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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. Oktober 2014; 16:52
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Israel/Palästina:

"Zieht weg von hier, bevor es zu spät ist!"

Die israelischen Gesellschaft driftet nach rechts, meint der
Friedensaktivist Michel Warschawski (1). Referat, gehalten in Graz am 17.
Oktober; aus dem Französischen von Johann Schögler.
*


Der Zionismus - entstanden am Ende des 19.Jahrhunderts - ist eine Bewegung,
die darauf abzielt, in Palästina einen jüdischen Staat durch die
Kolonialisierung des Territoriums und die Vertreibung der einheimischen
Bevölkerung zu schaffen.

Nach drei Jahrzehnten eines Konfliktes auf niedrigem Niveau zwischen der
jüdischen Kolonialbewegung und der arabischen Bevölkerung, beschließt die
UNO im Jahre 1947 Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat
aufzuteilen. Der arabische Staat hat nie das Licht der Welt erblickt. Die
Schaffung des israelischen Staates ermöglichte es, das Land der Vertriebenen
bzw. in arabische Länder Geflohenen zu vereinnahmen und es wird zum Eigentum
der jüdischen Landwirtschaftssiedler. Die in Israel verbliebene
palästinensische Minderheit wird Opfer eines internen Kolonialismus, der aus
Enteignungen, struktureller Diskriminierung und Unterdrückung besteht.

Der Krieg von 1967 eröffnet eine dritte Phase der Kolonialisierung mit der
Beschlagnahmung von 67% der Westjordanlandes, der Enteignung von Ländereien
und Wasserquellen und dem Bau von mehreren hundert Kolonial-Siedlungen
(Dörfer, aber auch Städte) in denen heute - das von Israel annektierte
Westjordanland und Jerusalem Ost mit eingeschlossen - 600 000 bis 700 000
jüdische Kolonialisten leben.

Die Kontrolle über die arabischen Ländereien und die andauernde
systematische Ausweitung der Grenzen Israels haben sich in den letzten 5
Jahren noch beschleunigt.

Die Entwicklung einer Israelisierung Palästinas ist wohl oder übel der
Hintergrund der zionistischen Politik im Laufe der letzten 115 Jahre. In
diesem Sinne ist und bleibt Israel - das aus einer Kolonialisierung heraus
entstanden ist - ein Kolonialstaat.

Die Ruinen von Gaza haben meinen Optimismus begraben.

Auf meiner Facebookseite hatte ich eine Chronik über das, was man zu Unrecht
einen "Krieg gegen Gaza" nennt, zu schreiben begonnen. Aber sehr schnell
habe ich damit aufgehört: alles spielt sich auf direktem Bauchniveau ab, mit
einem ständigen Gefühl, alles was ich Bauch habe, ständig erbrechen zu
müssen. Fünf Wochen sind vergangen, die ihren Tribut an Toten, Verwundeten,
massiven Zerstörungen gefordert haben und mein Gefühl des Erbrechens ist
stärker denn je.

Trotzdem ist es unumgänglich notwendig, zu erzählen und im Bereich des
Möglichen zu verstehen versuchen, was die Motivation hinter dem war, was man
beim Namen nennen muss: das Massaker von Gaza.


FLUGHAFEN BEN GOURION

8.Juli: ich war gerade in Tel Aviv nach einer kurzen Europatournee gelandet.
Meistens versuche ich abzuschalten, wenn ich im Ausland bin, ich hören keine
Nachrichten und kaufe keine Zeitung. In meinem Auto mache ich das Radio an
und entdecke, dass Krieg herrscht. Noch bevor ich höre, worum es genau geht,
errate ich den Kriegszustand am feierlichen und kriegerischen Ton, den die
Sprecher anschlagen.

Wieder einmal spielt es sich in Gaza ab und es scheint sehr ernst zu sein.
Dieses winzige Territorium mit der höchsten Bevölkerungsdichte auf der Welt
ist der Leidensdruck Israels und das Martyrium seiner 1,5 Millionen
Einwohner - mehrheitlich aus ihren Dörfern 1948 vertriebene Flüchtlinge -
und das dauert nun schon Jahrzehnte. Vor mehr als 15 Jahren schrieb ich:
"Für die überwiegende Mehrheit der Israelis ist der Gazastreifen nicht ein
Land, ein Ort, in dem Männer, Frauen, Kinder leben, in dem man schafft, sich
fortpflanzt, wo man arbeitet und sich manchmal sogar amüsiert. Gaza ist ein
Ding, eine Bedrohung, die man mit allen möglichen Mitteln entschärfen muss."

Man spricht von Raketen, die auf jüdische Ortschaften niedergehen, die in
der Nähe Gazas liegen, wohlweislich vergessend, dass Israel seit 2007 mit
aktiver Unterstützung Ägyptens eine totale Belagerung dieses Territoriums
aufrechterhält: eineinhalb Millionen Menschen sind hier eingeschlossen, in
dem, was man das größte Freiluftgefängnis mit einer Größe von 365 km2 nennt.

Diese Raketen, die aus eigener Bastelarbeit hergestellt sind, haben niemals
Opfer gefordert und die Schäden, die sie anrichten, sind ganz minimal.

Der israelische Staat hat seit Langem gelernt, mit dieser kleinen
Belästigung zu leben und erst als er beschlossen hatte, zum Angriff über zu
gehen, hat sich die Regierung an die Bewohner von Siderot und Umgebung
erinnert. Diese Raketen gerieten übrigens nach drei Wochen in Vergessenheit
und wurden durch "die offensiven Tunnel" abgelöst, die wahrlich eine
Überraschung für die "besten Geheimdienste der Welt" sein mussten, die
einmal mehr durch die Klugheit seiner Gegner hineingelegt worden waren.


DAS ZIEL IST ABOU MAZEN

Als ich am 11.Juli vom amerikanischen Fernsehen interviewt worden war,
überraschte ich meine Interviewpartner mit der Erklärung, dass das wahre
Ziel der israelischen Aggression weder Gaza noch die Hamas sei, sondern der
Präsident der palästinensischen Behörde Mahmoud Abbas (Abou Mazen). In der
Tat besteht das strategische Ziel für die israelische rechtsextreme
Regierung jegliche Verhandlung über die Zukunft der besetzten
palästinensischen Territorien auf "sine die", auf den Nimmerleinstag zu
verschieben um die Kolonisierung weiter fortsetzen zu können.

Indem Israel Gaza angreift, bringt es den Palästinenserpräsidenten in eine
unmögliche Situation: entweder erklärt er sich solidarisch mit den Bewohnern
Gazas (und damit mit der Hamas) und er ermöglicht es damit Israel zu
behaupten, es gäbe keinen Unterschied zwischen Abou Mazen und der Hamas,
allesamt Terroristen, mit denen Israel auf keinen Fall verhandeln kann; oder
aber Abbas solidarisiert sich nicht mit Gaza, womit er jegliche
palästinensische Legitimität verliert und somit wird er zu einem
Gesprächspartner, der keine Bedeutung mehr hat.

Für Netanjahu ist dies auf alle Fälle ein "ich gewinne": es gibt keinen
ernstzunehmenden Partner, mit dem man verhandeln könnte und John Kerry kann
baden gehen und versuchen, andere Konflikte in der Welt zu lösen, im Irak
zum Beispiel.


WIR HABEN GEWONNEN

15. Juli: eine Feuerpause scheint sich abzuzeichnen - das haben wir
naiverweise noch vor einem Monat geglaubt - und beide Lager rufen Sieg.

In Realität ist es ein Unentschieden. Israel hat sein Ziel, die Hamas
auszurotten, nicht erreicht, ja nicht einmal das Abfeuern von "Raketen" auf
sein Territorium zu stoppen und die Hamas hatte nicht nur ihre Macht
gerettet, sondern sie hat zudem noch eine große Aura unter der
palästinensischen Bevölkerung - und darüber hinaus - gewonnen, aber sie hat
es nicht geschafft, dass der Belagerungszustand aufgehoben wird, dem Gaza
seit 7 Jahren ausgesetzt ist.

Aber ein Null zu Null, sagen wir zwischen der Mannschaft von Algerien und
jener von Brasilien ist ehrlich gesagt ein Sieg für Algerien. Gaza hat sich
gut geschlagen gegenüber einer der besten Armeen der Welt, die mit ihren
Mitteln nicht zimperlich umging, um den Widerstand zu brechen. Aber um
welchen Preis? Tausende Tote, vorwiegend Zivilisten, und Zerstörungen, die
eines jahrelangen Wiederaufbaus bedürfen.

Im Fernsehen sagt uns Ronny Daniel, dass die Hamas sich innerhalb der
Bevölkerung versteckt und deshalb selber die Schuld am Tod der Zivilisten
trägt. Aber wo sollten sie sich wohl aufhalten in diesem winzigen
Territorium in dem 1,5 Millionen Personen zusammengepfercht sind?

Das Kalkül Israels, auf ein eventuelles Abrücken der Unterstützung durch die
Bevölkerung zu setzen, ist daneben gegangen: wie immer, wenn in einem
Konflikt die Zivilgesellschaft zum Ziel des gegnerischen Feuers wird,
vereinigt sich diese mit ihrer eigenen Führung in einer Front, jenseits
aller politischen und ideologischen Unterschiede.

Reden wir von diesem Ronny Daniel! Ronny Daniel, ein Legionärsgesicht,
Militärberichterstatter des 2. Fernsehkanals, verfällt in Begeisterung,
sobald die ersten Panzer Stellung bezogen haben; er vergisst seine Rolle,
dass er eigentlich Journalist ist und als Reserveoffizier wird er live zum
freiwilligen Berater des Generalstabs: man muss angreifen, vorwärts! Man
muss mehr bombardieren! Geht bis zum Ende! Die extremistischen Minister der
Netanjahu-Regierung haben aus ihm ihren Wortführer gemacht.

Aber selbst ein Ronny Daniel hat alle Mühe, uns davon zu überzeugen, dass
Israel siegreich aus dieser Konfrontation hervorgegangen ist, und das ist
der Grund warum eine Feuerpause als zu früh erscheint.


KUNDGEBUNGEN IN JERUSALEM UND FASCHISTISCHE GEWALT

19. Juli: wir sind nur 200, die wir auf dem Rathausplatz in Jerusalem
demonstrieren, zu dem die FriedensmitstreiterInnen aufgerufen hatten; eine
Organisation ehemaliger SoldatInnen, die sich - zusammen mit ehemaligen
palästinensischen Kämpfern - für den Frieden der Mutigen sich einsetzen.

Am Rednerpult ist gerade eine Familienmutter aus Siderot. Sie weist zurück,
dass man sich ihrer bedient, um den Angriff auf Gaza zu rechtfertigen." Wir
haben gelernt, in der Nähe von Gaza zu leben, und wenn wir auch von Zeit zu
Zeit Raketen ausgesetzt sind, ist das, was heute passiert nicht nur aus
einem moralischen Gesichtspunkt inakzeptabel, sondern kontraproduktiv für
unsere Zukunft. Gaza wird nicht verschwinden!"

Nur 20 Meter von unserer Kundgebung - getrennt durch eine beeindruckende
Militärabteilung - an die 50 Gegen-Demonstranten, die ihren Hass gegen die
Araber und gegen die Araberfreunde, die wir sind, hinauslassen.

Im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte habe ich an vielen Demonstrationen
teilgenommen: Massendemonstrationen und andere, die kleiner waren. Lange
Zeit stellten wir eine Minderheit dar, und wurden dann einige Jahre hindurch
zur Mehrheit. Ich habe Schläge eingesteckt und auch ausgeteilt, aber niemals
hatte ich Angst gehabt. In den vergangenen Tagen hat uns jedoch Hass und die
faschistische Gewalt entgegengeschlagen und zum ersten Mal habe ich Angst
bekommen. In der vergangenen Nacht bin ich zwei Mal aufgestanden, um
nachzuschauen, ob das Eingangstor wohl verschlossen ist - üblicherweise ist
es unverschlossen - und es war fest verschlossen.

Seit der brutalen Ermordung von Mohammad Abou Khdeir, dem jungen
Palästinenser der lebend am 2. Juli 2014 von rechtsextremen jüdischen
Jugendlichen verbrannt worden war, haben wir verspürt, dass etwas geplatzt
war und dass die Roten Linien von Gestern überschritten worden waren. Der
Tag kommt immer näher, an dem ein pazifistischer Aktivist von diesen
faschistischen Banden ermordet werden wird.

Der Faschismus setzt sich nicht an einem Tag durch, und die israelische
Gesellschaft und ihre politischen Institutionen gleiten schon seit mehr als
einem Jahrzehnt in Richtung Faschismus: Anti-demokratische Gesetzgebungen,
Bedrohungen und Ausschluss der palästinensischen Abgeordneten im Knesset
Haanen Zoabi für 6 Monate von den Parlamentssitzungen (sie ist Mitglied der
palästinensischen Balad - der national-demokratischen Versammlung - und das
rote Tuch für die israelischen Politiker und Journalisten, nachdem sie an
der Gaza-Flotille teilgenommen hatte. Angriffe mit Verwüstungen auf die
Büros der Organisation für Menschenrechte (B`Tselem - www.btselem.org) und
ganz im Allgemeinen der losgelassene Rassismus, auf den Straßen und in den
Medien; die Oppositionellen, die es nicht mehr wagen öffentlich Stellung zu
beziehen.

Das Grundprinzip des Faschismus ist es, zu terrorisieren. Und in diesem
Sinne ist der neue israelische Faschismus jenseits aller Erwartungen dabei,
sein Ziel zu erreichen.


ETHIK MIT VARIABLER GEOMETRIE

Die Intellektuellen, die sich von der Heiligen Allianz gegen die
"islamistische Gefahr" nicht abheben wollen oder einfach durch die
faschistische Stimmung terrorisiert sind, schweigen: ganz wenige sind es
nur, die es wagen - und sei es nur ein Mitgefühl für die zivilen Opfer in
Gaza auszudrücken.

In der nächsten Zeit haben wir vor, eine öffentliche HOMMAGE/Ehrung für
Gideon Levy, den Herausgeber der Tageszeitung Haaretz zu organisieren, der
regelmäßig die Übel der kolonialen israelischen Besatzung anprangert, denn
dieser große Journalist ist in den Medien vollkommen isoliert, wenn er von
den Kriegsverbrechen der israelischen Armee berichtet.

Alles verläuft so, als ob die Ideologie des Kampfes der Kulturen, den wir
mit dem Bush-Regime begraben zu haben glaubten, in Tel Aviv von Neuem
aufbräche.

Dieser Verrat der israelischen Intellektuellen hat seine Auswirkungen auf
Europa: um sich zur israelischen Politik äußern zu können, ohne sofort mit
Antisemitismus konfrontiert zu werden, brauchen die Intellektuellen - und
das besonders in Frankreich - eine israelische Stimme, auf die sie sich
stützen können.

Das Schweigen hier bei uns ruft das Schweigen dort bei Euch hervor. Das
entschuldigt auf keinen Fall die Feigheit dieser Intellektuellen, deren
Ethik mehr denn je von variabler Geometrie ist, und dessen
Hintergrundideologie - der Kampf der Kulturen - den modernen Ausdruck der
alten kolonialen Arroganz darstellt.


TEL AVIV ENDLICH AUF DER STRASSE

26. Juli: Zwischen 5.000 und 6.000 Demonstrationen nehmen teil an der
Kundgebung gegen den Krieg in Gaza auf dem Königsplatz in Tel Aviv, genau
dort wo Yitzhak Rabin vor bald 20 Jahren ermordet worden war. Es ist die
erste Kundgebung gegen den Krieg mit einer wesentlichen Bedeutung. Aber
richtet sie sich wirklich gegen den Krieg? Handelt es sich tatsächlich um
Solidarität mit der Bevölkerung in Gaza? Ich habe meine Zweifel.

Um mich herum sehe ich - neben den alteingesessenen DemonstrantInnen -
Männer und Frauen, die jahrelang auf keiner Demonstration waren.; mein Sohn
Nissan und seine Freunde z.B.: um die vierzig, Liberalberufler oder high
tech, obere Mittelschicht, mit einem Wort gesagt, Tel Aviv, dieses Stück
Europa, das man in den Nahen Osten eingepflanzt hat.

Sie sind für sich demonstrieren gekommen und für ihr Tel Aviv, das bedroht
wird vom faschistischen Abgleiten ihrer Gesellschaft; sie sind hier, um nein
zu den Gangstern - und anderen rechtsextremen Handlangern ...... zu sagen,
die Israel, das sie als zivilisiert betrachten, außerhalb der Welt befördern
könnten. In diesem Sinne sind sie selbst betroffen, aber nicht unbedingt aus
den gleichen Motiven wie die hier anwesende Minderheit, die ihre Auflehnung
gegen die an der Zivilbevölkerung in Gaza verübten Verbrechen ausdrücken
will. Sie sind auch da, weil sie Angst haben vor diesem hässlichen Bild, das
ihr Land nach außen hin abgibt, in den Augen einer westlichen Welt, aus der
sie nicht herausgeschleudert werden wollen.


WIR WOLLEN WEG; SO WEIT WIE MÖGLICH.....

Wieder zurück in Jerusalem gehe ich mit meiner Tochter Talila auf ein Bier
ins Café Bezalel, 2 Minuten von meinem Haus. Nach und nach kommen einige
ihrer Freunde dazu: um die dreißig, Mittelklasse, die gerade dabei sind,
ihre Lebensplanung zu machen, ihre Familien, ihre Karrieren.

Sehr schnell fokusiert sich die Diskussion auf ein Thema: weg von hier.

Maya reißt das Thema an: "Michel, Du, der Du die Welt kennst, wohin würdest
Du mir raten, dass ich gehe? " "Zwecks Urlaub ?" "Nein, für immer weg; ich
kann das Leben hier nicht mehr aushalten, die Atmosphäre, die
Gewalttätigkeiten, und vor allem die Unmöglichkeit, den Leuten zu erklären,
dass wir am Rande des Abgrunds sind. Sogar meine engsten Freunde sind taub
und dumm geworden"

Eine ganze Stunde lange reden diese Jugendlichen über die Absicht zu
fliehen, und das in vollem Ernst. Und das, obwohl sie alle hier geboren sind
und hier ihr ganzes kurzes Leben gelebt haben: es ist ihre Sprache, es sind
ihre Landschaften, ihre Gerüche und ihre Farben. Aber für sie ist der Geruch
unerträglich stinkig geworden und die Farbe ist jene des Blutes.

Was soll ich darauf antworten? Ich selbst bin vor einem halben Jahrhundert
hierhergezogen, um mich einzusetzen für eine bessere Welt aus Gleichheit,
Gerechtigkeit und Respekt. Aber wir sind gescheitert und wir geben an Maya
und ihre FreundInnen eine Welt weiter, die nach Tod riecht, ein Erbe, das
sie auf keinen Fall haben wollen. Sollte man sie also ermutigen, ihre Koffer
zu packen und ihr Leben anderswo neu zu beginnen? Dort, wo sie Entwurzelte,
Unerwünschte ohne Anhaltspunkte sein werden? Lange ist es her, als ich noch
glaubte, einfache Antworten zu haben, meine Überzeugungen weiter zu geben,
und die Notwendigkeit, die Verantwortung zu übernehmen, sich zu engagieren
und zu kämpfen.

Ja, doch, ich habe keinen Zweifel, dass Gaza aus den Ruinen wieder
auferstehen wird. Ich glaube jedoch immer weniger daran, dass Israel eines
Tages die notwendigen Kräfte finden wird, und vor allem die Intelligenz, um
die unumgängliche Revolution durchzuführen,die uns daran hindern kann, in
den Abgrund zu stürzen. Mein angeborener, natürlicher Optimismus ist unter
den Ruinen von Gaza begraben worden: Maya, Talila, Yifth, Hillel und alle
anderen, zieht weg von hier, bevor es zu spät ist, damit ihr nicht
angesteckt werdet von der fatalen Infektion, die unsere Gesellschaft
befallen hat. Vielleicht werde ich in einigen Monaten meine Meinung ändern
können und ein Lächeln wieder auf meinen Lippen haben, aber heute ist es das
einzige, was ich euch vorschlagen kann. ###

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Warum ist die Friedensbewegung verschwunden?

Raya Rotem, Kriegswitwe, war die Sprecherin des Komitees gegen den Krieg im
Libanon gewesen (des Krieges 1982-1985). Im Folgenden analysiert sie - im
Interview mit Michel Warschawski -- das praktische Verschwinden der
Anti-Kriegsbewegung:

"Es gibt drei Hauptgründe für das Nichtexistieren einer Massenbewegung gegen
die Aggression in Gaza:

Der erste ist der Niedergang der politischen Parteien und ihr Einfluss auf
die junge Generation im Besonderen. Wenn die Massenbewegung zwar aus nicht
organisierten Frauen und Männern bestand, so war der harte Kern doch eine
Koalition von politisch sehr erfahrenen Organisationen.

Der zweite Grund ist der Einfluss der herrschenden liberalen Ideologie die
die 'Bewusstseinslage und das Engagement' privatisiert. Jede/r hat seinen
kleinen Schrebergarten; die einen den Kampf gegen die Tierversuche, die
anderen die Verteidigung der sans-papiers; und noch andere befassen sich mit
diversem Feminismus. Damals galt der 'Konflikt' als zentrale Sache. Im
heutigen Relativismus scheinen alle Kämpfe die gleiche Bedeutung zu haben.

Schließlich und wohl wichtigster Grund ist jener der moralischen
Degeneration unserer Gesellschaft. Alles verläuft so, als ob sich die Werte
der Rechten, die in den 80er und 90er Jahren eine Minderheit darstellten,
sich nach und nach in die kollektive Ideologie Israels eingeschlichen
hätten.

Ich möchte hier im Besonderen den bedingungslosen Respekt vor dem Gesetz
hervorheben: Wo sind die Widerständler, die Fahnenflüchtlinge geblieben, die
Perle auf der Krone der Antikriegsbewegung der vergangenen Jahrzehnte?" ###

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(1) Michel Warschawski, *1949 in Straßburg als Sohn des dortigen
Oberrabbiners; ab 1965 in Israel Studium der Theologie, später Philosophie;
Gründer & Leiter (bis 1999) des Alternative Information Center in Jerusalem;
Mitglied des Friedensblocks "Gush Shalom". 1982 Mitbegründer der
Organisation zur Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern "Yesh Gvul".
Co-Sprecher des binationalen "Comitee Against the Iron Fist".
Der Sechs-Tage-Krieg 1967 ist eine wesentliche Wurzel seines bis heute
andauernden Engagements für Frieden und Menschenrechte. Als couragiertem
Grenzgänger zwischen den Fronten blieb dem profilierten Vertreter der
radikaldemokratischen Linken auch die Erfahrung einer Gefangenschaft in
einem Israelischen Gefängnis nicht erspart.



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