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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. Jänner 2014; 14:39
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Causa Prima/Recht:

> Der Polizeiermächtigungsparagraph

Die Geschichte eines praktischen Gesetzes

Nachdem das Schalverbot der Polizei in Wien innerhalb des Gürtels
genau gar nicht befolgt und, soweit bekannt, auch nicht exekutiert
worden ist, verschwand die Debatte darüber nach den
Auseinandersetzungen bei den Demos sehr schnell wieder aus der
Öffentlichkeit. Das ist aber schade -- denn solch skurille
Verordnungen sind ja an sich bemerkenswert. In der Geschichte muß man
schon relativ weit zurückgehen, um eine vergleichbare Seltsamkeit zu
finden. Eine davon war 1988 in der Umgebung des Flughafens
Graz-Thalerhof gültig: Dort verordnete die Polizei ein generelles
Verbot, Zelte aufzustellen. Der Hintergrund: Man wollte die Errichtung
eines Widerstandcamps wegen der eben stationierten Draken verhindern.
Eine andere obskure Verordnung erließ September 1990 ein
Bezirkshauptmannstellvertreter bei Protesten gegen die Stationierung
von Soldaten an der Grenze: Er ließ eine Gruppe von DemonstrantInnen
aus dem Burgenland ausweisen.

Doch was ist eigentlich die rechtliche Grundlage solcher Verordnungen?
Da muß man noch weiter zurück, bis ins Jahr 1929. Damals erließ man im
Zuge der großen Verfassungsreform auch ein Verfassungsgesetz, das in
der Literatur oft kurz als Überleitungsgesetz 1929 bezeichnet wurde.
Das war als Provisorium gedacht -- doch in Österreich hält nichts so
lange wie ein Provisorium, vor allem wenn es sehr praktisch ist. In
diesem ÜG 1929 war unter Art.II §4 Abs.2: "Bis zur Erlassung
bundesgesetzlicher Bestimmungen über die Befugnisse der Behörden auf
dem Gebiet der allgemeinen Sicherheitspolizei können die .... Behörden
zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen oder
des Eigentums innerhalb ihres Wirkungsbereiches die zur Abwendung der
Gefahr erforderlichen Anordnungen treffen und deren Nichtbefolgung als
Verwaltungsübertretung erklären".

Das war der totale Freibrief für die Polizei. Denn damit konnte sie so
ziemlich alles verordnen, was ihr gerade einfiel. Einzige
Einschränkung: "Solche Anordnungen dürfen nicht gegen gesetzliche
Vorschriften verstoßen". Da bleibt ein sehr großer Spielraum. Zwar
betonten viele Rechtskommentare, daß dies kein Persilschein für
Willkür wäre, da ja nur "erforderliche" Anordnungen damit sanktioniert
wären -- aber was erforderlich ist, bestimmte letztlich doch die
Polizei. Und das durften die Polizeipräsidien und
Bezirkshauptmannschaften auch ganz alleine verantworten. Die
Legislative kam da einmal gar nicht vor, denn die hatte mit diesem
Ermächtigungsgesetz die diesbezügliche Normensetzung ja in die Hand
der Polizei gegeben. Auch eine gerichtliche Überprüfung war nicht
vorgesehen -- außer dem generell möglichen Weg der Normprüfung zum
Verfassungsgerichtshof, der aber üblicherweise erst damit befaßt
werden konnte, wenn die Verordnung längst nicht mehr gültig war. Und
das Innenministerium als weisungsbefugte politische Instanz war zwar
berechtigt, hier einzugreifen -- tat das aber nur ungern formell, weil
man dort froh war, derlei politisch nicht zu verantworten zu haben.

Sechs Jahrzehnte Provisorium

Mit diesem Provisorium war der Staat also recht glücklich. Die
Polizeibehörden konnten damit verordnen, was sie wollten -- vom
Zeltverbot bis zur allgemeinen Ausgangssperre ließ sich damit alles
legitimieren. Bald nach diesem Gesetzesbeschluß kam der
Austrofaschismus und dann die Nazis. Die Zweite Republik hatte danach
andere Sorgen, als sich um so lästige Fragen wie Grundrechte und
Gewaltenteilung zu kümmern. Man bestätigte per Überleitungsgesetz 1945
einfach das alte Provisorium. Und so dauerte es bis Ende der 1980er
Jahre, daß sich Beamte und Politiker daran erinnerten, daß doch vor
Urzeiten ihre Vorgänger einmal versprochen hatten, ein ordentliches
Polizeibefugnisgesetz zu machen. Da sollte dann drinnen stehen, was
die Polizei genau verordnen darf -- also eine ordentliche Grundlage
von Platzverboten, Wegweisungen und ähnlichem. Willkürliche
Phantasieanordnungen sollten damit aber nicht mehr möglich sein.

Ermächtigung 2.0

Dann kam der ministerielle Entwurf des Gesetzes. Und siehe da, die
generelle Verordnungsermächtigung war wieder drinnen. In den
Erläuterungen dazu hieß es: "Der Verlust auch der Möglichkeit,
generelle Anordnungen zu treffen, schien jedoch zu weitgehend zu sein.
Dementsprechend sieht diese Bestimmung, ... ein generelles
Anordnungsrecht ... vor, und zwar dann, wenn es gilt, neu oder in
außergewöhnlichem Umfang auftretenden allgemeinen Gefahren zu
begegnen".

Deswegen gibt es heute den §49 des 1991 beschlossenen
Sicherheitspolizeigesetzes mit der Bezeichnung "Außerordentliche
Anordnungsbefugnis". Bei korrekter Auslegung der jetztigen
Formulierung "allgemeine Anordnungen" sollte zwar eine individuelle
Anordnung gegen einzelne Personen wie nach der alten Regelung nicht
mehr möglich sein. Eine Ausweisung aus dem Burgenland wäre damit also
nicht mehr zu rechtfertigen. Dafür fehlt aber bei der Definition, daß
die Anordnungen "erforderlich" sein müßten -- also könnten es
vollkommen rechtskonform auch unnötige Anordnungen sein.

So kann man natürlich locker verordnen, daß das Tragen eines Schals
mit einer Verwaltungsstrafe zu bedrohen ist. Die Polizei hätte uns
nach dieser Rechtslage auch befehlen können, in der ganzen Stadt nur
in Badehosen auf die Straße gehen zu dürfen. Sie hätten dabei sogar
die Farbe der Badehosen bestimmen können.
*Bernhard Redl*



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