**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. April 2014; 19:04
**********************************************************

Arbeit/Analyse:

> Gleiten in den 12-Stunden-Arbeitstag?

Wieviel flexibler können Arbeitszeiten denn noch werden?
*

1.April: Die aktuellen Arbeitslosenzahlen liegen vor. Im März 2014
waren 402.323 Menschen arbeitslos. Ein Plus von 9,8 Prozent gegenüber
dem Vergleichsmonat des Vorjahrs

2.April: ÖVP-Wirtschaftsminister Mitterlehner freut sich im
Morgenjournal über neu gewonnene Arbeitszeitflexibilität, dass künftig
Beschäftigte mit Gleitzeit bis zu 12-Stunden täglich arbeiten dürfen
und spricht von einer win-win-Situation für alle und verweist darauf,
dass eh nicht länger als maximal 50 Stunden die Woche gearbeitet
werden dürfe. Ja, und die Überstundenzuschläge würden auch bleiben

SPÖ-Abgeordneter Spindelberger spricht in Beantwortung einer
parlamentarischen Anfrage davon, dass 2013 270 Millionen Überstunden
erbracht wurden und 2012 knapp 170.000 Personen 68,4 Millionen
unbezahlte Überstunden geleistet haben. Der ÖGB versucht abzuwiegeln -
nach dem es eine Protestwelle auch sozialdemokratischer Organisationen
gegeben hat - dass es eh keinen allgemeinen 12-Stunden-Tag geben
würde, sich praktisch eh nichts ändern würde und daher jegliche
Aufregung unbegründet sei.

Neuregelungen von Arbeitszeiten im Regierungsprogramm

Nun, überrascht muss man über das, was da in Sachen Gleitzeit und
12-Stunden-Tag geplant ist, nicht sein. All das steht tatsächlich im
Regierungsprogramm, nicht erst seit gestern. Da stehen zum Thema
Arbeitszeit auch durchaus ein paar g'scheite, diskussionswürdige
Sachen drinnen. Wer ist schon dagegen, dass die 6. Urlaubswoche
leichter erreicht werden kann - durch die volle Anrechnung aller
Vordienstzeiten? Ebenfalls diskutieren kann man die maximal zulässige
Ausweitung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden, wenn etwa Reise- bzw.
längere Wegzeiten anfallen - z. B. bei Montagetätigkeiten. Damit
man/frau eben auch noch den Heimweg in der Arbeitszeit antreten kann.
Diskutabel ist das.

12-Stunden-Tag bei Gleitzeit IST Arbeitszeitverlängerung!

Schon deutlich weniger diskussionswürdig, geschweige denn g'scheit ist
dagegen die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden. Es
ist tatsächlich eine Arbeitszeitverlängerung: Ein Verlängerung der
täglichen Arbeitszeit. Da können alle Beschwichtigungen, es würde ja
nur "umgeschichtet", nicht hinwegtäuschen. Und dass hinsichtlich der
wöchentliche Arbeitszeit stets die maximal zulässige von
50-Wochenstunden als Referenzrahmen herangezogen wird, spricht wohl
auch eine recht deutliche Sprache. Die Normalarbeitszeit liegt ja
bekanntlich bei 40 bzw. 38,5 Wochenstunden ...

Flexibilität wohin man schaut

Von konservativer und Wirtschaftsseite wird immer wieder mehr
Flexibilität bei Arbeitszeitregelungen eingefordert, um - richtig -
wettbewerbsfähig bleiben zu können. Derartige Flexibilitätsforderungen
zielen dabei regelmäßig auf eine Verbilligung von Mehrarbeit - sprich
Überstunden - bei "Spitzenzeiten", also etwa guter Auftragslage sowie
die bestmögliche Ausnutzung der Produktionskapazitäten ab.
Arbeitskraft soll möglichst lange, möglichst oft und möglichst
jederzeit eingesetzt werden können - zu einem möglichst günstigen
Preis.

Woher die Industrie bzw. ÖVP die Mär der Inflexibilität der
ArbeitnehmerInnen hat, bleibt ein Rätsel. Tatsächlich ist - spätestens
seit 2007 rot-schwarz ein großes Flexibilisierungspaket (Erhöhung der
täglichen/wöchentlichen Arbeitszeit bis zu 25 Wochen im Jahr auf 12/60
Stunden, Möglichkeit per KV die tägliche Normalarbeitszeit auf bis zu
10 Stunden zu erhöhen, Möglichkeit der Einführung einer 4-Tage-Woche a
10-Stunden-Arbeitstag auf betrieblicher Ebene) beschlossen hat - jede
Menge Flexibilität gegeben. Der 12-Stunden-Arbeitstag ist also längst
möglich, und auch schon Realität, von mangelnder Flexibilität kann
also keine Rede sein. Und nicht erst seit der letzten Novelle:
Österreich mit seinen vielfältigen Beschäftigungsformen von Vollzeit
über Teilzeit, Geringfügige, freie DienstnehmerInnen, 'neue'
Selbständige etc. kennt zusätzlich ganze Gruppen, für die gesetzliche
bzw. kollektivvertragliche Arbeitszeitregelungen entweder überhaupt
keine Geltung haben, oder die sehr flexibel einsetzbar sind und auch
"eingesetzt" werden, z.B. Teilzeitbeschäftigte, die
Auftragsschwankungen einfach über Mehrarbeit abfangen. Flexibilität
also, wo frau/man hinschaut. Schon längst viel zu viel Flexibilität
auf Kosten der ArbeitnehmerInnen. An weiterer besteht tatsächlich kein
Bedarf, das Arbeitszeitgesetz ist bereits jetzt genug durchlöchert...
und entsprechende real existierende Arbeitszeiten

Derartige Regelungen haben natürlich ihre Wirkung auf real
existierende Arbeitszeiten. Da ist Österreich bekanntlich - bei
Vollzeit - europaweit ziemlich Spitze, wie aus einer Eurostat-Erhebung
für 2011 hervorgeht: 41,8 Wochenstunden arbeiteten
vollzeitbeschäftigte ArbeitnehmerInnen in Österreich (EU-Schnitt: 40,4
Wochenstunden). Platz 2 hinter Großbritannien. Und das nicht erst seit
kurzem.

Wo es ein "Zuviel" gibt, muss es auch ein "Zuwenig" an Arbeit geben.
Einerseits Arbeitslosigkeit, andererseits Teilzeit. Und während am
einen Ende zig Millionen an Überstunden geschoben werden, boomt am
anderen die Teilzeit. 2013 waren 26,5 Prozent aller ArbeitnehmerInnen
Teilzeit beschäftigt (Statistik Austria), ca. 959.000 Personen. 2000
lag die Teilzeitquote noch bei 16,4 %. Dabei arbeiteten 45,9 Prozent
der weiblichen ArbeitnehmerInnen Teilzeit. 2000 waren es noch 33,2 %.
Das Beschäftigungswachstum der letzten Jahre ist auf die Zunahme von
Teilzeit zurückzuführen.

Spaltung am Arbeitsmarkt wird vertieft

Alleine diese Zahlen belegen schon die tiefe - insbesondere auch
geschlechterspezifische - Spaltung am Arbeitsmarkt. Männer arbeiten
Vollzeit, für Frauen ist Teilzeitarbeit mindestens so "normal" wie
Vollzeitbeschäftigung. Männer arbeiten deutlich mehr Überstunden als
Frauen. Ist Erwerbsarbeit also männlich dominiert, bleibt die
Hausarbeit weiblich

Eine Ausdehnung bzw. Ausweitung täglicher Arbeitszeiten würde
bedeuten, dass die Zahl geleisteter Überstunden noch einmal steigen
wird. Von einer Ausweitung des Arbeitstags bei Gleitzeit wären
schließlich immerhin zwischen 700.000 (BMASK) bis 900.000 (GPA-djp)
Beschäftigte betroffen.

Immer neue Begehrlichkeiten

Wenn seitens der Gewerkschaften darauf verwiesen wird, dass
gesetzliche Möglichkeiten noch lange keine Fakten schaffen - weil nach
wie vor Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen die bestimmenden
Instrumente für eine mögliche Arbeitszeitausweitung sind - dann mag
das stimmen. Beruhigend ist das allerdings deswegen noch lange nicht.
Abgesehen davon, dass dort, wo es keinen Betriebsrat gibt, auch
individuell vertragliche Vereinbarungen zu Gleitzeit und
Arbeistzeitblockung (Vier-Tage-Woche zu je 10 Stunden) sind, gilt:
Sind einmal gesetzliche Möglichkeiten zu einer Arbeitszeitausdehnung
geschaffen, wird der Druck darauf, diese auch entsprechend nutzen zu
können, steigen. Und: Hat die Kapitalseite erst einmal die Türe einen
Spalt weiter geöffnet, wird sie diese noch weiter aufzustoßen
versuchen. Die Begehrlichkeiten werden steigen, nicht abnehmen. Mit
der Forderung dass es dringend weitere Flexibilisierungschritte zum
Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit brauche, wird sie dabei offenes Gehör
in einer Öffentlichkeit finden, die zu Alarmismus und Panik neigt und
sich an realen Fakten weitgehend desinteressiert zeigt, bzw. von
selbigen überfordert ist. Eine Gewerkschaft, die sich auf diesen
Diskurs einlässt und nicht klar und unmissverständlich "Stopp, keinen
Schritt weiter!" sagt, sondern sich im Abtausch gegen andere
Forderungen verhandlungsbereit zeigt, fordert diese Verschiebung von
Grenzziehungen geradezu heraus. Gestern war es das
Arbeitszeitflexipaket, heute ist es die Gleitzeit ... und morgen?

Was es angesichts krisenbedingter Rekordarbeitslosigkeit, steigender
Teilzeitbeschäftigung und der geschlechtsspezifischen Spaltung des
Arbeitsmarkts tatsächlich braucht, ist eine umfassende
Arbeitszeitverkürzung, die gerechtere Verteilung von Arbeit, Einkommen
und Chancen. Zusätzlich braucht es mehr Zeit fürs Leben,
Arbeitszeiten, die sich an den persönlichen Bedürfnislagen der
Beschäftigten orientieren, Arbeitszeiten, die nicht krank machen. Die
Ausweitung der täglichen Arbeitszeiten, die Möglichkeit, noch mehr
Überstunden ableisten zu können, ist dabei schlichtweg ein fatales
Signal und ein Schritt in die vollkommen falsche Richtung.
(AUGE/UG / gek.)

Volltext:
http://diealternative.org/arbeitszeit/2014/04/gleiten-in-den-12-stunden-arbeitstag/



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
Blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
Facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
Mail: akin.redaktion@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW