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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 5. März 2014; 00:38
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Kommentierte Presseschau:

> Kein Schwein ruft mich an

Im Zusammenhang mit Mikl-Leitners "Entradikalisierungs-Hotline" ist
vielleicht ein Blick nach Deutschland interessant. Dort blamiert sich
der Staat gerade, wie die "taz" berichtet.

Denn im Herbst 2011 hatte der Bundesverfassungsschutz einen neuen
Telefondienst eingerichtet. Eine Aussteiger-Hotline für Linksextreme
sei es, "rund um die Uhr" erreichbar. Der taz-Bericht:

"Abtrünnigen wurde einiges geboten: Hilfe bei der Job- und
Wohnungssuche, Kontakte zu Justiz und Behörden, auch die Vermittlung
von 'Qualifizierungsmaßnahmen'. Dies alles, so der Verfassungsschutz,
als Teil des 'ganzheitlichen Ansatzes' gegen Extremismus.

Nur: Es ruft keiner an.

Wie aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine
Linken-Anfrage hervorgeht, ... ist die Resonanz auf das
Aussteigertelefon zweieinhalb Jahre nach dessen Start mehr als
verhalten. Riefen in den ersten Monaten, von der Schaltung im Oktober
2011 bis zum damaligen Jahresende immerhin noch 21 Personen die Nummer
an, waren es im gesamten Folgejahr nur noch 15 Anrufe. Im Jahr 2013
blieben gar nur mehr fünf Anrufe. ... Nicht besser ist die inhaltliche
Bilanz der Telefonate. Schon ein Jahr nach Schaltung notierte der
Verfassungsschutz, daß 25 der 33 Anrufe 'nicht ernst gemeint' waren.
Immerhin: Diese Spaßanrufe blieben im letzten Jahr gänzlich aus.
Allerdings führten auch die fünf eingegangenen Anrufe ins Leere: Bei
keinem einzigen, so das Innenministerium, hätten sich 'Folgegespräche'
ergeben."

Die Linke-Abgeordnete Ulla Jelpke dazu. "Es macht sich nicht mal mehr
jemand die Mühe, wenigstens noch einen Spaßanruf abzusetzen." Die
Hotline sieht Jelpke nur als Vehikel des "Extremismuskonzepts" der
Unionsparteien: "Linke brauchen aber keine geheimdienstliche
Unterstützung, wenn sie linke Strukturen verlassen wollen."
Bericht: http://www.jungewelt.de/2014/02-24/005.php
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> Große Chance für kleine Parteien in Deutschland

Über das deutsche Wahlrecht berichtet "Die Welt" am 26.2.: "Das
Bundesverfassungsgericht hat die vom Bundestag beschlossene
Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen für verfassungswidrig erklärt. Sie
verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der
Chancengleichheit der Parteien, sagte Gerichtspräsident Andreas
Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. ... Wirklich überraschend ist
dieses Urteil nicht, denn bereits in seiner Entscheidung vom 9.
November 2011, mit der das Gericht die Fünf-Prozent-Klausel kippte,
hatte es sich argumentativ so weit festgelegt, dass ein anderes Urteil
nur mit einer grundlegenden Revision der bisherigen Sichtweise
begründbar gewesen wäre. ... Konkret heißt das nun: Bei der Europawahl
im kommenden Mai gibt es keine Sperrklausel, die den Einzug kleiner
Parteien ins Parlament verhindert. Grob gerechnet sichert den kleinen
Parteien dann ein Prozent der Wählerstimmen einen Platz in Straßburg.
... Nicht ohne Grund unterliege das Wahlrecht einer strengen Kontrolle
durch das Bundesverfassungsgericht, sagte Voßkuhle. Gerade bei der
Wahlgesetzgebung bestehe nämlich die Gefahr, 'dass die jeweilige
Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom
Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt'."

Generell akzeptiert das deutsche Höchstgericht zwar Sperrklauseln bei
Bundestags- und Landtagswahlen, allerdings wäre bei diesen Wahlkörpern
das Argument der "Unregierbarkeit" durch daraus entstehende
Regierungen gewichtiger als der Ansatz, daß jede Wahlstimme möglichst
gleich gewertet werden müßte. Das Europaparlament hätte aber derzeit
noch zuwenig Einfluß, als daß hier eine Zersplitterung ein Problem
darstellen könnte.

In Österreich wäre so ein Urteil des Verfassungsgerichtshof zwar auch
denkbar. Allerdings wird da niemand klagen. Denn die österreichische
Sperrklausel von 4% ist überhaupt nicht wirksam, denn da Österreich
sowieso nur 18 Abgeordnete entsenden kann, sind faktisch etwa 5% für
ein Mandat notwendig. Da bei der EU-Wahl Österreich ein einziger
Wahlkreis ist, ist auch der Einzug über ein Grundmandat nicht möglich.
Deutschland hingegen stellt 99 Abgeordnete, ohne die Sperrklausel
reicht da schon etwa 1% für den Einzug ins EP. Damit ist aber klar:
Abhängig vom jeweiligen Wahlrecht haben in manchen der großen
EU-Staaten Kleinparteien eine Chance auf den Einzug ins Parlament, in
kleineren Staaten wie etwa Österreich aber auf keinen Fall. Dies
könnte sich erst ändern, wenn echte Europalisten kandidieren können
und es ein nationenübergreifendes Reststimmenverfahren gäbe.
Ausführliche Analyse: http://www.welt.de/article125218870
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> Mein Körper gehört mir

Als Reaktion auf die Bestrebungen der spanischen Regierung,
Abtreibungen wieder zu kriminalisieren hatte die Künstlerin Yolanda
Domínguez Anfang Februar eine Protestaktion initiert, bei der Frauen
in verschiedensten Städten Spaniens die Büros der Handelsregister
stürmten um jeweils ihren eigenen Körper als ihr höchstpersönliches
Eigentum eintragen zu lassen -- und damit gegen die Einmischung
Dritter zu schützen. Das berichtete "El Pais" am 6.Februar.

Man sollte diese rechtliche Möglichkeit auch anderswo prüfen -- weit
über die Abtreibungsdebatte hinaus. Sollten die spanischen
Eigentumsgesetze beispielsweise hierzulande eine Entsprechung finden,
wäre das vielleicht ein Mittel gegen die diversen
Bevormundungsversuche durch Mediziner und Gesundheitspolitiker, die ja
immer der Meinung sind, uns bevormunden zu müssen. Denn wie ungesund
ich lebe, hat wirklich meine Angelegenheit zu sein. Aus einem Recht
auf meinen Körper ließe sich auch ein Recht konstruieren, daß ich ihn
vergiften darf wie ich will und daß Zwangs-Reha-Maßnahmen wie
"fit2work" und Ähnliches einen Eingriff in privates Eigentum bedeuten
würde. Schließlich ist dieses ja im Kapitalismus sowieso schon heilig
gesprochen.
Bericht über die Aktion auf Spanisch:
http://politica.elpais.com/politica/2014/02/06/actualidad/1391707776_096749.html
KurzURL: http://tinyurl.com/akin14-6-1
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> Nach den brennenden Regierungsgebäuden

"Mit den andauernden Protesten und den Versammlungen in vielen
Städten - 'Plena' genannt - ist so etwas wie direkte Demokratie in
einem Land entstanden, dessen Bewohner vorher keine Erfahrung damit
gemacht hatten. In diesen Versammlungen stehen ökonomische und soziale
Themen im Vordergrund, politische Parteien sind nicht willkommen.
Damit findet zum ersten Mal kollektives Handeln statt. Die Bürger
organisieren sich, bilden Arbeitsgruppen und stellen Forderungen. Das
alles wird aber keineswegs von ethnischen oder nationalen Interessen
beherrscht. Auch wenn diese Plena erst am Anfang stehen, halte ich sie
für eine vielversprechende Sache."

Das sagt Medina Malagic über Bosnien in einem Interrview mit der
"jungen welt" am 24.Februar. Malagic ist Herausgeberin des im November
2012 gegründeten Nachrichtenportals "Sarajevo Times". Als die
Regierungsgebäude und Polizeiautos brannten, gab es internationale
Schlagzeilen. Jetzt könnte aber in Bosnien eine Entwicklung im Gange
sein, die keine so hübschen Bilder liefert, dennoch aber politische
Sprengkraft besitzt. Leider beschränken sich aber die Berichte darüber
im deutschsprachigen Bereich auf einige Wenige wie dieses Interview.

Vielleicht spielt sich aber auf dem Balkan gerade etwas ab, was
weitaus berichtenswerter ist als die physische Revolte. Malagic: "Was
jetzt in Bosnien-Herzegowina passiert, ist neu und radikal. Die
Tatsache, daß die Leute zusammenkommen und ihre Bedürfnisse kollektiv
zum Ausdruck bringen, ist das Gegenteil der allgemeinen Passivität und
Lethargie, die in der bosnischen Gesellschaft 20 Jahre lang
dominierte. Außerdem haben die Bürger die herrschende politische Elite
zum ersten Mal das Fürchten gelehrt. Die Ministerpräsidenten von vier
Kantonen haben bereits ihren Rücktritt eingereicht und die Plena haben
den Kantonalparlamenten Forderungen mit einer Frist für die Umsetzung
übermittelt."

Vielleicht ist diese Hoffnung auf eine demokratischere und
solidarischere Gesellschaft naiv. Aber möglicherweise ist Naivität
genau das, was Bosnien jetzt braucht. Und nicht nur Bosnien.
Das Interview: http://www.jungewelt.de/2014/02-24/005.php
*

Zeitungsleser: -br-



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