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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23. April 2014; 11:11
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Linke / Antifa / Debatten:

> Thesen zum Rechtsruck in Europa

Die norddeutschen *Gruppen gegen Kapital und Nation* sandten uns ein
Thesenpapier, in dem sie vor Fehlern antifaschistischer Politik
warnen.
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In jeder bürgerlichen Nation gibt es faschistische Parteien. Manchmal
sind sie über lange Perioden bedeutungslos, aber es gibt sie immer.
Politisch organisierte Leute, die die eigene Nation durch die
Regierung ausverkauft sehen, weil diese das Volk in ihren Augen falsch
bewirtschafte, also die "Falschen" zulässt, die "Eigenen" zu lasch
regiert und so Leistungswille und Anstand untergräbt. Und wo
Regierungen sich mit Wirtschaftsverträgen und Bündnissen vom Ausland
abhängig machen, weil sie genau darin eine Stärkung der eigenen Nation
sehen, entdecken Faschisten einen Ausverkauf des Vaterlandes.

Diese Sichtweise der Faschisten wird durch die demokratischen Parteien
ständig bestärkt. Keine demokratische Partei gibt den Standpunkt auf,
dass man gegenüber "Ausländer_innen" skeptisch sein muss. Selbst dort,
wo sie z.B. eine Liberalisierung des Ausländer- oder
Einbürgerungsrecht anstreben, unterstreichen sie noch, dass es dabei
schwer darauf ankommt, die Ausländer_innen zu "integrieren". Sie
unterstellen, dass es ihnen (noch) an dem Patriotismus fehle, den die
"Ureinwohner_innen" doch bereits mit der Muttermilch aufsaugen würden.
Keine demokratische Partei verzichtet darauf, mangelnde Moral in der
Bevölkerung auszumachen, wenn mal wieder eine
"Steuerhinterzieherdebatte" oder "Sozialschmarotzerdebatte" ansteht.
Keine demokratische Partei verzichtet darauf, bei neuen
internationalen Verträgen, herauszukehren, dass sie wirklich der
eigenen Nation dienen - und präsentieren damit die Kehrseite der
Medaille: Man müsse ständig aufpassen, dass die Nation nicht unter die
Räder der anderen Nationen gerät. Nicht zuletzt lebt die
parlamentarische Demokratie davon, dass sich die Parteien
wechselseitig Versäumnisse vorwerfen, das Vaterland nach vorne zu
bringen. Oder härter: Die Nation durch politische Misswirtschaft nach
hinten zu werfen. All diese Standpunkte gibt es in jeder gelebten
Demokratie. Die Faschisten greifen sie auf und radikalisieren sie.

In der EU und in dem Euroraum haben sich Nationen zusammengeschlossen,
die mithilfe der EU ihre Nation zu mehr Macht verhelfen wollten.
Deutschland z.B. wollte seine Weltmachtposition ausbauen. Andere
Länder, insbesondere die der sogenannten Südschiene, wollten ihre
Volkswirtschaften aus Agrarstaaten zu entwickelten kapitalistischen
Gesellschaften machen. Beide Kalkulationen schienen bis 2007
aufzugehen.

Mit der Finanz- und der Staatsverschuldungskrise ist beiden
Kalkulationen ein Strich durch die Rechnung gemacht worden. Die Länder
der Südschiene müssen sich einem nationalen Abwrackprogramm
unterwerfen, damit sie weiterhin Eurokredit bekommen - ohne irgendeine
Entwicklungsperspektive. Deutschland will den Verlierern der Krise
nicht viel Geld geben, weil sie derzeit keinen Beitrag zum Projekt
"mit der EU zur größeren Weltmacht Deutschland" abgeben.

In der Öffentlichkeit sind es zunächst die demokratischen Parteien,
die in ihren politischen Bilanzen den Zweifel aufwerfen, ob das alles
so richtig war in der Vergangenheit - gerade wenn sie sagen: "trotzdem
weiter so". Die faschistischen Parteien haben den Zweifel schon immer
zur Gewissheit radikalisiert und gesagt, dass die ganze EU und
Eurozone ein Ausverkauf nationaler Interessen wäre.

Die eine Grundlage des faschistischen Erfolges besteht also darin,
dass die politische Elite zum Schluss kommt, dass zentrale nationale
Berechnungen nicht aufgehen.

Damit faschistische Parteien erfolgreich werden, gehört zweitens das
Volk dazu. Die Masse hat keine Ahnung, worum es bei dem Euro und den
Finanzmärkten genau ging und geht. Dass man für den Erfolg der Nation
seinen Gürtel enger schnallen muss, war und ist den Bürger_innen eine
patriotische Selbstverständlichkeit - wenn es ihnen plausibel
erscheint, dass die Einschränkungen ihres Lebens der Nation zur von
der Politik versprochenen Größe verhelfen. Aus demselben Grund gab und
gibt es größere Massenproteste in manchen Ländern, weil viele Leute
gar nicht einsehen, wie die Strukturanpassungsprogramme der Nation zu
neuer Größe verhelfen sollten, wo sie doch zudem in ihren Augen bloß
vom Ausland aufgezwungen wären.

Wenn größere Teile des Volkes es plötzlich plausibel finden, ihre
Stimme den faschistischen Parteien zu schenken, dann garantiert nicht,
weil sie gemerkt haben, dass der national organisierte Kapitalismus
ihnen nur Schwierigkeiten in Sachen Bedürfnisbefriedigung einbringt.
Worauf sie sich aber unerbittlich ein Recht einbilden, ist der Erfolg
der Nation selbst. Wenn der in Frage steht, dann werden sie als
Untertanen anspruchsvoll und vertrauen zunehmend auf Parteien, die
ihnen versprechen, unerbittlich für moralischen Terror und
konsequentes Gürtel enger schnallen einzustehen - und sich dabei vom
Ausland gar nichts vorschreiben lassen.

Antifaschistische Politik bleibt hilflos, wo sie versucht, mit
bürgerlichen Parteien zusammenzuarbeiten und dafür deren "Argumente"
(z.B. "aber Ausländer oder die EU sind doch nützlich für die Nation")
in den Bündnissen ignoriert oder sogar mitträgt. Denn diese
bürgerliche "Werbung", doch den Faschisten nicht hinterher zu laufen,
enthält den kompletten Nährboden für das Pack. Gefragt ist dagegen die
Kritik an Menschen, die in dem Erfolg der Nation in guten wie in
schlechten Zeiten ihren Gradmesser für Zufriedenheit und
Unzufriedenheit haben, anstatt zu fragen: Wie komme ich hier
eigentlich vor, wenn Leute über mich herrschen.


Kontakt:
auf deutsch: http://www.gegner.in
auf englisch: http://www.antinational.org/en



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