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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23. April 2014; 11:09
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Linke / Antifa / Debatten:
> Was soll man da noch denken?
Ein Verzweiflungstext angesichts der seltsamen Debatten in der 
Ukrainekrise
Jutta Ditfurth ist gegen Friedensdemos und die FPÖ meint, man dürfe 
keine gemeinsame Sache mit Faschisten machen. Hä? Wie bitte? Nein, so 
stimmt das natürlich nicht, es ist viel komplizierter.
Okay, der Reihe nach: In der Ukraine wird nach einer Schießerei der 
Ausweis eines Mitglieds des rechten Sektors gefunden. "Euromaidan PR" 
erklärt dies zur Fälschung. Im Netz kursiert eine Aufforderung an die 
Juden in der Ostukraine, sich registrieren zu lassen -- eine 
Gegendarstellung erklärt dies zu einer Aktion einer seltsamen Gruppe, 
die weder mit den Aufständischen noch mit der lokalen Verwaltung etwas 
zu tun hätte. Das Gerücht macht die Runde, ein russischer Kampfjet sei 
über einem US-amerikanischen Kriegsschiff im Schwarzen Meer gesichtet 
worden sein. Putin macht mobil, heißt es. Andererseits: was macht die 
US-Marine im Schwarzen Meer? Truppenbewegungen hüben wie drüben -- nix 
Genaues weiß man nicht. Der Propagandakrieg tobt, wüster noch als vor 
all den anderen Kriegen der letzten zwei Jahrzehnte -- es wird nur 
geglaubt, was der eigenen Position hilft, alles andere sind 
Fälschungen der Gegenseite.
Und während unsere hiesige FPÖ auf die ukrainischen Nazis schimpft, 
ist die NPD in Deutschland mit diesen verbündet. Dann gibt es aber 
dort diese Montagsdemonstrationen (in der Tradition der Demos am Ende 
der DDR), die für eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise werben. Und 
an diesen beteiligt sich auch die NPD -- obwohl diese Demos ja 
angeblich auch gegen die neue ukrainische Regierung gerichtet sind, an 
der eben Swoboda beteiligt ist
In Deutschland gibt es zwar bisweilen auch andere Friedensdemos, 
letztes Wochenende etwa die traditionellen Ostermärsche und deren 
Aufrufe waren wie immer klug und vernünftig. Aber diese etwas 
altvatrische Friedensbewegung hat natürlich nicht so viel Appeal wie 
die nun heiß diskutierten Montagsdemonstrationen. Diese Montagsdemos 
ähneln strukturell dem Euromajdan genauso wie der Occupy-Bewegung: es 
gibt eine gemeinsame Losung, aber ideologisch ist ein extrem bunter 
Haufen vertreten inclusive Rassisten, Nationalisten und Antisemiten. 
Mittendrin in diesem Kuddelmuddel: Jürgen Elsässer, einstmals 
Initiator der antideutschen Bewegung, heute irgendwas, was er selbst 
wohl als links versteht, die meisten Beobachter aber als extrem 
rechts. Und Ken Jebsen, ein iranisch-deutscher Journalist -- diesem 
Wird ein Hang zu Verschwörungstheorien nachgesagt, aber so ganz klar 
ist das wohl auch nicht. Für Jutta Ditfurth hingegen gehört er 
natürlich zu den Nazis, weil er auch für Elsässers Magazin "compact" 
arbeitet. Und weil Ken Jebsen der Hauptprotagonist der Berliner 
Montagsdemos ist, sind alle bundesweiten Montagsdemos (angeblich schon 
in 30 Städten) in Wirklichkeit Nazidemos.
Und dieser Ken Jebsen interviewt auch noch Ewald Stadler als Mitglied 
der nicht EU-abgesegneten Beobachterkommission bei der 
Krim-Abstimmung. Nun, damit wäre ja wohl alles klar: Wer den Stadler 
wohlwollend interviewt, kann ja nur rechtsextrem sein. Jedoch: Was 
Stadler sagt, ist zwar im Detail sicher hinterfragbar, aber lang nicht 
so kriegsfördernd wie das, was die außenpolitische Sprecherin der 
EU-Grünen von sich gibt.
Was ist das für eine Welt, wo die Positionen eines Stadler seriöser 
und vernünftiger klingen als die einer Ulrike Lunacek? 
(Glücklicherweise gilt das nur für das Thema Ukraine, ansonsten bleibt 
Stadler der klerikal-nationalistische Reaktionär, der er immer war, 
sonst würde man sich ja gar nicht mehr auskennen.)
Trotzdem: Das ist alles sehr verwirrend. Man weiß kaum mehr, was man 
glauben oder was man denken soll. Diese Welt ist fürchterlich 
kompliziert geworden. Aber je größer die Verwirrung, desto 
hysterischer werden die Diskussionen. Irgendwie läuft das alles auf 
das Motto 'Jedem sein Nazi!' hinaus. Denn die Debatten funktionieren 
immer nach dem Schema: bist du ein "Fan des US-EU-Imperialismus" oder 
bist du ein "Putin-Versteher"? Oder bist du ein 
Verschwörungstheoretiker -- der Vorwurf geht mittlerweile an beide 
Seiten. Und das ist eben noch die nette Version. Denn auch neue 
Hitlers werden überall verortet und nachdem man ja nun zu einem Hitler 
kein ambivalentes Verhältnis haben kann, müsse man sich schon für die 
richtige Seite entscheiden, so der Tenor. Denn schließlich hätten die 
Allierten ja auch...
Genau das ist das Problem. Hier geht es plötzlich wirklich um etwas --  
nicht um Belanglosigkeiten, wie einen Akademikerball oder die 
Ausdrucksweise von Herrn Mölzer. Diese Debatten jetzt bereiten einen 
Krieg vor -- einen Krieg, unter dem eventuell nicht nur die 
Bevölkerung der Ukraine zu leiden hätte (deren Wohl ja angeblich 
beiden Seiten so wichtig ist), sondern einen, der sich vielleicht 
nicht lokal begrenzen ließe. Da erscheint es natürlich unabdingbar, 
die europäische und speziell die deutsche Öffentlichkeit auf eine 
Akzeptanz dieses Kriegs vorzubereiten. und dabei ist auch das 
Verhalten speziell der Linken -- in der EU, in den USA, in der Ukraine 
und auch in Russland -- ausnahmsweise nicht egal. Denn wenn die Linke 
Kriegsvorbereitungen der Politiker vor allem im jeweils eigenen Land 
nicht kritisiert, wer dann?
Wahrscheinlich wird es diesen "richtigen" Krieg nicht geben und wenn, 
dann wird er wohl nicht zu einem europaweiten Flächenbrand werden. 
Denn wenn auch der US-Regierung mittlerweile jede Eskalation recht zu 
sein scheint, kann man in Berlin, Brüssel und Moskau einen solchen 
Krieg nicht wollen -- zu viel steht für den Kontinent Europa auf dem 
Spiel. Aber sicher ist das nicht. Denn hier wird mit dem Feuer 
gespielt.
Nein, hier ist kein Platz für die Bewältigung deutscher und auch 
österreichischer Nationalneurosen. Das ist kein Spiel mehr. Hier geht 
es nicht mehr darum, in Deutschland, Österreich, der Ukraine oder 
Russland Nazis zu identifizieren, hier geht es darum, einen Krieg zu 
verhindern. In Rußland und den USA ist es die Aufgabe einer linken 
oder zumindest fortschrittlichen Öffentlichkeit, deren Regierungen in 
die Speichen ihrer Militärkonvois zu greifen, in der EU müssen wir die 
hiesigen Herren einbremsen. Ein Antifaschismus aber, der Aktionen 
gegen imperialistische Machenschaften des (EU-europäischen, 
US-amerikanischen oder russischen) Kapitals für weniger relevant als 
Sandkastengefechte gegen meschuggene Promis hält, verdient diese 
Bezeichnung nicht. Und eine Linke, die sich nobel in ihrer Kritik an 
Kapital und Imperialismus zurückhält, weil diese Kritik von den 
falschen Leuten vorgebracht wird, darf sich nicht wundern, wenn diese 
Leute Zulauf erhalten und die Linke für irrelevant gehalten wird.
*Bernhard Redl*
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