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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. September 2014; 23:40
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Krieg und Frieden:

> Gott will es!

Der israelische Friedensaktivist *Uri Avnery* befürchtet, daß eine immer
stärker werdende religiöse Prägung des Nahostkonflikts -- und anderer
Kriege -- politische Lösungen in weite Ferne rücken lassen.

*

Seit sechs Jahrzehnten warnen meine Freunde und ich unser Volk: Wenn wir
nicht mit den nationalistischen arabischen Kräften Frieden schließen, werden
wir es mit islamischen arabischen Kräften zu tun bekommen.

Der israelisch-palästinensische Konflikt wird zu einem jüdisch-muslimischen
Konflikt. Der nationale Krieg wird zu einem Religionskrieg.

Nationale Konflikte sind im Grunde rational. In ihnen geht es um Gebiete.
Gewöhnlich können sie durch Kompromisse gelöst werden.

Religiöse Konflikte sind irrational. Jede Seite glaubt an eine absolute
Wahrheit und sieht infolgedessen alle anderen als Ungläubige, als Feinde des
einzig wahren Gottes.

Wahre Gläubige, die glauben, dass sie für Gott kämpfen und dass sie ihre
Befehle direkt vom Himmel bekommen, können keine Kompromisse schließen.
"Gott will es" schrien die Kreuzfahrer und schlachteten Muslime und Juden
ab. "Allah ist der Größte", schreien fanatische Muslime und enthaupten ihre
Feinde. "Wer von allen Göttern ist wie du!", schrien die Makkabäer und
vernichteten alle Mitjuden, die griechische Sitten angenommen hatten.

*

DIE ZIONISTISCHE Bewegung wurde nach dem Sieg der europäischen Aufklärung
von säkularisierten Juden geschaffen. Fast alle Gründer waren überzeugte
Atheisten. Viele waren dazu bereit, religiöse Symbole zur Dekoration zu
benutzen, aber sie wurden von allen großen religiösen Weisen ihrer Zeit
rundweg verdammt.

Tatsächlich war das zionistische Unternehmen vor der Schaffung des Staates
Israel bemerkenswert frei von religiösen Dogmen. Selbst heute sprechen
extreme Zionisten vom "Nationalstaat des jüdischen Volkes" und nicht vom
"Religionsstaat des jüdischen Glaubens". Sogar für die "Nationalreligiösen",
die Vorläufer der heutigen Siedler und Halbfaschisten, war Religion dem
nationalen Ziel untergeordnet: die Schaffung eines nationalen jüdischen
Staates im ganzen Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan.

Dieser nationale Angriff traf natürlich auf den entschlossenen Widerstand
der arabischen Nationalbewegung. Nach anfänglichem Zögern wendeten sich die
arabischen nationalen Führer dagegen. Dieser Widerstand hatte sehr wenig mit
Religion zu tun. Es stimmt, eine Zeit lang wurde der palästinensische
Widerstand vom Großmufti von Jerusalem Haj Amin al-Husseini geleitet, aber
nicht wegen seiner religiösen Stellung, sondern weil er das Oberhaupt von
Jerusalems aristokratischster Großfamilie war.

Die arabische Nationalbewegung war immer entschieden säkular. Einige ihrer
hervorragendsten Führer waren Christen. Die panarabische Baathpartei
(Auferstehungspartei), die sowohl in Syrien als auch im Irak die Herrschaft
übernahm, war von Christen gegründet worden.

Damals war der größte Held der arabischen Massen Gamal Abd-al-Nasser. Zwar
war er formell Moslem, aber er war ziemlich areligiös. Der Führer der PLO
Jasser Arafat war privat ein frommer Moslem, jedoch blieb die PLO unter
seiner Führung eine säkulare Körperschaft mit vielen christlichen Zutaten.
Er sprach über die Befreiung von "Moscheen und Kirchen" in Ostjerusalem.
Eine Zeit lang war das offizielle Ziel der PLO die Schaffung eines
"demokratischen und nicht an eine besondere Religion gebundenen" Staates.

*

WAS IST DA also geschehen? Wie kam es dazu, dass sich eine Nationalbewegung
in eine gewaltanwendende fanatische religiöse Bewegung verwandelt hat?

Die aus einer Nonne zur Historikerin gewordene Karen Armstrong hat darauf
hingewiesen, dass in allen drei monotheistischen Religionen fast
gleichzeitig dasselbe geschehen ist. In den USA spielen jetzt die
evangelikalen Christen eine wichtige Rolle in der Politik, und zwar in enger
Zusammenarbeit mit dem rechtsgerichteten jüdischen Establishment. In der
gesamten muslimischen Welt gewinnen fundamentalistische Bewegungen an
Stärke. Und in Israel spielt ein messianisch-jüdischer Fundamentalismus eine
immer größere Rolle.

Wenn sich dasselbe in derartig unterschiedlichen Ländern und Religionen
abspielt, muss es eine gemeinsame Ursache dafür geben. Welche ist das?

Man kann die Frage natürlich leicht mit dem nebulösen deutschen Begriff
Zeitgeist beantworten, aber der erklärt tatsächlich sehr wenig.

In der muslimischen Welt hat der Bankrott des liberalen, säkularen
Nationalismus geistliche Leere, wirtschaftlichen Zusammenbruch und nationale
Demütigung geschaffen. Das glänzende Versprechen des Nasserismus endete
unter Hosny Mubarak in elender Stagnation. Den Baath-Diktatoren in Bagdad
und Damaskus gelang es nicht, moderne Staaten zu schaffen. Die Militärs in
Algerien und in der Türkei haben auch nicht viel mehr zuwege gebracht.
Nachdem ölgierige westliche Mächte den demokratisch gewählten iranischen
Führer Mohammad Mossadegh gestürzt hatten, konnte der glücklose Schah die
Lücke nicht füllen.

Und ständig war da der demütigende Anblick Israels, das aus einem
verachteten kleinen ausländischen Implantat zu einer überragenden Militär-
und Wirtschaftsmacht herangewachsen war und das arabische Staaten immer
wieder scheinbar mühelos verprügelte.

Nach jedem neuen Krieg fragten sich Muslime: Was stimmt da nicht? Wenn der
Nationalismus ebenso im Frieden wie im Krieg erfolglos war, wenn es weder
Kapitalismus noch Sozialismus gelungen ist, eine gesunde Wirtschaft zu
schaffen, wenn es weder dem europäische Humanismus noch dem sowjetische
Kommunismus gelungen ist, die geistliche Leere zu füllen, wo gibt es dann
noch eine Lösung?

Die donnernde Erwiderung kommt aus den Tiefen der Massen: "Der Islam ist die
Antwort!"

*

DIE LOGIK hätte verlangt, dass die israelische Erwiderung entgegengesetzt
gewesen wäre.

Israel ist eine Erfolgsgeschichte. Es hat nicht nur eine mächtige
Militärmaschine und glaubhaftes atomares Potential, sondern es ist technisch
mächtig und seine Wirtschaftsbasis ist vergleichsweise gesund.

Aber jetzt gibt der eng mit dem extremen Nationalismus verbundene
messianische Fundamentalismus den Kurs an.

Am Vorabend des neuesten Krieges gab der Befehlshaber der Giv'ati-Brigade
seinen Offizieren den Tagesbefehl bekannt. Viele waren schockiert.

Die Giv'ati-Brigade war im Krieg von 1948 eine hervorragende Kampftruppe
gewesen (ich war einer der ersten Kämpfer und habe darüber zwei Bücher
geschrieben). Wir waren sehr stolz auf die Zusammensetzung der Brigade. Die
Kämpfer waren eine Mischung aus Söhnen der weltstädtischen Tel-Aviver Elite
und jungen Männern aus den umgebenden Slums. Diese Mischung war ganz
besonders erfolgreich und bewährte sich im Kampf.

Der Brigade-Kommandeur war ein früherer deutscher kommunistischer
Untergrundkämpfer gegen die Nazis. Er bekehrte sich zum Zionismus und trat
in einen stark links-gerichteten Kibbuz ein. Ähnlich gesinnt waren die
meisten seiner Stabsoffiziere. Ich kann mich an keinen einzigen Soldaten in
der Brigade erinnern, der eine Kippa getragen hätte.

Man stelle sich unseren Schock vor, als der gegenwärtige Brigadekommandeur
zu einem heiligen Krieg zur Erfüllung von Gottes Willen aufrief. Oberst Ofer
Winter hatte in seiner Jugend eine religiöse Militärschule besucht und am
Vorabend des Kampfes sagte er zu seinen Soldaten:

"Die Geschichte hat uns auserwählt, die Angriffsspitze gegen den
terroristischen Feind in Gaza zu sein, den Feind, der den Gott von Israels
Schlachten beschimpft und verflucht ... Ich erhebe meine Augen zum Himmel
und rufe gemeinsam mit euch: ,Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der
Herr allein.' Oh Herr, Gott Israels, gib uns Erfolg auf unserem Weg, da wir
für Israel gegen einen Feind kämpfen, der deinen Namen verflucht!"

Das offizielle Ziel der israelischen Armee in diesem Feldzug war es, die
Grenze zu schützen und den Abschuss von Raketen auf israelische Städte und
Dörfer zu beenden. Aber das war nicht das Ziel des Obersten. Er schickte
seine Soldaten, für den Gott Israels im Kampf gegen die zu sterben (drei
starben tatsächlich), die seinen Namen verfluchen.

Wenn dieser Offizier der einzige religiöse Fanatiker in der Armee wäre, wäre
das schon schlimm genug. Aber die Armee ist voller Kippa tragender
Offiziere, die mit religiösem Eifer durchtränkt worden sind und die ihre
Soldaten nun ihrerseits mit demselben Geist durchtränken.

Die zionistisch-religiöse Partei und ihre fanatischen Rabbiner, von denen
viele ausgesprochen faschistisch sind, arbeiten seit Jahren daran, das
Offizierscorps der Armee systematisch zu unterwandern. Es ist ein Prozess
der natürlichen Auslese: Offiziere, die keine Lust haben, als Kolonialherren
in den besetzten Gebieten aufzutreten, verlassen die Armee und werden
High-Tech-Unternehmer, während messianische Fanatiker in ihre Stellungen
geschleust werden.

Der Oberst ist übrigens weder zurechtgewiesen noch auf irgendeine Weise
geschädigt worden. Im Gegenteil, er ist während des Krieges als
vorbildlicher Kampfführer belobigt worden.

*

DAS ALLES führt zu ISIS, dem islamischen Staat von Irak und al-Sham
(Großsyrien). Vor Kurzem hat er seinen Namen in "Islamischer Staat"
geändert. Diese Veränderung bedeutet, dass die früheren Staaten, die nach
dem Ersten Weltkrieg von den westlichen Kolonialherren geschaffen worden
sind, abgeschafft sind. Es wird einen einzigen islamischen Staat geben und
der umfasst alle früheren und gegenwärtigen islamischen Territorien,
darunter auch Palästina (mitsamt Israel).

Das ist ein neues und furchteinflößendes Phänomen. Natürlich gibt es viele
islamistische Parteien und Organisationen in der muslimischen Welt - von der
die Türkei regierenden Partei über die ägyptische Muslimbruderschaft bis hin
zur palästinensischen Hamas. Aber fast alle beschränken ihren Kampf auf ihre
Nationalländer: Türkei, Syrien, Palästina, Jemen. Sie wollen in ihren
Ländern die Macht übernehmen und sie regieren. Selbst Osama bin Laden
wünschte sich am meisten, in seiner saudi-arabischen Heimat die Macht zu
übernehmen.

ISIS ist etwas ganz anderes. Er will alle Staaten zerstören, besonders die
muslimischen Staaten, die von den westlichen Imperialisten aus dem
islamischen Land herausgeschnitten worden sind. Mit zum religiösen Symbol
erhobener furchtbarer Grausamkeit macht er sich auf den Weg, zuerst die
muslimische Welt und dann den ganzen Globus zu erobern.

Dieses Ziel mag angesichts der Tatsache, dass die ganze Unternehmung aus ein
paar tausend Kämpfern besteht, lächerlich erscheinen. Aber diese kleine
Truppe hat schon einen großen Teil Syriens und des Irak erobert. Er drückt
die Sehnsucht der Muslime aus, den alten Ruhm wiederherzustellen, ihren Hass
auf alle (darunter auch wir), die den Islam gedemütigt haben, und einen
Durst nach geistlichen Werten. Man muss unwillkürlich an die Anfänge der
Nazibewegung denken, ihren Groll, ihren Rachedurst, ihre Anziehungskraft für
alle Armen und Gedemütigten.

Es kann sein, dass ISIS nur ein paar Jahre braucht, um eine riesige Macht zu
werden, die alle Länder der Region bedroht.

*

BEDROHT ISIS auch Israel? Natürlich tut er das. Wenn seine dynamische Kraft
anhält, wird er das Assad-Regime stürzen und die israelische Grenze
erreichen, wo weitere islamische Rebellen in dieser Woche schon die ersten
Salven abgeschossen haben.

Bei einer solchen Bedrohung, die im Norden lauert, scheint es lächerlich,
gegen eine winzige islamisch-patriotische Truppe in Gaza zu kämpfen, selbst
wenn sie den Namen des Herrn verflucht.

Vielleicht ist nur noch sehr wenig Zeit, um mit der arabischen
Nationalbewegung Frieden zu schließen und besonders mit dem
palästinensischen Volk - mit der PLO ebenso wie mit der Hamas - und sich zum
Kampf gegen den Islamischen Staat zu verbinden.

Die Alternative ist furchterregend.
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Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler. Original vom 6.9.2014:
http://www.avnery-news.co.il/english/index.html



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