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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Juni 2014; 16:11
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El Salvador
> "Unidos cereceremos"?
Nach "Wahlkampf der Lebensfreude": Regierungsübernahme durch die FMLN in El
Salvador
Die Amtsübernahme des ehemaligen Guerillaführers Salvador Sanchez Ceren von
der ehemaligen Befreiungsbewegung FMLN als neuer Präsident El Salvadors
stand im Zeichen der Versöhnung - "der Not gehorchend, nicht dem eigenen
Triebe". Dreieinhalb Jahrzehnte nach der Gründung der salvadorianischen
Befreiungsbewegung FMLN sind die altbekannten Gesichter einer erstmals
monocoloren Regierungsmannschaft gewichen. Dabei war sowohl den
frischgebackenen als auch den alteingesessenen Ministern und
Staatssekretären eher das Gefühl der Erleichterung als das des Triumphs über
die ehemaligen Todfeinde von der ARENA-Partei (Alianza Republicana
Nacionalista) anzumerken. Mit nur etwas mehr als 6 000 Stimmen war nämlich
das Resultat bei der Stichwahl am 9. März unvorstellbar knapp ausgefallen.
Die rechtsradikale Partei hatte der salvadorianischen Oligarchie eine ganze
Batterie von Verleumdungen in die von ihr kontrollierte Medienlandschaft
geworfen. Das schwerste Geschütz war dabei die verängstigende Prophezeiung,
in El Salvador würden im Falle eines Sieges der FMLN bald "venezolanische
Zustände" ausbrechen.
Lebensfreude trotz drohendem Staatsbankrott
Dass die ehemaligen Guerilleros trotzdem gewonnen haben, obwohl sie
ausgerechnet ihren wenig charismatischen Comandante "Leonel" von der einst
sehr dogmatischen FPL (Fuerzas Populares de Liberación - eine der fünf
Unterorganisationen der FMLN) als Spitzenkandidaten ausgesucht hatten, war
weniger auf ihre parlamentarische Allianz mit der neu entstandenen,
neoliberalen GANA-Partei des ehemaligen Staatspräsidenten Tony Saca
zurückzuführen als auf das äußerst professionelle Team brasilianischer
Kommunikatoren, die der FMLN geraten hatten, auf die Angstmache der ARENA
überhaupt nicht zu reagieren und anstelle dessen einen "Wahlkampf der
Lebensfreude" zu führen.
Diese Lebensfreude gepaart mit der Freude über den knappen Wahlsieg wurde
jedoch jäh getrübt, als in den Tagen vor der Amtsübernahme die
Wirtschaftsdaten bekannt wurden: nur 0,8 Prozent Wachstum (das geringste von
ganz Zentralamerika), eine Auslandsschuld von 1,3 Milliarden US-Dollar und
ein virtueller Staatsbankrott, der nur mehr durch ein Reichensteuerpaket
aufgefangen werden kann. Um auch nur einigermaßen über die Runden zu kommen,
muss jetzt die FMLN-Regierung bis Jahresende 2 Mrd. US-Dollar auftreiben,
von denen bisher nur etwa 650 Millionen von Venezuela abgedeckt würden, wenn
sich El Salvador dazu entschließt der ALBA (Alianza Bolivariana de las
Américas) beizutreten. Der Rest ist derzeit Gegenstand von Verhandlungen mit
der salvadorianischen Handelskammer, die ihrerseits den Zugriff auf die
Nationalbank hat, ohne die nicht einmal die Zinsen der Auslandsschuld
abgedeckt werden könnten.
Ex-Präsident Mauricio Funes als Buhmann und Blitzableiter
Alle diese Umstände kamen auch bei der Gestaltung der feierlichen
Amtsübergabe am 1. Juni zum Vorschein, als ein verunfallter, schwer
beingeschädigter Mauricio Funes sich über die Treppen zur Tribüne
hochschleppte, wo dann auch die feierliche Übergabe der Präsidentenschärpe
an den neugewählten Salvador Sanchez Cerén stattfand. Zuvor musste Funes,
dessen Mutter ausgerechnet an seinem letzten Tag im Präsidentenamt
verstorben war, noch die hasserfüllten Blicke der Abgeordneten der
ARENA-Partei ertragen, die ihm vor laufender Fernsehkamera auf der Tribüne
den Handschlag verweigerten. Das zeigte einmal mehr, wie sehr Mauricio
Funes, der selbst eine neoliberale Wirtschaftspolitik -- allerdings mit
einer sehr starken sozialpolitischen Komponente -- gemacht hatte, in den
letzten Monaten seit der Wahl zum Buh-Mann der ARENA-Parteigänger geworden
ist, die ihm jetzt, nach der Aufhebung seiner Immunität, ein halbes Dutzend
Klagen wegen Korruptionsverdachts anhängen wollen.
Kein Wunder also, dass sich der frisch vereidigte Präsident Sanchez Cerén
bei seiner Antrittsrede sanft wie ein Kuschelbär gab. "Nur wenn wir
SalvadorianerInnen alle geeint sind, können wir gemeinsam wachsen -- Unidos
creceremos," war der Stehsatz, der immer wieder aus seinem verkrampft
lächelnden Munde kam. Ohne Manuskript trug er die wichtigsten Punkte seiner
Rede vor, in der Begriffe wie Austerität, soziale Gerechtigkeit, Effizienz
und Transparenz immer wieder vorkamen. Dass auch "der Friede revolutionär
sein kann", hatte schon zuvor der Vorsitzende der FMLN, Medardo Gonzalez
("Milton"), ein Hardliner von der Kommunistischen Partei, der als
strategischer Kopf der FMLN gilt, behauptet. Und auch Sanchez Ceren machte
diese Friedenpolitik bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens im
Rahmen seines Konzepts einer so genannten "seguridad ciudadana"
(zivilgesellschaftliche Sicherheitspolitik) zum zweitwichtigsten Schwerpunkt
seiner zukünftigen Amtsführung.
Politisch motivierter Bandenkrieg
Tatsächlich hatte Mauricio Funes gerade im Umgang mit den "Maras" und
anderen Verbrecherbanden (bandillas) schwere taktische Fehler begangen,
indem er einerseits mit ihren Capos verhandelte, andererseits aber nicht den
Dialog mit der total verängstigten Bevölkerung suchte, die diesem
Gewaltphänomen ziemlich sprachlos gegenübersteht. Allein in der Woche vor
der Amtsübergabe sind ihm 81 Menschen zum Opfer gefallen, was selbst für
salvadorianische Verhältnisse einen Rekord darstellt. Einige Experten
behaupten sogar, dass es eine Querverbindung zwischen Angehörigen der
salvadorianischen Oligarchie und diesen Verbrecherbanden gibt, auch wenn
sich die Oligarchie damit ins eigene Fleisch schneidet.
Doch von all diesen Konflikten, die größtenteils von der rechtsradikalen
Opposition vorprogrammiert sind, war bei der Kundgebung vor der Kathedrale,
in der Monseñor Oscar Arnulfo Romero begraben ist, nicht die Rede.
Stattdessen gab es Salsa und Cumbias, die der nicht sehr zahlreichen
Menschenmenge die Wartezeit vertrieb. Viele waren wegen des einbrechenden
Regens nicht gekommen, andere deswegen, weil die Maras über das Stadtzentrum
eine Ausgangssperre verhängt hatten.
*Leo Gabriel*
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