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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. Oktober 2014; 06:47
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Arbeit/Debatten:

> Vorarlberger Schwarz-Grün: Arme bleiben unsichtbar

*Aktive Arbeitslose* vermissen Beteiligung der Betroffenen
und verbindliche Zusagen
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Eine einzige Enttäuschung stellt das von den Herren von ÖVP und Grünen
präsentierte Arbeitsprogramm der neuen Vorarlberger Regierung dar: Es
strotzt nur so von Allgemeinplätzen, die viele Bemühungen, Bekenntnisse,
Prüfungen und Evaluierungen versprechen. Konkrete und überprüfbare Taten,
womöglich auch mit konkreten Zahlen zur Finanzierung, bleiben hingegen
Mangelware. Besonders Arbeitslose, Arme und Invalide werden wohl weiterhin
auf konkrete politische Verbesserungen und auf Mitbestimmung warten müssen.

Keinerlei Antwort auf die Krise der Lohnarbeitsgesellschaft

Im Kapitel "Beschäftigung" wird die steigende Erwerbsarbeitslosigkeit nach
wie vor komplett geleugnet und eine "Rekordbeschäftigung" beschworen, die
auf zunehmende Prekarisierung zurück zu führen ist. Vorarlberg hat ja mit
50,7 die höchste Teilzeitarbeitsquote bei Frauen! Obwohl die Lohnquote
weiter sinkt und die Kapitaleinkommen weiter enorm zu Lasten der
ArbeitnehmerInnen steigen, die Grünen die wachsende Kluft zwischen Arm und
Reich beklagen, beschwört schwarz-grün unverdrossen: "Leistungen des
Wohlfahrtsstaates sind auf Dauer nur aufrecht zu erhalten, wenn möglichst
viele Menschen beschäftigt sind".

Seit Jahrzehnten wird trotz steigender Erwerbsarbeitslosigkeit die
"Vollbeschäftigung" beschworen ohne konkret zu sagen, wo denn die regulären
Vollzeitarbeitsplätze geschaffen werden sollen, die ein ordentliches
Einkommen garantieren. Wie eine gerechtere Verteilung von bezahlter und
unbezahlter Arbeit und von Einkommen erreicht werden kann, wird nicht einmal
andiskutiert.

Vom Bekenntnis zum "zweiten Arbeitsmarkt", an dem Arbeitslose zu
ArbeitnehmerInnen zweiter Klasse degradiert werden und dank
Transitarbeitskräfteregelungen mit niedrigen Pauschallöhnen ohne Anrechnung
von Vordienstzeiten und Qualifikationen abgespeist werden, haben Arbeitslose
herzlich wenig. Ob diese je den unverbindlich in Aussicht gestellten
Mindestlohn von 1.500 Euro brutto sehen werden, bleibt fraglich.
Schwarz-Grün setzt Arbeitslosen noch eins drauf indem sie diese mit dem
Stigma angeblicher "Vermittlungshindernisse" und "schwerwiegender sozialer,
körperlicher und physischer Folgen" abstempelt. Die Arbeitslosigkeit
(alleine) verursache das, wird blauäugig behauptet, und nicht die
strukturelle Gewalt durch AMS und Gesellschaft.

Älteren Arbeitslosen wird implizit unterstellt, eine "besondere
Unterstützung" zu brauchen, um möglichst rasch den "Wiedereinstieg" zu
schaffen. Die Wirtschaft und die öffentliche Hand hingegen, die zu wenig
Arbeitsplätze anbieten, werden nicht in die Pflicht genommen oder in Frage
gestellt.

Verfolgungsbetreuung für Arme und Arbeitslose?

Geradezu als Drohung dürfen Arme das im Sozialbereich angekündigte
"Case-Management" empfinden, durch das sie von der Obrigkeit "offensiv
begleitet und unterstützt" werden sollen und "in enger Kooperation mit dem
AMS" - wohl nach dem Motto "Arbeit macht frei" - eine "möglichst rasche
Wiedereingliederung in die Arbeitswelt" und "Rehabilitierung" (sic!) - als
sei Erwerbsarbeitslosigkeit ein Verbrechen - erfahren sollen.

Weiter in neoliberalem BürokratInnenspeak werden "Sozialstrategien mit
treffsicheren Maßnahmenpaketen" mit "modernem Leistungscontrolling" und
"standardisierten Abläufen" angekündigt. Angebote sollen "einer Überprüfung
unterzogen werden" und es solle "dabei immer die Hilfe zur Selbsthilfe und
die Mobilisierung der eigenen Kräfte" im Vordergrund stehen entsprechend dem
neoliberalen Dogma, dass "Erwerbsarbeit eine zentrale Grundlage zur
Vermeidung von Armut darstellt" (und nicht die Rückverteilung des gemeinsam
erarbeiteten Reichtums) und daher alles auf einen raschen "Wiedereinstieg in
die Arbeitswelt" abzielen muss. Die Sozialfälle sollen, vermutlich möglichst
rasch ohne Rücksicht auf Verluste, auf den Arbeitsmarkt gekippt werden.

Mitbestimmung der Betroffenen schlichtweg nicht vorgesehen

Obwohl allgemein schwarz-grün eine "aktive Beteiligung" fördern wolle,
enthält das schwarz-grüne Regierungsprogramm im Arbeits- und Sozialbereich
keine konkreten Ansätze. Nicht einmal die von den Grünen seit Ende der 90er
Jahre propagierte Sozial- und Arbeitslosenanwaltschaft wird angedacht, die
neben Beratung und Rechtsdurchsetzung auch eine Selbstvertretung der
Betroffenen ermöglichen sollte. Ignoriert wird beispielsweise, dass die UNO
im Vorjahr einen regelmäßigen und offenen Dialog des AMS mit den
Arbeitslosen eingefordert hatte, das Sanktionenregime des AMS und die
niedrige Höhe der Mindestsicherung und die Zugangshürden zur
Mindestsicherung kritisiert hatte.

Als eigenständige, politische Subjekte mit eigenen Rechten kommen Arme,
Arbeitslose und andere "Randgruppen" erst nicht vor. "Eingebunden" sollen
bloß die "Systempartner" werden.

Dass mit "Integration" wohl eher Unterwerfung gemeint ist, wird im Kapitel
"Integration und Zusammenleben" sichtbar, wo das Regierungsprogramm "die
Ablehnung jeglicher Ausübung von Gewalt, insbesondere im Namen der Religion,
die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols" fordert, den nicht direkt
angesprochenen MigrantInnen als ein forderndes, überwachendes und strafendes
"wir" gegenübergestellt wird. Eine unterstellende und rassistische Sprache,
die wir sonst von der FPÖ gewohnt sind.

Das Kapitel "Demokratie, Bürgerbeteiligung und Ehrenamt" fristet ein karges
Dasein am Schluss des Regierungsprogramms mit bescheidenen zwei Seiten und
stellt - obwohl die Wichtigkeit von Information als Basis von
BürgerInnenbeteiligung betont wird - bloß in Aussicht, dass, wenn die
Bundesregierung das angekündigte Informationsfreiheitsgesetz nicht
beschließe, dessen Einführung auf Landesebene geprüft werden solle.
Durchführungsbestimmungen für die im Gesetz recht vage geregelte
Mindestsicherung beispielsweise sollen wohl weiterhin für die
Rechtsunterworfenen geheim bleiben.

Die Begriffe Menschenrechte und Menschenwürde kommen im Regierungsprogramm
erst gar nicht vor, obwohl deren Achtung die Basis echter Demokratie bildet.

Auffallend ist, dass das Regierungsprogramm sprachlich rein in der
männlichen Form geschrieben ist und nicht einmal ansatzweise sanft
"gegendert".

Die Grünen: Lost in Space?

Wer einen Blick in das als bunte Broschüre veröffentlichte Wahlprogramm der
Grünen Alternative Vorarlberg wirft, wird den gleichen unverbindlichen,
nebulösen Wortschwall finden, als käme dieser direkt aus der PR-Abteilung
der Landesbürokratie. Arme, Arbeitslose und andere "Randgruppen" erfahren
auch hier keine Aufmerksamkeit. Auch die Thema Menschenrechte und
Menschenwürde kommen nicht wirklich vor, obwohl die Grünen sich gerne als
Menschenrechtspartei darstellen. Dass es einmal eine Grünbewegung gegeben
haben soll, erscheint für uns vom politischen Schauspiel an den Rand
Gedrängten fast schon so ferne, wie dass es eine ArbeiterInnenbewegung
gegeben haben soll.

Aus den einst aufmüpfigen Grünen ist offenbar eine brave, neoliberale
Systempartei geworden, die um jeden Preis mitregieren will und daher auf die
vom System als "Überflüssige" ausgeschiedenen Menschen verzichtet.

Sicher ist, dass Vorarlberg mehr kann und mehr verdient hat, aber nicht auf
Basis derart schwacher und unverbindlicher Allerweltsprogramme.
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Kontakt:
Martin Mair, Aktive Arbeitslose Österreich, kontakt{AT}aktive-arbeitslose.at
Markus Gorbach (Feldkirch), Koordinator Aktiver Arbeitslose Regionalgruppe
Vorarlberg, vorarlberg{AT}aktive-arbeitslose.at

Quellen:
Vorarlberg gemeinsam gestalten. Regierungsprogramm 2014 - 2019:
https://www.vorarlberg.at/pdf/arbeitsprogramm2014-2019.pdf
Soziale Menschenrechte: UNO kritisiert AMS-Sanktionen, niedrige
Mindestsicherung und fehlende Mitbestimmung der Betroffenen:
http://www.aktive-arbeitslose.at/news/20131209_uno-kritisiert_oesterreich_wegen_verletzung_sozialer_menschenrechte_ams-bezugssperren_mindestsicherung.html
Visionen, Projekte, Pläne für Vorarlberg. Grünes Programm 2014:
http://vorarlberg.gruene.at/themen/wahlen/dein-vorarlberg-kann-mehr/programm-landtagswahl-vorarlberg-2014.pdf




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