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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. Juni 2014; 14:55
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Glosse:

> Wahrheit 2014

Was staatliche Geheimhaltungswünsche, Twitter und Verschwörungstheoretiker
verbindet.
Eine undifferenzierte Unmutsäußerung.
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Diese Welt ist unheimlich kompliziert geworden. Und laut! Denn alle schreien
sie. Die Marktschreierei hat ein Ausmaß angenommen, wogegen der mediale
Overkill, wie er in den 90ern diagnostiziert wurde, wie ein dünnes
Propagandarinnsal erscheint.

Nichts ist mehr zu glauben und alles ist Zweifel zu ziehen. Denn natürlich,
man muß prinzipiell skeptisch bleiben.

Aber ist ausgerechnet das neue bestimmende Medium, Social Media genannt, ein
Ort, diese Skepsis zu leben? Diese Geschimpfe, dieses Getwittere, dieses
Tourette für alle -- an sich vernünftige und liebenswerte Menschen (wie eben
auch viele echte Tourette-Patienten) werden in diesen neomedialen
Auseinandersetzungen, wo nichts außer kurzen Statements gefordert ist, zu
Berserkern. (Der Verfasser dieser Zeilen ist selbst einmal sehr erschrocken,
wie er ein differenziertes Statement abgeben wollte, es aber auf Twitter aus
Formatgründen kürzen mußte, so daß nur mehr eine wenig originelle Gemeinheit
überblieb.)

Heutzutage scheint -- auch im realen Leben und auch im Fernsehen -- eine
Diskussion ohne diesen verknappten Stil nicht mehr führbar -- und mit diesem
Stil ist es keine echte Diskussion. Als Beweis einer Behauptung gilt schon
ein verfremdetes und verkürztes Zitat ohne Beleg oder ein Link auf irgendein
Video auf Youtube (das aber nicht länger als 3 Minuten dauern darf und das
inhaltlich auch nicht mehr hergibt als ein Tweet mit seinen 140 Zeichen).

Soviele Zweizeiler auf Twitter und auf Facebook erklären die Welt ganz
einfach. Ein Argument in einer Debatte verkommt zu einem Statement, dessen
Gehalt kaum größer ist als das, was der common sense als Demokratie ansieht:
Ein Kreuzerl bei einer der Streitparteien. Es wird nicht argumentiert oder
gar aufeinander eingegangen, sondern mit der Attitüde der Empörung ein
unverrückbares Weltbild manifestiert. Das wird dann als Kommunikation
angesehen.

Die Sozialen Medien ergänzen oder gar ersetzen immer stärker die alte
One-Way-Kommunikation der klassischen Massenmedien. Es bräuchte hier also
genau die gleiche journalistische Ernsthaftigkeit. Nur beim Surfen im Netz
ist heute kaum mehr zu unterscheiden zwischen ernsthaften Statements,
blühendem Unsinn, Sarkasmus und Satire -- demenstprechend wird auch
unterschiedslos reagiert. In den Sozialen Medien kommen die klassischen
Zeitung schon noch vor -- als Links. Und Aufreger aus der Kronenzeitung, dem
Wall Street Journal, der Satireplattform "Tagespresse" oder der
verschwörungstheoretischen Site "Deutsche Wirtschaftsnachrichten" erscheinen
gleichermaßen Grund für Empörung, weil in der Schnelligkeit niemand mehr
darauf achtet, wer hinter der Meldung oder dem Kommentar steht.

Gleichzeitig stirbt dabei aber der klassische Journalismus immer mehr und
wird durch genau die gleiche Hysterie ersetzt -- kein Wunder, wer will schon
für eine gedruckte Zeitung mit elendslangen Welterklärungen zahlen, wenn es
die Wahrheit doch wohlfeil (sprich: gratis und im Telegrammstil) auch im
Internet gibt. Auf diese Konkurrenz gilt es zu reagieren. Wenn
professionelle Medien sich nurmehr über Werbeklicks finanzieren, darf man
sich auch über die Inhalte nicht wundern.

*

Themenwechsel: Warum jetzt in Österreich anstatt der versprochenen
Transparenz und einem Ende des Amtsgeheimnisses plötzlich
Geheimhaltungsstufen Ende nie installiert werden sollen und das
Minderheitenrecht auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß mit
Aussperrung der Medien verknüpft werden soll, ist natürlich hauptsächlich
darauf zurückzuführen, daß so einiges an Korruption, Behördenwillkür und den
Machenschaften des Tiefen Staates vertuscht werden soll.

Allerdings gibt es auch einen anderen Grund dafür: Die Furcht vor dem
Tribunalcharakter in einer Medienlandschaft wie dieser.

An sich ist der Tribunalcharakter eines U-Ausschusses ja eine
Notwendigkeit -- schließlich geht es um politische Verantwortung, die
Anprangerung unabdingbar macht. Ein U-Ausschuß kann weder Strafen
aussprechen noch Mandatare aus dem Amt entfernen -- sein Sinn besteht eben
nur in der Öffentlichkeit. Ansonsten würden nur ein paar Abgeordnete auch
der Opposition etwas von diversen Macheloikes erfahren nach dem Motto: 'Gut,
daß wir mal darüber geredet haben, aber das bleibt schon unter uns, ja?'

Aber: U-Ausschüsse behandeln oft komplese Materien -- diese müssen, um einen
größeren Rezipientenkreis zu erreichen, durch den Filter der professionellen
Berichterstatter. Und danach wird das nochmals für den Boulevard
vereinfacht. Zuletzt wird es (und damit bin ich wieder beim ursprünglichen
Thema) in den Sozialen Medien zu einem Zweizeiler verkürzt -- daß man da
keine Fairness in der Debatte erwarten kann, ist logisch und die Sorge
deswegen erscheint verständlich.

Wer hat heute noch Zeit und Muße, all die Artikel, auf die man da im Netz
hingewiesen wird, ernsthaft zu lesen? Wer liest die langen komplizierten
Texte und wer die kurzen, für die man nicht mehr als 3 Minuten braucht?
Eben! Auch der professionelle Journalismus tendiert daher in die Richtung
der Kürze.

In der Kürze liegt die Würze. Oder der Hase im Pfeffer. Denn das Gepfefferte
schlägt sich seine Bahn durch die Netze, es reichen Triggerworte und schon
wird ein Mißverständnis zur neuen Wahrheit. Nachdem politische Kommunikation
immer mehr den Prinzipien des Spektakels genügen muß, ist das schon
folgerichtig. Denn wer verteidigt sich heute noch mit den Worten: "Das Zitat
wurde aus dem Zusammenhang gerissen!"? Kaum jemand, denn die politische
Debatte scheint heute überhaupt nur mehr aus dem Wiedergeben von einzeiligen
Zitaten zu bestehen, die aus dem Zusammenhang gerissen worden sind. Wer da
noch von Zusammenhängen redet, ist aber sowas von 20.Jahrhundert und hat die
Zeichen der Zeit nicht verstanden.

Von all dieser Verkürzung, Fragmentierung, aber auch der Geheimnistuerei der
Regierenden leben die Verschwörungstheoretiker, diese Sagenerzähler der
modernen Zeit, die Geschichten von sich geben, die einen historischen Kern
besitzen, aber alles drum herum ist frei erfunden. Fast müßte man die
Verfasser dieser düsteren modernen Legenden für ihre phantastischen Ideen
loben, wenn sie das Ganze nicht als die absolute und unwiderlegliche
Wahrheit präsentieren würden -- und das leider auch oft genug so rezipiert
würde.

Nur: Hier schließt sich der Kreis -- gerade das Bedürfnis nach Geheimhaltung
und die Verknappung von Statements der angeblich Verantwortung tragenden
Damen und Herrn, entzieht einer unseriösen Rezeption ihrer Tätigkeit nicht
den Boden, sondern macht diesen besonders fruchtbar für jene Blüten, die das
Web so treibt.

Eine demokratische Notwendigkeit stellt sich für uns alle dar, Offenheit
einzufordern, aber auch selbst mehr Texte zu lesen, die über 140 Zeichen
hinausgehen. Contenance und Contemplation wären angebracht beim Medienkonsum
und den eigenen Reaktionen darauf -- und nicht nur das Amusement schräger
Videos, in denen es um US-Luftwaffenstützpunkte geht, von denen aus
Chemtrails produziert werden, die die Europäer alle schwul werden lassen
sollen.

"Wir amüsieren uns zu Tode" war der vielbeachtete Titel eines wahrscheinlich
wenig gelesenen Buches von Neill Postman -- der meinte Mitte der 80er
allerdings hauptsächlich das Fernsehen. Retrospektiv betrachtet waren das
noch Hochzeiten der intelligenten Kommunikation, denn die damals kritisierte
Tendenz hat sich noch weiter verschärft.

*

Ja, ich weiß, das alles klingt so nach Kulturpessimismus und alternden
Medienmenschen, der meint, früher wäre alles besser gewesen. War es
natürlich nicht. Trotz einer enormen Präsenz der professionellen
Meinungsmacher ist dem Netz dessen pluralistischer Charakter ein stückweit
erhalten geblieben und wurde durch viele Zugangserleichterungen zum Teil
sogar verstärkt. Man muß heute kein Nerd mehr sein, um im Netz partizipieren
zu können. Massenkommunikation ist nicht mehr die Sache von wenigen
Inhaltsproduzenten, sondern für jeden, der mitmachen möchte und sich einen
Computer und einen Internetzugang leisten kann. Aber für dies Masse -- also
mehr oder weniger für uns alle -- trifft schon das zu, was Angela Merkel in
einem viel belächelten Statement über die moderne Informationstechnologie an
sich gesagt hat: Netzkommunikation ist immer noch "Neuland".

Vielleicht entwickelt die nächste Generation der digital natives eine neue,
bessere Kommunikationskultur und wird über das, was wir heute social media
nennen, -- und über Krone-Schlagzeilen -- genauso den Kopf schütteln, wie
wir heute über die Propagandaparolen des Ersten Weltkriegs. Das bleibt
immerhin zu hoffen. Und vielleicht wird diese Generation auch eine
Gesellschaft schaffen, in der anstehende Probleme weder unter den Teppich
gekehrt noch zu Skandalphantasien aufgeblasen werden. Die Entwicklung der
Medien seit Gutenbergs Zeiten läßt einem da zwar nicht viel Hoffnung, aber
aufgeben sollte man sie dann doch nicht.
*Bernhard Redl*



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