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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 26. März 2014; 15:19
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Kommentierte Presseschau

> Komisch I: Urteil nach Restitutionsantrag

Es gibt Geschichten in Österreich, die sind irgendwie "komisch". Man
kann sich keinen rechten Reim darauf machen. Oft genug ist das
Komische für die jeweils zuständigen Redakteure, daß sie nicht genau
wissen, wo jetzt der moralische Standpunkt zu suchen wäre. Oder -- das
kommt natürlich auch vor -- es gibt bestimmte politische Interessen
bei den Medieninhabern, manche Geschichten nicht berichten zu wollen.
Das erzeugt dann bei so manchem Leser, der die Geschichte
hintenherum -- also aus dem Ausland oder in einer minimalen, sehr
vagen Notiz in einem einzelnen hiesigen Medium -- mitbekommt,
ebenfalls das Gefühl, die Nicht- oder Kaum-Berichterstattung sei
komisch.

Einer dieser Fälle ist die Causa Stephan Templ. In Österreich dürften
(zumindest laut Google) in den Massenmedien nur der Falter und die
Presse davon Notiz genommen haben. Ich hab die Geschichte
hauptsächlich in deutschen und schweizer Medien mitbekommen, die recht
ausführlich über die Sache berichteten.

Es geht um einen Journalisten, der im Zuge eines
Restitutionsverfahrens seine Ansprüche auf ein Vierundzwanzigstel an
einem Haus, das 1938 von den Nationalsozialisten enteignet wurde,
geltend machen wollte. Nur hatte der Antragsteller vermieden, auf dem
Formular in einer Rubrik "anderen möglichen Erben" seine Tante
anzugeben. Für die Staatsanwaltschaft ein klarer Fall von Betrug. Der
Fall ging durch die Instanzen und nun bestätigte der Oberste
Gerichtshof das Urteil: 3 Jahre unbedingte Haft.

Templ meint, dabei handle es sich um einen Racheakt des Staates. Der
Journalist hatte nämlich ein Buch geschrieben mit dem Titel "Unser
Wien -- Arisierung auf Österreichisch" sowie einige Zeitungsartikel
verfaßt, in denen er Verfehlungen der Resitutionspraxis kritisierte.

Einerseits ist es dieses "Vergessen" einer Tante natürlich schon als
Betrug kategorisierbar und die Behauptung einer politischen Verfolgung
etwas dünn. Andererseits ist ein derart hartes Urteil wegen einer so
kleinen Verfehlung schon geeignet, politische Justiz für möglich zu
halten. Es ist schwierig, darüber so zu berichten, daß man ein
eindeutiges Urteil vermeidet -- dennoch müßte das eigentlich bei
einigermaßen vorhandenen journalistischer Handwerkskenntnis möglich
sein. Deutsche und Schweizer Medien (FAZ, NZZ) tendieren dazu, Templ
als Opfer statt als Täter darzustellen -- allerdings ist Templ ein
langjähriger Mitarbeiter beider Zeitungen. Bei uns hingegen scheut man
sich offensichtlich davor, groß darüber zu berichten.

FAZ 25.3.2014, Interview zum OGH-Urteil: http://faz.net/-gsf-7no9o
NZZ 9.8.2013, Vorgeschichte: http://www.nzz.ch/1.18128990

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> Komisch II: Hypo-Papier: Heikel oder veraltet?

Eine andere "komische Geschichte" ist die Sache mit dem Papier der
Finanzprokuratur über die Hypo Alpe Adria. Die Kronenzeitung hatte es
whistelblowermäßig veröffentlicht -- im Netz sogar als komplettes
Faksimile. Dabei dürfte es sich -- dem LayOut und der launischen,
wenig bürokratischen Sprache nach zu schließen -- um eine
Powerpoint-Präsentation gehandelt haben. Das Papier listet einiges an
Für und Wider bezüglich einer Insolvenz der Hypo auf. Die "Krone"
interpretiert dieses Dokument als Empfehlung für eine Insolvenz --
diese Interpretation ist ein mögliche, darüber kann man streiten.
Allerdings enthält dieses Papier auch eine recht schonungslose
Auflistung unter dem Titel "Interessenslage des Managements" -- und da
wird klar, daß eine Insolvenz für diesen Managementbereich nur
Nachteile gebracht hätte, unter anderem hätten bestehende
Beratungsverträge beendet werden müssen und auch Abfertigungsansprüche
wären gefährdet gewesen. Der Verdacht, daß da die zum Teil
mittlerweile ja recht bekannten Figuren aus dem Management sich
gegnüber der Politik durchgesetzt haben, ist also nicht völlig aus der
Luft gegriffen.

Von anderen Medien wurde dieses Papier aber weitgehend ignoriert.
Voralberg Online (die Online-Präsenz der Vorarlberger Nachrichten)
stand im Netz unter den Massenmedien ziemlich alleine da, dieses
Papier auch als relevant anzusehen. ORF online erwähnt es am Rande und
spricht von einem "angeblichen Geheimpapier" und der Kurier spricht
von einem "alten Hypo-Papier". Ansonsten eher Schweigen im Walde...

Das Papier war bislang unveröffentlicht, also irgendwo schon "geheim"
und es stammt vom November 2013, ist also gerademal vier Monate "alt".
Ist es wirklich so unerheblich? Oder will man der schmuddeligen
Kronenzeitung keinen Recherche-Erfolg gönnen? Oder hängt das doch mit
Eigentümerinteressen zusammen? Wie gesagt: Auch "komisch".

Krone: http://www.krone.at/Oesterreich/t-Story-397720
Kurier: http://kurier.at/politik/inland/56.891.214
ORF: http://orf.at/stories/2223152
Vorarlberg Online: http://vol.at/su2EBn

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> Europas Grenzen I: Marine feuert auf Flüchtlingsboot

"In Italien sorgt ein Video für Empörung. Darauf ist zu sehen, wie
eine Fregatte der Marine auf ein Boot mit 176 Flüchtlingen feuert",
berichtet der "Spiegel" am 25.März. Im November 2013 habe ein
italienisches Kriegsschiff nahe Sizilien ein Flüchtlingsboot verfolgt.
"Plötzlich sind zwei Salven aus einem Maschinengewehr zu hören, dann
neun Einzelschüsse. Mindestens zwei Kugeln landen knapp hinter dem
Heck des Flüchtlingsboots im Wasser", heißt es im Spiegel-Bericht.
Doch jemand auf dem Kriegsschiff filmt mit dem Handy die Szenerie.
Dieses Video wurde nun der Staatsanwalt von Neapel vorgelegt und auf
der Website der Zeitung "Repubblica" veröffentlicht.

Die Rechtfertigung der Militärs ist abenteuerlich. Aus dem
Spiegel-Bericht: "Die Aktion sei in strenger Abstimmung mit den
Justizbehörden erfolgt und habe zur Festnahme von 16 mutmaßlichen
Menschenhändlern geführt, betonte die italienische Kriegsmarine in
einer Stellungnahme. Der Schiffsführer sei mehrfach über Funk
aufgefordert worden, Inspekteure an Bord zu lassen -- vergeblich. Das
Flüchtlingsboot sei in gefährlich schlechtem Zustand und kaum noch zu
manövrieren gewesen, hieß es in der Mitteilung." Aber es kommt noch
wilder: Der Waffengebrauch sei erst erfolgt, als "absolut sicher war,
dass die Menschen an Bord des Bootes nicht gefährdet waren", so die
Militärs.

Die Justizbehören ermitteln nun, ob wirklich keine Gefährdung gegeben
war. Bleiben nur zwei Fragen: Wenn sich der Kapitän nicht hätte von
den Warnschüssen beeindrucken lassen, hätte man dann wohl scharf
schiessen müssen -- immer noch ohne sonst jemanden zu gefährden? Und:
Laut Bericht wäre die Angelegenheit in internationalen Gewässern
passiert -- ist das nach internationalem Seerecht nicht ein Akt der
Piraterie?

Diese Frage allerdings wird vielleicht durch den Namen der
Gesamtoperation beantwortet. Die Fregatte wird nämlich im Rahmen einer
"Flüchtlingsrettungsoperation" namens "Mare Nostrum" eingesetzt. Das
könnte auch heißen, daß der italienische Staat das Mittelmeer immer
noch wie zu Zeiten des römischen Imperiums als sein alleiniges
Eigentum betrachtet.
Spiegel: http://spon.de/aeb4y

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> Europas Grenzen II: Kosovo, Krim, Schottland, Venezien?

Apropos Italien: Wieder einmal (oder noch immer) gibt es in
Norditalien Bestrebungen, das Risorgimento rückgängig zu machen.
Diesmal wollen angeblich die Venezianer nicht mehr Teil Italiens sein.
"In einer Online-Befragung stimmen 89 Prozent der Bewohner der
nördlichen Region Veneto für Unabhängigkeit" berichtet der deutsche
Fernsehsender N24. Diese Abstimmung war zwar etwas seriöser als die
üblichen Abstimmungsmaschinerien auf diversen Zeitungshomepages und
wurde von lokalen politischen Parteien organisiert, ist aber dennoch
weit weg von einem amtlichen Plebiszit. Immerhin: Die
Regionalregierung wolle das Gesetz für ein Referendum ins nationale
Parlament in Rom einbringen, so der Bericht.

Damit ist Europa wieder einmal mit Abspaltungsbestrebungen einer
Region konfrontiert. Und während anno dazumal bei der Aufspaltung
Jugoslawiens die maßgeblichen EU-Stellen darüber noch erfreut waren,
sind sie es jetzt bezüglich der Krim nicht und werden es wohl auch
nicht bezüglich des Veneto sein. Allerdings werden diese Bestrebungen
wohl ebenso wie alle anderen bisherigen Abspaltungsversuche
italienischer Regionen verlaufen, nämlich im Sand der Badestrände.

Bleibt nur zu klären, ob man sich völkerrechtlich nicht irgendwann
einmal überlegen wird müssen, wie das jetzt wirklich ist mit dem
"Selbstbestimmungsrecht der Völker" und was man da so als "Volk" zu
definieren bereit ist. Sollte das schottische Referendum im Herbst für
eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich ausgehen, wird die Debatte
von neuem angefeuert werden.
N24-Bericht: http://l.n24.de/1fO3wCb

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Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die Berichte auf die
Online-Ausgaben der zitierten Medien. Zeitungsleser: -br-


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