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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. Juli 2014; 04:34
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Glosse:

> Versteherinnen-Versteherinnen

Über den Versuch, das Verstehen und die Verständigung zu diskreditieren. Und
warum Versteherinnen-Versteherinnen gefragt sind.
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Frauen-Versteherin[1]. Putin-Versteherin. Pali-Versteherin. "Verstehen" ist
nun also endgültig als Schimpfwort in den medialen Sprachgebrauch
eingegangen. Google-Trends gibt für den Begriff "Frauenversteher" in
Deutschland den ersten Peak mit Oktober 2005 an. Im April 2008 taucht in Die
Welt ein herabsetzendes "Grünen-Versteher" auf, 2009 richtet Marianne
Birthler - Bundesbeauftragte für Stasi-Akten in Deutschland - in Die Zeit
einen offenen Brief an die "Liebe[n] Ossiversteher". Für Mai 2012 ist ein
noch neutrales "Russland-Versteher" in Die Welt verbürgt. Spätestens mit der
Krim-Krise im Februar 2014 schwappte die missbilligende Verwendung des
Versteher-Begriffs (wieder über Die Welt) in den allgemeinen medialen
Sprachgebrauch. Vor kurzem bemühte nun ein österreichischer Kommentator den
"Pali-Versteher".

Wieso wurde "verstehen" zum Schimpfwort und wer hat an dieser Entwicklung
Interesse? Ein Erklärungsversuch.

In der Soziologie ist Verstehen ein umfangreich besprochener Begriff.
"Menschen handeln Dingen gegenüber aufgrund der Bedeutung, die sie diesen
Dingen zuschreiben und diese Bedeutung entsteht in sozialer Interaktion",
sagte der amerikanische Soziologe Herbert Blumer Ende der 60er[2]. Wer
Verhaltensweisen von Menschen nachvollziehen will, muss demnach untersuchen,
welche Bedeutung Menschen oder Kollektive mit ihrem Verhalten verbinden -
sowie die Erfahrungen und Interaktionen, auf denen die jeweils eingenommene
Perspektive gründet. Von Gegnerinnen bringt dieser Zugang der
interpretativen Schule den Vorwurf des Subjektivismus ein. In deren
naturwissenschaftlichem Verständnis von Wissenschaft gibt es (trotz
Quantenmechanik) nur eine Wahrheit.

Falken und Tauben

In politischen Debatten tummeln sich Falken und Tauben. Falken trachten
danach, ihre eigenen Interessen auch gegen Widerstände durchsetzen. Sie
suchen keine Kompromisse und schrecken auch vor gewaltvollen Strategien
nicht zurück. Ihr Diskursverhalten dient der maximalen Umsetzung eigener
Absichten: sie fragen nicht und analysieren nicht, sie stellen fest und
geben Nachdruck.

Zwischentöne, Mehrdeutigkeit und unterschiedliche Perspektiven sind Falken
ein Gräuel. Es gibt nur eine Wahrheit, Ursachenforschung betreiben sie zur
Klärung der Schuldfrage. Konflikte sind eine Frage von Gut und Böse, deshalb
verlangen Falken von ihrem Umfeld, sich auf (die) eine Seite zu stellen.
Durch Mediation werden Konflikte in den Augen von Falken nur verschleppt.
Wirkungsvoll beigelegt werden sie durch den Sieg; wenn eine Seite sich
durchsetzt und die andere aufgibt: The winner takes it all. Das
gesellschaftliche Ordnungsprinzip der Falken ist die Konkurrenz.

Tauben hingegen müssen sich nicht auf ganzer Linie durchsetzen; sie sind um
Ausgleich bemüht. Konflikte verstehen sie als Ausdruck unterschiedlicher
Interessen in freien Gesellschaften und nicht als Folge schuldhafter
Handlungen. Deshalb halten sie nicht stur an der eigenen Position fest und
bemühen sich um eine ausgewogene und nachhaltige Beilegung. Ein Konflikt ist
wirksam gelöst, wenn alle Beteiligten damit gut leben können. Tauben
beziehen unterschiedliche Wahrheiten ein und lassen gegensätzliche
Standpunkte gelten. Sie wollen dazu die Sicht aller Parteien ergründen und
verstehen.

An gesellschaftspolitischen Konflikten interessiert sie weniger "wer
angefangen" hat und zu bestrafen sei, als welche sozio-ökonomischen Hebel
zur Verfügung stehen, um Gesellschaft für die Zukunft zu verändern. Ihr
gesellschaftliches Organisationsprinzip ist die Kooperation. Verstehen und
Verständigung sind ihre Techniken der Konfliktbeilegung.

Versteherinnen-Versteherin

Nach Gutmensch und Opfer wurde nun also auch Versteherin zum Schimpfwort.
Erneut ist es den Falken gelungen, ein Stück Sprache zu etablieren, das die
Tauben diskreditiert. Die Falken wollen der Allgemeinheit ihre Rede von der
einen Wahrheit und der Durchsetzung als Konfliktlösung unterjubeln. Nicht
nur die jeweilige Gegenseite, auch Ambivalenz und Ausgleich sind Ziel ihrer
Angriffe. In dieser Situation sind Versteherinnen-Versteherinnen gefragt.
Menschen, die sich öffentlich zu Ausgleich, Verstehen und Verständigung
bekennen. Stärken wir die Tauben. Gerade bei den Konflikten in der Ukraine
und Gaza ist ihre Stimme zu leise. Auf sozialen Medien, aber auch in der
veröffentlichten Meinung in Print, Funk und Fernsehen. Es fehlt an
Vermittlungs-, nicht an Durchsetzungskraft.
(Philipp Sonderegger auf seinem Blog)
*

1 Männer werden mitgemeint
2 Herbert Blumer: Symbolic Interactionism. Perspective and Method, Englewood
Cliffs, New Jersey 1969.
http://www.academia.edu/5392272/2-Herbert_Blumer_Symbolic_Inter
actionism_Perspective_and_Method_1986

*

Quelle mit erklärenden Links:
http://phsblog.at/versteherinnen-versteherinnen/



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