungssystem etabliert ist, hängt mit der Kriegssituation
zusammen. Aber so stabil wie derzeit Syrien oder der Irak ist der IS
mittlerweile schon. Syrien und Irak gesteht man aber noch immer die
Staatlichkeit zu, obwohl deren Regierungen längst die Kontrolle über weite
Teile ihrer Gebiete verloren haben.

Der Staat kommt aus den Gewehrläufen

Daß der IS nicht als Staat betrachtet werden darf, hat mehrere Gründe. Zum
einen würde eine solche Titulierung bedeuten, daß man die Irrsinnstaten der
Salafisten in gewisser Hinsicht als staatlich legitimiert ansehen könnte --
und andere Staaten delegitimieren würde. Plötzlich wären die IS-Soldaten
reguläre Kombattanten und der Terror wäre Staatsterror, den man nicht mehr
in eine Reihe mit Al Quaida und Co. stellen könnte. Weiters würde man eben
auch die eigene Fratze im Spiegel sehen, denn die kolonialen Kriege in
diesem Raum haben ja erst die Grundlage für die Attraktivität der IS
geschaffen. Der Begriff des Staatlichen wird durch das Kalifat zu einer
erschreckenden Kenntlichkeit gebracht.

Und das darf nicht sein: Was, der IS will wirklich ein Staat sein? Wir sind
Staaten und wir führen Kriege und unsere Kriege sind gut und gerecht und
rechtskonform, aber diese Pappenheimer, das sind ja nur Terroristen. Das ist
ja mit unserer Rechtsstaatlichkeit nicht zu vergleichen!

Das sagen unsere Herren. Aber was hat das mit der Realität zu tun?

Es geht hier nicht darum, dieses neue Feudalsystem eines Öl- und
Soldatenadels aufzuwerten und auch nicht um eine formelle Anerkennung als
Staat. Doch es muß darum gehen, zu wissen, womit man es zu tun hat. Noch
herrscht die Vorstellung, daß man diese Organisation als einen Haufen
Verrückter abtun kann, die man mittels Beseitigung ihrer Anführer so schnell
wieder in die Bedeutungslosigkeit schicken kann, wie sie aufgetaucht ist.
Doch ein Staat ist ein Apparat, der nicht ausschließlich auf charismatischen
Führern beruht, sondern eindeutig definierte Führungsposten aufweist -- ob
der Regierungschef nun den Titel Präsident, Premier, König oder Kalif trägt,
ist dabei egal. Einen Regierungschef kann man zwar per Drohne beseitigen,
aber nicht den Titel und nicht die Struktur. Darüber muß man sich im Klaren
sein.

Staaten lassen morden -- manche zu bestimmten Zeiten mehr, manche weniger.
Alle unterhalten aber Soldaten. Diese sind die eigentlichen Garanten der
Staatlichkeit. Das gilt für die Staaten der "Internationalen Gemeinschaft"
genauso wie für den IS. Aber darüber will man lieber nicht nachdenken.
*Bernhard Redl*



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