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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Februar 2014; 11:06
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Arbeit/Recht:

> Das Streikrecht steht in Frage

Der Arbeitskonflikt bei der KBA könnte den sozialpartnerschaftlichen
Konsens der Zweiten Republik sprengen. (Zur aktuellen Entwickung siehe
die Nachbemerkung.)
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Es ist eine politische Bombe. Noch ist sie nicht hochgegangen. Doch
sie tickt schon lange -- seit der Zeit, als sich die Arbeiterbewegung
noch in der Monarchie das Streikrecht erkämpfte. Denn dieses
Streikrecht ist in Österreich so gut wie gar nicht rechtlich
codifiziert.

Als die Arbeiterbewegung so stark war, daß das Kapital froh sein
mußte, wenn es nur mittels Arbeitsniederlegung und dem Blockieren von
Streikbrechern bekämpft wurde, akzeptierten Unternehmertum und
Kapitalparteien dieses informelle Streikrecht. Nach der Zeit des
Faschismus wollte man auch nicht daran rühren und nach der großen
Streikbewegung von 1950 etablierte sich die Sozialpartnerschaft.
Streiks sollten in Hinkunft verhindert werden -- darin waren sich
Sozialpartner und die Partner der großen Koalitionen einig. Es gab ja
auch im Wirtschaftswunder genug zu verteilen -- die Streikdrohung
blieb als nur theoretisches Kampfmittel der Gewerkschaften im Raum.
Ein formelles Streikrecht brauchte niemand und selbst wenn es zu
Streiks kam, wollte es niemand. Denn der heute rund hundertjährige
Rechtsusus war beiden Seiten recht. Weder wollte die Kapitalseite ein
eindeutiges Recht auf Streik noch wollten die Gewerkschaften sich
Bedingungen diktieren lassen, unter welchen Umständen ein Streik
rechtmäßig sei.

Rudimentär gibt es ein gesetztes Streikrecht, daß sich aber
hauptsächlich aus vagen Verfassungsbestimmungen, ebensolchen der
Menschenrechtskonvention, einigen Nebenbemerkungen in ein paar
Gesetzen sowie Urteilen des Menschenrechtsgerichtshofs als auch einem
EuGH-Urteil von 2007 ableitet. Das ist zwar alles eindeutig -- aber
nur nach der Lesart des ÖGB. Die Wirtschaftskammer besteht darauf, daß
es weder ein gesetztes noch ein richterliches Recht auf Streik in
Österreich gibt -- und formal ist auch diese Lesart vertretbar.

Bislang war das alles allerdings graue Theorie. Bis vor wenigen Tagen.
Galt es bislang als österreichischer Konsens, daß Streik legal sei,
solange es sich um einen Tarifkonflikt oder ähnlichen Arbeitskampf
handelt, und Streikende weder arbeitsrechtlich noch zivilrechtlich
noch strafrechtlich belangt werden können, ist das jetzt
möglicherweise alles anders.

Zivilklagen denkbar...

Schuld ist ein deutscher Konzern, der den österreichischen Konsens
nicht zu akzeptieren bereit ist. Die Streikenden bei der KBA sind nun
damit konfrontiert, daß die "Konzernmutter" des
Druckmaschinenherstellers, die deutsche Koenig & Bauer, ganz andere
Ansichten über das Streikrecht hat. In einer unverhüllten Drohung des
Vorstands der KBA heißt es, daß "Streik oder sonstige Formen des
Arbeitskampfes" nicht toleriert werden könnten. Die Geschäftsleitung
versteigt sich sogar zu der Aussage: "Derartige -- nach
österreichischem Recht unzulässige -- Kampfmaßnahmen werden hiermit
ausdrücklich untersagt." Eine Firma, die meint, man müsse sie um
Erlaubnis fragen, ob man streiken darf -- das hat man hierzulande
überhaupt noch nicht gehört. Doch nicht nur das, sondern man meint bei
der KBA auch, daß ein Streik eine fristlose Entlassung inclusive eines
Verlustes der Abfertigung rechtfertigen würde. Und sogar
zivilrechtlich wolle man gegen die angeblich "sehr geehrten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" vorgehen: "Darüber hinaus wäre der
Vorstand aus rechtlichen Gründen gezwungen, Sie für sämtliche Schäden,
die durch eine Kampfmaßnahme verursacht werden (insb. durch Liefer-
und Produktionsausfälle), gerichtlich in Anspruch zu nehmen, wofür sie
mit ihrem gesamten Vermögen haften."

... und gar nicht so absurd

Das ist natürlich der Überhammer. Ist es denkbar, daß so eine Klage
möglich ist oder überhaupt durchgehen könnte? Es erscheint absurd, es
gibt aber in der österreichischen Rechtsgeschichte eine Analogie, die
einem zu denken geben müßte. Solange die Umweltbewegung stark war, war
es ein absolutes No-Go, das Blockieren von Baustellen oder
Industrieanlanagen anders als Verwaltungsübertretungen zu ahnden. Als
aber die Umweltbewegung begann sich zu institutionalisieren und damit
aktionistisch in ihrer Mobilisierungskraft nachließ, kam ein Bauherr
plötzlich auf die Idee, zivilrechtlich gegen Blockierer vorzugehen --
Stehzeiten von Baumaschinen und ähnliches wurden plötzlich verrechnet
und es kam zu Millionenklagen -- die dann auch prinzipiell vom
Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. 1994 führte dieser aus: "Das
verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsrecht findet dort seine
Schranken, wo durch die Versammlung in die Privatrechtssphäre Dritter
eingegriffen wird. Die dem Dritten zustehenden privaten Rechtsbehelfe
können somit grundsätzlich nicht unter Berufung auf das
verfassungsmäßig gewährleistete Versammlungsrecht gemindert oder sogar
aufgehoben werden. ... Von einer Überordnung des Versammlungsrechtes
gegenüber dem Eigentumsrecht kann somit nicht gesprochen werden." (OGH
3Ob501/94)

Aber was hat das mit dem Streikrecht zu tun? Tatsächlich leitet ein
Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) aus dem
Recht auf Versammlungsfreiheit (Art. 11 EMRK) ein prinzipielles
Streikrecht ab -- was ein beliebtes Rechtsargument der Gewerkschaft
ist. Doch das steht auf tönernen Füssen und könnte mit obiger
OGH-Rechtssprechung ausgehebelt werden -- vor allem in Fällen, auf den
das erwähnte EGMR-Urteil nicht anwendbar erscheint.

Die Analogie ist auch dadurch zu rechtfertigen, daß man sich lange
Zeit auf den Rechtsusus, daß Zivilklagen bei Baustellenblockaden nicht
üblich sind, verlassen und sie als Gewohnheitsrecht angesehen hat --
ähnlich ist es bei den zentralen Punkten des österreichischen
Streikgewohnheitsrechts. Sicher gibt es da bessere
Grundrechtsargumente als bei Umweltaktionen. Auch könnte man Artikel
28 der Europäischen Grundrechtscharta (EGC) ins Treffen führen. Dort
heißt es, Arbeitnehmer-Organisationen hätten das Recht, "bei
Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer
Interessen, einschließlich Streiks" zu ergreifen. Nur ist nach wie vor
weder die unmittelbare Anwendbarkeit der EGC klar noch ist dies
unbedingt ein Schutz vor Kündigung und Zivilklagen -- damit ließe sich
wahrscheinlich lediglich eine strafrechtliche Klage abwenden.

Politik gefordert

Das geschriebene und ungeschriebene Arbeitsrecht fußt auf einer langen
Geschichte von politischen Kämpfen. In einer Zeit, wo der
gewerkschaftliche Organisationsgrad und auch die Streikfähigkeit immer
geringer wird, ist der spärliche Rest an Arbeiterbewegung, der noch
vorhanden ist, auf den Goodwill des Kapitals angewiesen. Man muß heute
wohl wirklich über ein gesetzliches Streikrecht nachdenken. Wie das
allerdings unter den derzeitigen Umständen aussehen würde, kann man
sich ausmalen.

Vielleicht kann man diesmal auch noch ein wenig am Zünder dieser
arbeits- und demokratiepolitischen Bombe herumdrehen. Wahrscheinlich
wird sich die Gewerkschaft von diesen Drohungen -- und den im
Klagsfalle möglicherweise daraus resultierenden
Höchstgerichtsurteilen -- einschüchtern lassen und den Beschäftigten
bei KBA einreden, sie sollten sich auf einen miesen Deal einlassen.
Wenn das aber durchgeht, wird demnächst der nächste Konzern den
bisherigen österreichischen Konsens in Frage stellen.

Über kurz oder lang wird man daher wohl über eine politische Lösung
diskutieren müssen. Die Zeit des sozialpartnerschaftlichen "Mir wern
kann Richter brauchen" scheint auf alle Fälle abzulaufen.

*Bernhard Redl* (10.2.2014)

*

Nachbemerkung:

Nach Redaktionsschluß wurde bekannt, daß der KBA-Streik beendet ist --
mit einem, wie zu erwarten war, lausigen Ergebnis: Statt 460 werden
nur 385 Stellen von insgesamt etwa 700 gestrichen. Nach wie vor wird
befürchtet, daß dies nur der erste Schritt zur völligen Schließung
aller Standorte in Österreich ist. Die Strategie der Drohungen scheint
aufgegangen zu sein, die Rechtsunsicherheit besteht jedoch weiterhin.



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