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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Juni 2014; 15:32
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Glosse/Justiz/Recht:

> Bei uns in Bagdad

In Österreich gibt es keine Justizskandale


So oder so erscheint der Prozeß gegen Josef S. als Skandal. Nicht weil ein
aktiver Antifaschist vor Gericht steht, denn behauptetermaßen ist er ja
nicht wegen seiner Gesinnung angeklagt, sondern wegen Landfriedensbruch und
absichtlicher schwerer Körperverletzung. Auch nicht deswegen, weil die
Grundlage der Anklage nur vage Behauptungen eines einzigen Zivilpolizisten
sind, natürlich nicht. Und es ist auch nicht deswegen ein Skandal, weil ein
Staatsanwalt das Einschlagen von ein paar Fensterscheiben als Zustände wie
in einem "Kriegsgebiet" ansieht oder den Beschuldigten in der Anklageschrift
als "Demonstrantensöldner" bezeichnet. All das kann in den besten
Rechtsstaaten mal vorkommen, da muß man nicht so heikel sein.

Wiener Gemütlichkeit

Nein, als Skandal könnte man viel eher ansehen, wie lässig mit der U-Haft
umgegangen wird. Erstens ist vollkommen unklar, worin die Tatbegehungsgefahr
bestehen sollte -- ist es wirklich glaubhaft, daß der junge Mann nach allem,
was er erlebt hat, so bald wieder zu einer Demo geht, um dort Scheiben
einzuschlagen? Vielleicht aber hat man Tatbegehungsgefahr als Grund gewählt,
weil die prinzipiell und theoretisch immer bei jedem vorhanden ist und man
beim U-Haft-Grund Fluchtgefahr sich hätte fragen lassen müssen, wieso nicht
gelindere Mittel wie Fußfessel oder Entlassung auf Kaution eingesetzt
wurden. Und zweitens lönnte man schon die Frage stellen: Wie lange darf
U-Haft eigentlich dauern? Die Nonchalance, mit der der Richter nach dem
unterstellbaren Motto 'Zeugenladungen brauchen halt Zeit und ich hab eh
früher keinen Termin' den Beschuldigten weitere eineinhalb Monate dunsten
läßt, zeugt von echter Wiener Gemütlichkeit.

Gibt es nicht Regeln für ein solches Verfahren und besagen die nach gängiger
Lehre nicht, daß die U-Haft in Relation zur erwartbaren Strafe steht? Was
stellen sich Richter und Staatsanwalt so vor als Strafe für einen bislang
unbescholtenen 23-jährigen? Wäre dies ein Verfahren, das auf hinreichenden
Beweisen für die behauptete absichtliche schwere Körperverletzung beruhte,
dann müßte es wohl ein Urteil geben, das nach 6 Monaten bereits eine
bedingte Entlassung ermöglichen würde -- genausolange wird der Beschuldigte
jetzt aber in U-Haft sitzen, obwohl er nach dem Gesetz nach wie vor als
unschuldig zu gelten hat.

Im vorliegenden Fall aber könnte es angesichts der etwas sehr freien, beinah
künstlerisch wertvoll zu nennenden Beweiswürdigung passieren, daß eine
Verurteilung die Berufungsinstanz nicht überstünde. Aber wer braucht schon
einen Instanzenweg? Es ist schon ein paar Jahre her, da hat der Verfasser
dieser Zeilen ein Gerichtsverfahren erlebt, wo ein junger Demonstrant aus
der U-Haft vorgeführt worden war und dann zu einer Haftstrafe verurteilt
wurde, die genausolang wie seine bisherige Haft war. Auch da war die
Beweislage eher wackelig. Da sagte der Richter zum gerade in erster Instanz
Verurteilten: "Ich rate Ihnen, das Urteil anzunehmen. Sollten Sie in
Berufung gehen, wird das die Staatsanwaltschaft auch tun, und Sie bleiben
weiter in Untersuchungshaft. Wenn Sie das Urteil annehmen, können Sie sofort
nach Hause gehen." Wäre diese Form der Kürzung des Instanzenwegs auch im
Fall Josef S. denkbar?

Politische Botschaft?

Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum man diesen Prozeß als Skandal
ansehen kann. Nicht nur, daß rechtsstaatliche Prinzipien von der Justiz sehr
originell ausgelegt werden, auch die politische Dimension erscheint
skandalös. Egal, wie der Prozeß ausgeht, Josef S. wird mindestens ein halbes
Jahr seines Lebens im Gefängnis verbracht haben. Und gerade die Tatsache,
daß die Beweislage derart miserabel ist, scheint ihn zu einem so wunderbaren
Präzedenzfall für den Obrigkeitsstaat zu machen. Wären wasserdichte Beweise
vorhanden, wäre die Botschaft im Sinne der Generalprävention: 'Seht her,
hier hat jemand Sachen gemacht, die eindeutig verboten sind und er bekommt
dafür eine angemessene Strafe -- so ergeht es jemanden, der sich nicht an
die Gesetze hält!' In diesem Fall aber könnte man die Botschaft so
verstehen: 'Egal, ob jemand etwas gemacht hat oder nicht, wer auf solche
Demos geht, muß damit rechnen, monatelang eingesperrt zu werden!'

Ganz allgemein scheint der Staat mit einigen seltsamen Prozessen in letzter
Zeit mitzuteilen: 'Tierschützer, Demonstranten, unzufriedene Flüchtlinge und
sonstige Empörte, hört zu, wir können euch jederzeit ohne jeden Beweis in
Häfn bringen, also haltets die Goschen!'

Aber das ist natürlich alles nicht so gemeint. Auch sind das natürlich keine
Skandale. Solch intendierte Botschaften kann man nun wirklich nicht
ernsthaft annehmen. Der Verfasser hätte sich nur beinahe zu einem
Wertungsexzeß hinreissen lassen. Schließlich sind auch Richter und
Staatsanwälte nur Menschen und man kann einen solchen Fall sicher so oder
anders sehen.

Wirkliche Justizskandale, schon gar mit politischem Hintergrund, kommen in
Österreich nicht vor. Sowas gibts nur in Rußland und in anderen
Schurkenstaaten. Das wissen wir schließlich aus der Zeitung.

*Bernhard Redl*



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