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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. Juni 2014; 15:00
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Glosse/Wirtschaft:

> Wohnst Du noch oder zerstörst Du schon?

"Handwerk hat goldenen Boden" Das war einmal. In den Sturmfluten der
Globalisierung versinken die kleinen Handwerksbetriebe nur allzuoft mit Ross
und Wagen. Wenn ich aufmerksam die Zeitung lese dann ist's ja auch kein
Wunder, dass jetzt schon das Brot aus China stammt. Was wir aber ganz genau
wissen: Die unter sklavenartigen Bedingungen hergestellten Wegwerf-Textilien
sind aus Bangladesh und sattsam bekannte Billig-Möbel werden immer öfter aus
illegal geschlägertem Holz irgendwo in Asien zusammen gezimmert.

Mit der zu Sklaventreiberei und illegalem Holzeinschlag nötigen kriminellen
Energie sind unsere kleinen Handwerksbetriebe - meist sind es
Familienunternehmen - nun ganz sicher nicht ausgestattet. Also eh schon
alles verloren? Handwerk - keinen Boden mehr unter den Füßen? Vom einstigen
goldenen Boden keine Rede mehr? Man kann's gottseidank nicht
verallgemeinern. Denn es gibt Initiativen, die sich diesem Trend vehement
entgegenstemmen. Ansonsten müsste ich tatsächlich verzweifeln.

Am Beispiel der Bäcker...

Anfang dieses Jahres verkündete der Diskonter Hofer, 100 Mio. ? in
sogenannte Backstationen in den 450 Filialen investieren zu wollen, um
,frisches Brot und Gebäck' anbieten zu können. Wobei sich frisch wohl nur
auf den Backvorgang im engeren Sinn beziehen dürfte. Alles andere ist
backtechnisch ,uralt'. Der Teig (im Neusprech liebevoll ,Teigling' genannt)
stammt meist aus Polen, immer öfters auch aus China (!). Tiefgefroren
geliefert und in Wulkaprodersdorf, Wörgl oder Wilgartswiesen von mies
bezahltem Personal frisch ,aufgebacken'. Mit synthetischen Duftstoffen
versehen riecht die Pampe dann auch tatsächlich nach Brot. Von ihren Nasen
verführt zücken Konsument_innen verzückt ihre Geldtaschen. Mahlzeit. Die
Folgen für das Bäckerhandwerk sind indes verheerend: Von 2005 bis 2009 gaben
339 Bäckereien in Österreich auf, das sind mehr als 18 % der Unternehmen. In
Wien gab es vor 20 Jahren noch 700 Bäckereien, heute sind es noch 110. Eine
Zahl, die mit Sicherheit noch weiter sinken wird. Von der Qualität des
Brotes soll hier erst gar nicht mehr die Rede sein.

... und der Tischler

Und beim Möbelhandel? Da geht's noch einige Grade brutaler zu, der Wahnsinn
wird hier zur globalen Methode. Die Folgen kriminellen Handelns und
unfassbarer Profitgier beeinflussen sogar das Weltklima. Gerade eben schlägt
Greenpeace Alarm: Illegal gerodetes Amazonasholz aus Brasilien wird mit
gefälschten Papieren weltweit importiert und verkauft - auch in Deutschland,
Österreich und der Schweiz. Wie wir uns das immer schon gedacht hatten,
möchte ich gerne sagen. Aber dass allein im brasilianischen Bundesstaat Pará
78 % des Holzes aus illegalen Rodungen in einer der letzten noch intakten
'Lungen' des Planeten stammt, sollte zumindest unseren Behörden eine Warnung
sein. Ist es aber ganz offensichtlich nicht. Weshalb? Das ist eine gute
Frage, der gegebenenfalls die Korruptionsstaatsanwaltschaft nachgehen
müsste.

Denn: Genau diese Sache ja schon länger aktenkundig. Vor einigen Jahren hat
ein ehemaliger IKEA-Spitzenmanager schwerste Vorwürfe gegen den IKEA-Gründer
Ingvar Kamprad erhoben. Rund ein Drittel des IKEA-Holzes sei illegal
geschlagen worden, behauptete er. Kamprad sei ein Meister der Täuschung,
denn gleichzeitig mit öffentlichkeitwirksamen Kampagnen mit
Umweltorganisationen seien für IKEA Urwälder abgeholzt worden. Den
legendären IKEA-Werbespruch "Wohnst Du noch oder lebst du schon" musste
offensichtlich schon damals ergänzt werden: Lebst du schon mit
Regenwaldmöbeln? Ich glaube jedenfalls der IKEA-Werbung kein Wort mehr,
solange IKEA die Holz-Bezugsquellen nicht im Detail offen legt. Oder haben
die dreisten Schweden etwa Muffensausen? Wenn ja: warum?

Aber noch ist Polen nicht verloren. Kürzlich habe ich einige Bekannte
gefragt, was sie mit der altehrwürdigen Bezeichnung "Handwerker" heute noch
anfangen können. Die Antworten waren einigermaßen überraschend. Ursprünglich
hatte ich angenommen, das Wort Handwerk würde heute keinen Hund mehr
hinter'm
Ofen hervorlocken. Weit gefehlt, wie ich überrascht resümieren darf. Mit dem
Wort Handwerk werden offenbar vor allem Eigenschaften wie solid, genau,
ehrlich und schön assoziiert. Auch die berühmte "Handschlagqualität" taucht
immer wieder auf, wenn von Handwerk die Rede ist.

Ich behaupte: Die Bereitschaft, ehrliche Produkte zu kaufen, deren Holz
unter Garantie NICHT aus illegalem Einschlag und damit meist aus
Regenwäldern stammt, ist vorhanden. Eigentlich muss nur eine Grundregel beim
Kauf berücksichtigt werden: Keine Möbel aus Pressspanplatten. Sie sind nicht
nur ungesund weil mit Chemie verleimt. In den Spanplatten kann Regenwaldholz
relativ einfach ,versteckt' werden.

Der Trend zu den etwas teureren, dafür aber 'ehrlichen' Produkten aus
heimischer Erzeugung hat sicher noch nicht alle Bevölkerungsschichten
erfasst. Aber die Bereitschaft, auf importierten Billigst-Plunder zu
verzichten und auf österreichische oder zumindest europäische Qualität und
Nachhaltigkeit zu setzen, steigt dennoch. Und ein Name ist mit diesem
Umdenken eng verbunden: Heinrich 'Heini' Staudinger.

In der breiten Masse wurde Heini als 'Finanzrebell' bekannt. Hatte er doch
seine Waldviertler Aktivitäten mit Darlehen von Privatpersonen finanziert,
weil er die Arbeitsweise der Banken zutiefst ablehnt. Staudinger hat bereits
vor 30 Jahren begonnen, die alte Waldviertler Tradition der Schuh- und
Möbelproduktion zu erhalten. Mit Erfolg, wie sich herausstellt. Seine
'Waldviertler Schuhe' und die GEA-Möbel sind längst zum Inbegriff
nachhaltiger, regionaler Produktion geworden. Etwas teurer, aber auf jeden
Fall ehrlich hergestellte Qualität. Ohne Ausbeutung von Mensch, Tier oder
Umwelt.

Billig ist teuer

Ich höre schon die lebhaften Einwände vieler Leser_innen, nicht das nötige
Kleingeld für solche Qualitätsprodukte aufbringen zu können. Aber - so
entgegne ich immer - Billigst-Plunder muss immer wieder ersetzt werden. Ob
Schuhe, Möbel, Elektrogeräte oder was auch immer. Qualitätsprodukte halten
hingegen über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Ich kann es offen zugeben: Ich
hätte jedenfalls nicht das Geld, mir alle paar Jahre neue Möbel und jährlich
neue Schuhe zu kaufen, weil die Billigprodukte in ihre Bestandteile
zerfallen.

Also, Hand auf's Herz: Wohnt ihr nur oder zerstört ihr schon?
(Werner Kräutler / gek.)

Quelle: http://tirol.org/allgemein/wohnst-du-noch-oder-zerstoerst-du-schon



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