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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. Juni 2014; 14:59
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Petition:

> Leerstand öffnen, Raum für alle!

Die Stadt Wien ist voller leerstehender Räume. Die IG Kultur Wien fordert
die Wiener Landesregierung auf, sich mit mehr Mut den sozialen Anforderungen
von Stadtplanung und Stadtentwicklung zu widmen.

Unterzeichnungen möglich unter:
http://www.igkulturwien.net/index.php?id=leerstand
*

Es gibt viele Beispiele aus anderen europäischen Städten, die für die
Entwicklung eines nachhaltigen Leerstandsmangements Pate stehen könnten. Wir
fordern:

Gesamtstädtische Perspektive!

Es sollen nicht einzelne Straßen und Grätzel als "kreative hotspots"
herausgepickt werden, die dann "revitalisiert" bzw. aufgewertet werden, mit
der Konsequenz von schnell steigenden Grundstückskosten und überhöhten
Mieterwartungen. Eine "Agentur für Zwischennutzung" sollte keine Institution
sein, die Verdrängungsprozesse von wirtschaftlich schwächeren
Stadtbewohnerinnen fördert. Es muss eine gesamtstädtische Perspektive zum
Thema entwickelt werden, die den sozialen und kulturellen vor den monetären
Mehrwert setzt. Nach dem Motto 'jedem Grätzel sein Grätzel-Treff' braucht es
eine breite Infrastrukturförderung von einfach adaptierbaren
semi-öffentlichen und öffentlichen Räumen in allen Bezirken.

Nachhaltiges Leerstandsmanagement!

Ein sinnvolles Planungsprojekt darf nicht ausschließlich auf
Zwischennutzungen fokussieren, sondern muss ein nachhaltiges
Leerstandsmanagement entwickeln, das auch mittel- und langfristigen
Raumbedarf einbezieht. Ziel sollte es sein, grundsätzlich alternative Um-
und Weiternutzungen zu ermöglichen und zu vereinfachen. Um einen
Interessensaustausch langfristig strukturell zu verankern, sollte es einen
stadt-externen Beirat für die Agentur geben. Der Beirat sollte nicht
parteipolitisch besetzt sein und die IG Kultur Wien und weitere unabhängige
Institutionen als Interessenvertretungen der freien und autonomen
Kulturszene gleichberechtigt und ständig einbeziehen.

Gesetzliche Rahmenbedingungen verändern!

Im Zusammenhang mit einem verträglichen gesamtstädtischen
Leerstandsmanagement muss eine Auseinandersetzung mit Strategien
stattfinden, die den gesetzlichen Rahmen betreffen. Lange Leerstände sollten
gesetzlich verhindert und niedrigschwellige Zugänge ermöglicht werden.
Amsterdam kann auf eine lange Tradition von selbstangeeigneten
Leerstandsnutzungen zurückblicken, die ein vielfältiges kulturelles Leben in
der Stadt ermöglichten. Die Grundlage dafür wurde durch aktive Gruppen und
ein spezielles Hausbesetzungsgesetz geschaffen, das bis 2010 Besetzungen von
länger leerstehenden Gebäuden legalisierte.

Bottom-up statt top-down!

Die Planung sollte weniger von oben her ihre Vorstellungen durchsetzen, als
vielmehr auf schon bestehende Initiativen und Projekte reagieren und diese
fördern. Es sollte eine größere Offenheit gegenüber aktiven
Aneignungsprozessen und Raumnahmen geben. Viele zentrale Kulturorte in Wien,
die nicht mehr wegzudenken sind, sind aus Besetzungen und ihrer Duldung oder
Legalisierung entstanden. Wie gut das auch aktuell noch funktionieren kann
wird am "Gängeviertel" in Hamburg deutlich. Vor drei Jahren wurden
zentrumsnah zwölf teils verfallene Häuser angeeignet und bespielt. Die Stadt
hat den schon gemachten Deal mit einem holländischen Investor
rückabgewickelt und hat seitdem in der fast ausgestorbenen Innenstadt einen
neuen vielfältigen, kulturellen und höchst belebten Ort.

Faire Vermittlung!

Fairness heißt strukturellen Benachteiligungen entgegenzuwirken.
Leerstehende Räume sind selten in einem guten Zustand und müssen mit wenigen
finanziellen Mitteln nutzbar gemacht werden. Den Raum dann nur kurzfristig
nutzen zu können, verstärkt die prekäre Situation für die NutzerInnen.
Darum: Wenn schon Zwischennutzung, dann sollte eine Nutzung auf
Betriebskostenbasis der Standard werden. Kündigungsfristen sollten der
Nutzung entsprechen und können kurz sein, aber weniger als vier Wochen sind
definitiv inakzeptabel. Verträge müssen auch für Unwissende durchschaubar
sein. Für eine faire Vermittlung braucht es eine unabhängige rechtliche
Beratung und eine kontinuierliche Begleitung des Kommunikationsprozesses.

Transparenz und Kommunikation!

Wieviel Leerstand gibt es überhaupt? Gute Frage! Hier braucht es eindeutig
mehr zugängliche Informationen. Die Stadt sollte zumindest ihre eigenen
leerstehenden Raumressourcen offenlegen, und EigentümerInnen müssten
generell zur Anzeige von Leerstand verpflichtet werden. Ein offener Zugang
zu den Grundbucheinträgen (1) wäre dabei ein wichtiges Mittel, um nicht
gemeldete Leerstände und verletzte Anzeigepflichten zuordnen zu können.
Transparenz in Bezug auf Leerstand zu schaffen ist keine Unmöglichkeit! Das
statistische Amt des Kantons Basel Stadt etwa sammelt jährlich sehr genaue
Daten zu Wohnungs-, Geschäfts- und Industrieleerstand und macht sie
öffentlich verfügbar. In Zürich ist die Erhebung von Leerstand sogar im
Bundesgesetz festgeschrieben. Der Leerstandmelder Wien, ein noch junges
Projekt der IG Kultur Wien, greift auch dieses Problem der Intransparenz auf
und wirft per kollektiver Kartierung im Netz einen Blick auf das Thema
Leerstand in Wien. http://www.leerstandsmelder.net

Runter mit den Mietpreisen!

Wien wächst, aber einen ausgleichenden, sozialen Wohnbau gibt es seit 2004
praktisch nicht mehr. Im privaten Bereich ist das Mietniveau in den letzten
zehn Jahren durchschnittlich um 45% gestiegen. In den vor 1945 gebauten
Häusern, die privat vermietet werden, werden mehr als die Hälfte der
Wohnungen befristet neuvergeben. Laut Gesetz ist ein Abschlag von 25% bei
Befristungen vorgesehen, der aber nirgendwo eingehalten wird. Er ist auch
nicht einklagbar, weil Ab- und Zuschläge derweil nicht ausgewiesen werden
müssen. Die MieterInnen solcher Wohnungen stehen zeitnah wieder vor dem
Problem eine bezahlbare Wohnung zu finden, was bei steigenden Mietpreisen
schwieriger wird. Wer dann noch im selben Grätzel bleiben möchte, hat ganz
schlechte Aussichten.

Am Wohnungsmarkt gibt es faktisch schon eine Form der "Zwischennutzung",
deren positiver Effekt für MieterInnen und NutzerInnen schwer zu erkennen
ist. Im Gegenteil, es kommen wirtschaftliche Interessen sogar am Gesetz
vorbei vor allen anderen Bedürfnissen zum Zuge und verschlechtern die
Situation von MieterInnen und NutzerInnen durch eine erzwungene
Flexibilität. Ein sinnvolles Leerstandsmanagement ist im Kontext der
steigenden Miet-, Immobilien- und Bodenpreise zu diskutieren. Der Ansatz
"Zwischennutzungen zu vereinfachen", reicht nicht aus. Es müssen
Möglichkeiten zur Leerstandsnutzung geschaffen werden, die diesen Prozessen
entgegenwirken.

Eine mutige Leerstandspolitik als Einstiegspunkt für eine andere
Stadtpolitik

Leerstand bietet Möglichkeiten und Chancen, diese müssen genutzt werden. Ein
mutiger Umgang mit Leerstand sieht nicht nur Verwertungsmöglichkeiten und
Förderungen von kreativen Hot Spots, sondern sieht (im Gegenteil) die
Nutzung von Leerstand als einen Einstiegspunkt für eine Stadtpolitik, die
den Zugang zu städtischen Ressourcen für alle gewährleisten will.

Sie sieht Leerstand als ein städtisches Allgemeingut an, das von denen
verwaltet und organisiert werden soll, die es wirklich nutzen. Sie erkennt
die Möglichkeiten von Leerstand an, einen Raum zu schaffen, der zum
selbstorganisierten Aufeinandertreffen von Nachbar_innen einlädt, der
Experimentierlabor ist, um andere Formen von sozialen Beziehungen zu
entwickeln, andere Formen zu erlernen mit Besitz/Eigentum und Ressourcen
umzugehen.

Diese Perspektive der Stadtentwicklung nimmt damit Begriffe wie soziale
Gerechtigkeit und Partizipation ernst und füllt sie mit Inhalt. Der Umgang
mit Leerstand kann und muss der Einstiegspunkt sein für einen gänzlich
anderen Weg.

Die Stadt gehört uns allen!

(Petitionstext)
*

(1) Anm.d.Red.: Das Grundbuch ist allgemein zugänglich, allerdings nicht
kostenfrei. Bei umfassenderen Untersuchungen beispielsweise ganzer Grätzeln
ist das nicht so ohne weiteres leistbar



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