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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 1. Oktober 2014; 14:25
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Die gute alte Zeit:

> Dank an "Zur Zeit"

Wenn sich die extreme Rechte mit dem Deserteursdenkmal beschäftigt, wird es
lustig.
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Eigentlich kann man ja dem Mölzer-Blatt "Zur Zeit" nur dankbar sein. Denn in
Ausgabe 37/2014 erschien ein Kommentar zur demnächst stattfindenden
Enthüllung des Deserteursdenkmals am Wiener Ballhausplatz, der versucht, die
Deserteure der Wehrmacht anzuklagen -- was aber grandios danebengeht.

Wenn "Zur Zeit" die positive Erinnerung an die Deserteure kritisiert, kann
man ja eventuell doch auf die Idee kommen, daß Mölzer und Freunde ein
Problem mit der negativen Erinnerung an den Nationalsozialismus hätten. Da
sie das aber natürlich ganz sicher nicht haben, müssen sie wohl andere
Kritikpunkte finden.

Was schreibt also Walter Seledec unter dem Titel "Die Stunde der
Deserteure"? "Man muß sich wirklich fragen, wo wir leben. In keinem Staat
der Welt außer in Österreich und Deutschland gibt es ähnliche Einrichtungen.
Viele Armeen dieser Welt dienten unter verschiedensten politischen Systemen,
Diktaturen, absoluten Herrschern, ständestaatlichen Regierungen,
Gewaltsystemen, die sich alle im Lauf der Zeit wieder geändert hatten, aber
nirgendwo auf der Welt gibt es Gedenkstätten für Deserteure. Aber Wien ist
eben anders." Stimmt, anders als Potsdam zum Beispiel, denn dort steht nicht
erst seit kurzem so ein hochoffizielles Denkmal, sondern schon seit 1990.

Das Interessante daran ist aber etwas anderes: Damit spricht Seledec nämlich
genau das an, was dem Militär so sauer aufstößt. Denn natürlich ist das
Denkmal nicht eines, das generell Desertion entschuldigt, sondern es meint
nur die Desertion in einem Unrechtsregime. Nur: Mit diesem Denkmal wird
umgekehrt das Militär eben nicht -- wie sonst üblich -- freigesprochen. Die
Schutzbehauptung, man habe nur Befehle befolgt, gilt plötzlich nicht mehr --
auch Soldaten werden damit zumindest moralisch zur Verantwortung ihres Tuns
gezogen. Und eben nicht nur dann, wenn man sie als Kriegsverbrecher
titulieren kann. Der ZZ-Autor macht mit seinem Statement aber erst so
richtig deutlich, daß ein Deserteursdenkmal eine Anklage auch des Militärs
ist -- und nicht nur der Nazi-Befehlshaber.

Außerdem macht Seledec klar, daß Soldaten eben nicht nur im Hitler-Regime
unrecht gehandelt haben, sondern auch unter anderen Regierungen. Seledecs
Intention könnte sein, die Einzigartigkeit Nazideutschland relativieren zu
wollen. Nur umgekehrt wird auch ein Schuh daraus: Denn damit stellt er fest,
daß Desertion unter anderen Regimen ähnlich zu beurteilen ist. Und plötzlich
ist das Denkmal doch kein Erinnerungsmonument nur für Flahnenflüchtige der
Wehrmacht, sondern generell eines, das Desertion als möglicherweise
richtiges Verhalten in den Raum stellt -- und die Frage nach der moralischen
Richtigkeit eines Befehls dem Einzelnen anheimstellt. Das ist aber genau
das, was nicht nur braune Reminiszenzler, sondern auch andere Militaristen
aufregen muß. Wenn Sozialdemokraten und Konservative also versuchen, die
Bedeutung dieses Mahnmals auf die Aufarbeitung der Nazizeit reduzieren zu
wollen, dürfen wir uns bei der extremen Rechten ganz herzlich bedanken, wenn
sie uns erklärt, daß hier generell der militärische Gehorsam in Frage
gestellt.

Netter Versuch...

So richtig ins Knie schießt sich Herr Seledec aber damit: "Exemplarisch ist
jedenfalls die Geschichte eines Offiziers der Wehrmacht, der vor seiner
Flucht zwei Kameraden erschoß, um sich von seiner Truppe entfernen zu
können. Dieser Mann wurde später -- natürlich ohne Verfahren -- Sektionschef
in einem Ministerium und 'anerkannter Deserteur'. Soweit haben wir es
gebracht!"

Nun, das ist Herrn Seledecs bestes Exempel? Blöd für ihn, denn die
Geschichte läßt sich sehr leicht googlen. Der spätere Sektionschef war
Wilhelm Grimburg, dessen Fall im "Spiegel" (31.7.1972) und im "profil"
(25.4.2005) gut dokumentiert ist. Erschossen hat Grimburg seine beiden
damals kommandierenden Offiziere -- und zwar am Morgen des 9. Mai 1945. Die
Wehrmacht hatte offiziell kapituliert, nur die Regimentsführung hatte
befohlen: "Bolschewiken sind auch nach 24 Uhr zu bekämpfen". Der
Batteriechef (ein überzeugter Nazi) und sein Stellvertreter wollten
tatsächlich weiterkämpfen, die Truppe aber desertierte. Die 60 Mann aber
ziehen lassen hätten die beiden Offiziere wohl nicht -- und deswegen wurden
sie von Grimburg erschossen. Dieser wurde dann auch von einem Miltärgericht
in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die Pointe: Wäre die Truppe nicht
desertiert, wäre der offizielle Befehl des Oberkommandos zur Einstellung der
Kampfhandlungen nicht ausgeführt worden -- was man als Befehlsverweigerung
hätte auslegen können.

Und das ist das einzige Beispiel, daß Hern Seledec einfällt, wenn er
schreibt: "Und am Tag vor dem Nationalfeiertag wird die gesamte
Staatsführung auf dem Ballhausplatz anwesend sein und der 'Helden des
Widerstands' gedenken. Um deren Opfer und die Gefallenen des Weltkrieges
trauert niemand".

Nein, denn was sind schon tausende Kriegerdenkmäler gegen ein
Deserteursdenkmal?

Schön, wenn in der extremen Rechten selbst ein "journalistische Vollprofi"
(Zur Zeit über Seledec, der Mann war immerhin einmal ORF-Chefredakteur) so
patschert argumentiert.
*Bernhard Redl*

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Danke auch an den Blog pronoever.wordpress.com, der uns so gerne
mit den schönsten Texten aus "Zur Zeit" versorgt.



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