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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. Juni 2014; 14:54
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Glosse/Polizei/Antifa/Wien:

> Die Zeiten werden härter

Auf Wiens Straßen zeigt sich eine ungute Tendenz
*

In den letzten zwei Jahren war die Gegengegendemo bei den Fundi-Christen
anläßlich der Regenbogenparade immer die lustigste im Demokalender. Die
Christen lieferten ein paar jenseitige Sprüche und bekamen darauf die
Antwort: "Eure Kinder werden so wie wir!" Ein bisserl Gerangel vielleicht,
ein paar Polizisten, die auch nicht so recht wußten, was das alles soll, und
ganz viele Touristen, die das Spektakel teils belustigt, teils ratlos
betrachteten. Es war laut, aber die Stimmung wenig aggressiv.

Diesmal war das anders. Unter die Christen mischten sich die Nazis einer
"Europäischen Aktion in Deutschland - Die Bewegung für ein freies Europa".
Deren Argumentation ist nicht unähnlich der der Identitären, aber noch einen
Zacken schärfer: Die weiße Rasse und das europäische Christentum müßten
geschützt werden -- natürlich vor den Schwarzen, den Amerikanern und Israel.
Das Symbol dieser Euro-Nazis: Ein Kruckenkreuz in den Farben der EU. Selbst
die Polizei stellte in einer Aussendung fest, daß der verteilte Folder
dieser Gruppe "nationalsozialistischen Inhalt" hätte, doch "sofortige
Erhebungen vor Ort durch das Landesamt Verfassungsschutz" hätten "keinerlei
Hinweise ergeben, dass dieses Folderexemplar im Zusammenhang mit der
betreffenden Demonstration" stünde. Daß die kurzgeschorenen Männer mit einer
Fahne mit dem selben gelb-blauen Kreuz wie auf dem Folder ein Teil der
Christendemo waren, übersah der Verfassungsschutz geflissentlich.

Aber auch in anderer Hinsicht sah die Demo diesmal anders aus. Das
Polizeiaufgebot war aggressiver und anstatt eines gemischten Marsches von
Gegendemo und Gegengegendemo durch den Graben wie im letzten Jahr, gab es
eine Blockade des Christen-Nazi-Gemischs. Die Polizei trat behelmt auf und
es kam zu mehreren teils recht ruppigen Festnahmen -- natürlich nicht der
Nazis (Siehe auch Kasten mit Sigi Maurers Gedächtnisprotokoll).

Szenenwechsel: Auch beim Erdogan-Besuch tauchten Naziglatzen auf -- diesmal
auf Seiten der Gegendemo. Bei dieser Demo dürfte die Polizei diese aber
großteils abgedrängt haben. Dafür nahm jedoch die Polizei einen nichtigen
Vorfall gleich zum Anlass für den Einsatz von Pfefferspray. Eine Flasche war
aus einem Lokal Richtung Demo geflogen -- die Reaktion aus der Demo heraus
wäre früher von der Polizei mit einem Sperrriegel beantwortet worden, jetzt
jedoch wurden alle Anwesenden flächendeckend eingenebelt. Das als
mindergefährliche Abwehrwaffe gedachte Pfefferspray wird jetzt bedenkenlos
bei geringsten Anlässen als Angriffswaffe gebraucht -- oder auch ohne
erkennbaren Anlaß, wie von der Identitärendemo bekannt.

Apropos Identitärendemo. Deswegen wurde am Montag (nach einem Monat U-Haft)
der Gegendemonstrant Martin N. zu 5 Monaten bedingt verurteilt. Zitat aus
dem "Standard"-Prozeßbericht: "Der Polizist sagte im Zeugenstand, er sei von
N. umgestoßen worden. Zudem habe N. bei der darauffolgenden Festnahme 'wild
um sich geschlagen' und ihn im Genitalbereich gedrückt. Letzteres gestand
der Angeklagte, der im Gegenzug angab, vom Polizisten zweimal mit der Faust
ins Gesicht und mit dem Kopf gegen den Asphalt geschlagen worden zu sein.
Dies wurde wiederum vom Polizisten bestätigt." Letzteres erscheint dann wohl
legitim, oder wie?

Auch die Festnahmen am 4.Juni -- von denen eine blutig zu nennen ist -- die
unter extrem gefährlichen Bedingungen in einer U-Bahn-Station stattfanden,
zeigen, woher der Wind weht. Einstweilen macht die Polizei auch abseits von
Demos verstärkt verdachtsunabhängige Ausweiskontrollen in der U-Bahn, die
sich vor allem gegen Menschen richten, die so aussehen, als wären sie
belangbar nach den Bestimmungen der Fremdengesetze. Dabei läßt die Polizei
diese Schwerpunktaktionen massiv über ihre Pressestelle kommunizieren und
sich dafür vom Boulevard abfeiern.

Und noch etwas fällt auf: Während vom FPÖ-Ball lediglich die Fälle von zwei
Beschuldigten als gerichtsanhängig bekannt geworden sind -- und zumindest
der Fall Josef S. eher fadenscheinig begründet ist --, geht die Wiener
Polizei sehr locker mit Strafanzeigen um: Zu 691 strafrechtlichen Anzeigen
(der Großteil wegen Landfriedensbruch) ist es gekommen. Davon dürften die
meisten noch viel weniger begründbar als der Fall Josef S. gewesen sein, hat
doch die Justiz nach eigenem Bekunden (Stand Mai 2014) lediglich gegen neun
Personen Ermittlungen geführt.

Die Polizei wird repressiver und brutaler. Nazis und Protofaschisten treten
viel mehr in der Öffentlichkeit auf und mengen sich unter alle möglichen
Aktionen. Und daß die Reaktionen auf diese Entwicklungen aggressiver werden,
darf auch nicht verwundern.

Mit Alarmismus muß man immer vorsichtig sein, dennoch läßt es sich schwer
leugnen, daß im letzten halben Jahr auf Wiens Straßen ein gewisser Trend zur
Eskalation vorhanden ist. Gut ist anders.
*Bernhard Redl*

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Kasten:

> Dienstnummer gibts bei 133

Aus der Sachverhaltsdarstellung der grünen Abgeordneten Maurer über die
Geschenisse am 14.Juni:

Nach einer Festnahme: "Ich ging der Polizeigruppe nach und sagte: 'Mein Name
ist Sigrid Maurer, ich bin Abgeordnete zum Nationalrat und möchte gerne
wissen, was der Person vorgeworfen wird'. Die Antwort der Polizist_innen
war, dass die Identität festgestellt werden soll. Ich fragte daraufhin, ob
es dafür denn notwendig sei, der Person das Handgelenk zu verdrehen.
Plötzlich blieb der Polizist vor mir stehen, drehte sich um und sagte 'Bis
hierher und nicht weiter'. Ich blieb stehen und fragte 'Warum, hier ist ja
nicht abgesperrt oder sonst irgendwas'. Der Beamte sagte 'Gut, dann nehmen
wir Sie auch mit', drehte mir gleichzeitig den rechten Arm auf den Rücken
und bugsierte mich in Richtung der Polizeiwägen. Ich stolperte überrascht
mit und sagte: 'Hey, was soll das jetzt, was passiert jetzt, was wird mir
vorgeworfen?'. Nach mehreren Nachfragen sagte der Beamte: 'Störung einer
Versammlung'.

[...] Meine Identität wurde festgestellt. [...] Auf mein Fragen nach der
Dienstnummer des Beamten, der mich mitgenommen hatte erhielt ich nur die
Auskunft, ich solle bei 133 anrufen und mit Zeit- und Ortsangabe würde ich
die Dienstnummer des Einsatzkommandanten erhalten.

Inzwischen hatten die Beamten herausgefunden, dass ich
Nationalratsabgeordnete bin (etwas, das ich ja bereits zuvor mitgeteilt
hatte). [...] Ich versuchte nun den Einsatzkommandanten ausfindig zu machen,
um noch einmal einen Anlauf in Sachen Dienstnummer zu starten. Der
Einsatzkommandant teilte mir daraufhin seine Dienstnummer mit, unter der ich
eine schriftliche Anfrage an die Landespolizeidirektion Wien stellen könne.
Der betreffende Beamte stand die ganze Zeit über direkt neben mir. Ich gehe
davon aus dass er seine Dienstnummer kennt, ich habe sie jedoch nicht
erhalten."

http://www.sigimaurer.at/2014/06/wie-die-polizei-mit-nationalratsabgeordneten-und-demonstrant_innen-umgeht/

*

Parl. Anfrage zu den Anzeigen:
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_01311/index.shtml
Kurz: http://tinyurl.com/akin1614anz

Parl. Anfrage zu den gerichtl. Ermittlungen:
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_01081/index.shtml
Kurz: http://tinyurl.com/akin1614ger

Radiomitschnitt einer Diskussionsveranstaltung im Juridikum: Gefährdet der
Landfriedensbruchsparagraph die Zivilgesellschaft? http://cba.fro.at/261103

Polizeiaussendung zu Nazifolder:
http://www.polizei.gv.at/wien/presse/aussendungen/presse.aspx?prid=3750496E686462785843453D&pro=0 Kurz: http://tinyurl.com/akin1614poli

Euro-Nazis (dort findet sich auch der Wortlaut des Folders):
http://www.europaeische-aktion.org

Video von den Fundi-Christen über die heurige Demo (wobei die Filmer
versucht haben, die Nazis auszublenden, was ihnen aber nicht ganz gelungen
ist): http://gloria.tv/?media=626658

Radiobeitrag: "Marsch für die Familie" - Das rechts-"katholische" Netzwerk
hinter der homophoben Gegendemo zur Regenbogenparade.:
http://cba.fro.at/261358



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