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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. Juni 2014; 14:45
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Ukraine:

> Nach der "Revolution"

Kampf der Korruption - für eine faire kapitalistische Konkurrenz
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Welche Differenzen auch immer die Akteure der Krise trennen mögen -- eine
Sache wollen sie alle bekämpfen: die Korruption. Korruption verurteilen
alle; Putin sagte bereits am 4. März, dass in der Ukraine ein Grad der
Korruption herrscht "von dem wir in Russland nur träumen".(1) Korruption war
der verbreiteteste Vorwurf der Maidan-Proteste gegen den gestürzten
Präsidenten Janukowitsch. Die Korruption soll der Grund sein, warum seine
Widersacherin Timoschenko im Gefängnis landete. Seit 2004 wirft Timoschenko
den Oligarchen ständig Korruption vor. Korruption, private Bereicherungen im
Amt -- alle sind dagegen, bloß weniger wird es nicht.

Auch Linke sind schnell mitempört, wenn sie von Korruption lesen oder hören.
Dabei stellt niemand die Frage, um Verletzung welchen Ideals es eigentlich
geht. "Korruption" bedeutet Abweichung von den gesetzlichen Normen, nach
denen der Staatsapparat nicht zur Befriedigung persönlicher Interessen
dienen soll: Polizei und Steuerbehörden, Ministerien und Parlamente sollen
nicht dafür da sein, sich zu bereichern. Was sie in der Gesellschaft
gewährleisten sollen, ist das Funktionieren der rechtsmäßigen Bereicherung:
dass die Konkurrenz für alle nach den gleichen Regeln läuft, dass der Staat
die Bedingungen für das Geldverdienen bereit stellt, aber nicht für eine der
konkurrierenden Geschäftsleute Partei ergreift. Kurz gesagt: der Staat soll
Schiedsrichter, nicht Spieler auf dem ewiggrünen Fußballfeld der freien
Marktwirtschaft sein; neutraler Staat, faire Konkurrenz.

Korruption -- was ist das?

Die Definition und Verfolgung von Tatbeständen der "Korruption" gehört zu
dem Grundsatz, den die Regierungen in kapitalistischen Staaten sich
verschreiben: der alleinigen Herrschaft des Rechts. Das Recht, das
herrscht, dient diesem Grundsatz zufolge der richtig gebrauchten Freiheit
und dem wohlverstandenen Eigeninteresse der Bürger. Deswegen und insofern
sind sie eigentlich niemandem Untertan als eben der gewaltsamen gesetzlichen
Anleitung zu ihrem eigenen Wohl. Offenbar sind die Freiheiten und
Interessen, die das Rechtsystem des Staates so "hilfreich" normiert, so,
dass sie ohne gleichmäßige Unterwerfung unter die Regeln einer hoheitlichen
Gewalt gar nicht koexistieren, geschweige denn kooperieren könnten, sondern
einander ausschließen und zugrunde richten würden.

Nun funktioniert das alles in der Ukraine seit der Unabhängigkeit und
Einführung des Marktes nicht so richtig. Weil die einzelnen Kapitalisten
sehr schnell feststellten, dass der schnellste Weg zum Reichtum über den
Staat führt, weil, anderes als im Westen, an dem man Beispiel nehmen soll,
gar keine funktionierende kapitalistische Ökonomie bereitsteht. Die Betriebe
der Sowjetzeit waren nicht für Konkurrenz auf dem freien Markt tauglich. Die
Eigentumsverhältnisse waren nicht geklärt. Die allseits verteufelten
"Oligarchen von Donezk" haben, als der Unternehmergeist in ihnen wach wurde,
erstmals sich etwas Startkapital mit nicht ganz gesetzkonformen Mitteln
gesammelt (sowjetische Gesetze sahen Anhäufung von Startkapital für
Unternehmer nicht vor), und dann sich im Kampf um Privatisierung von
Immobilien, Kohlengruben und Betriebe aus der Sowjetzeit durchgesetzt. Wenn
man die Medien des Maidan-Lagers verfolgt, kann man einiges über die
blutigen Anfängerjahren von Janukowitschs Mitstreitern erfahren. Die
Erkenntnis, dass erst die staatlichen Subventionen marode
Kohlengruben-Region lukrativ macht, ließ nicht auf sich warten. Damit war
auch der Gang in die Politik unvermeidlich. Die Ergebnisse von Marsch durch
die Institutionen, den die tüchtigen Geschäftsleute von Donezk noch in den
90er angetreten sind (und unter Janukowitsch triumphal durch den Zugriff auf
so gut wie alle Schaltstellen der staatlichen Macht beendeten), können sich
sehen lassen.

Ihre Konkurrenten greifen zu radikalen Mitteln, um sie aus dem
Geschäftsleben zu entfernen. Im Grunde wissen aber auch die besorgten
westlichen Journalisten, dass man in der Ukraine keinen Trennungsstrich
zwischen Korruption und normalem Geschäftsleben ziehen kann. Korruption soll
eine Abweichung darstellen. Aber wenn es die Norm geworden ist, fragt sich,
was der Appell an härteres Durchgreifen meint: wer soll eigentlich gegen wen
durchgreifen? Und womit: Woher soll der nichtkorrumpierte Gewaltapparat auf
einmal kommen?

Alles wird gut

Aber Hilfe naht: Wenn Milliardär Petro Poroschenko Präsident wird, wird es
wohl weniger Bestechungen geben. Wen soll er als Präsident noch eigentlich
bestechen? Die Übergangsregierung gibt es aber auch noch: Diese neuen
Amtsinhaber haben sich Korruptionsbekämpfung auf die Fahnen geschrieben,
aber auch ihren Crashkurs in "Pragmatismus" hinter sich: um den Osten zu
befrieden, wurden die Oligarchen Sergei Taruta und Ihor Kolomojskyj zu
Gouverneuren von jeweils Donezk und Dnipropetrowsk (östliche
Regionalzentren) ernannt. Taruta hat den Ruf, aus dem Osten kommend, aber
schon immer "pro-orange" gewesen zu sein. Kolomojskyj, einst Verbündeter von
Timoschenko, gilt als Spezialist für "Raidertum": faktisch gewaltsam
erzwungene Unternehmensübernahmen.

Ein besonders skurriler Verbündeter der Übergangsregierung ist bzw. war
Gennadi Kernes, der Bürgermeister von Charkow, der am 28. April bei einem
Attentat lebensgefährlich verletzt wurde. Einst Unterstützer der "orangenen"
Proteste von 2004/2005, wechselte er zu Janukowitschs Lager und verfolgte
jegliche Opposition in seiner Region. Doch ab Ende Februar wandte er sich
scharf gegen alle Abspaltungspläne und betonte, das Charkow zu Ukraine
gehört. Als er den aufgebrachten "Föderalisten" auf einer Demo sagte, dass
in der Stadt nur ukrainische Gesetze gelten, wurde er von einer
Menschenmenge als "Verräter" ausgepfiffen und verjagt.
*Alexander Amethystow*

(1) http://elknews.ru/?page=fullnews&news=22609&category=main



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