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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. Dezember 2013; 18:57
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Glosse:

Nichts Neues, aber schlimmer

Regierungsbildung und Koalitionspakt wirken wie ein Abgesang auf das
Soziale und die Demokratie
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Der Regierungspakt? Primaer ist da natuerlich das Budgetloch, wie
klein oder gross es denn auch immer sein mag. Wenn ich nicht mehr
weiterweiss, erhoeh' ich den Zigarettenpreis! Raucherbashing kommt
immer gut und die Gruenen koennen auch nicht motzen. Man verkauft dies
unter der Ueberschrift "Oekologisierung und Gesundheit" (Seite 114 der
Uebereinkommens) und kann Budgetloecher stopfen. Ein versierter Dealer
weiss ja, dass die Verteuerung der Droge keine Absatzprobleme
bereitet, sondern nur gut fuer den Profit ist.

Die Erhoehung von Massensteuern ist einer der konkreten Punkte in
diesem Regierungsueberinkommen. Vieles laeuft hingegen eher unter der
Kategorie Geschwurbel. Zum Thema Demokratisierung faellt der neuen
Regierung hauptsaechlich ein, dass man sich jenes aeusserst
halbherzige Volksbegehrensattraktivierungspaket, das in der letzten
Legislaturperiode gross angekuendigt, aber dann unbeschlossen
liegengeblieben ist, noch einmal anschauen moechte: "Es wird daher
angeregt, umgehend nach der Regierungsbildung eine Enquete-Kommission
im Nationalrat einzusetzen, um den genannten Begutachtungsentwurf
unter Einbeziehung der eingelangten Stellungnahmen zu ueberarbeiten"
(Seite 98). Immerhin: Wenn bei dieser Enquete was herauskaeme, was ein
bisserl ernsthafter daherkommt, waere das ja begruessenswert -- aber
wer glaubt das bei diesen Wischi-Waschi-Andeutungen im
Regierungsprogramm?

Beachtlich waere auch, dass das Amtsgeheimnis abgeschafft werden
soll -- waere das ernst gemeint. Denn das Amtsgeheimnis soll ersetzt
werden durch: "eine verfassungsgesetzlich angeordnete Pflicht aller
Staatsorgane, Informationen von allgemeinem Interesse der
Oeffentlichkeit zur Verfuegung zu stellen". Klingt gut -- aber die
Ausnahmen davon sind natuerlich auch wichtig. Und da will sich die
Regierungsmehrheit vorbehalten, diese lediglich einfachgesetzlich
definieren zu koennen (Seite 99). Waere ja noch schoener, wenn man
etwas geheimhalten will und deswegen mit der Opposition reden muesste,
um eine Zweidrittelmehrheit zu bekommen.

Johannes Voggenhuber, entsorgter Gruenabgeordneter und Mitinitiator
des Demokratie-Volksbegehrens kommentierte den Pakt via Facebook mit
dem Bonmot: "Die Wahrheit ist zumutbar, die Wirklichkeit aber nicht!"

"Sicherheit"

Auch fuer die moderne Welt haelt das Regierungsuebereinkommen so
manches parat. Das Internet wird dabei allerdings hauptsaechlich als
Bedrohung angesehen. Eine der Zielvorgaben unter der Ueberschrift
"Inneres" (Seite 87): "Intensivierung der Bekaempfung von
Cyberkriminalitaet sowie die Erhoehung der gesamtstaatlichen
'Cybersicherheit', Schutz kritischer Infrastrukturen und
Gewaehrleistung der Datensicherheit". Aehnlich heisst es in der Rubrik
"Landesverteidigung": "Verbesserung der zivil-militaerischen
Zusammenarbeit: Neue Risikobilder wie 'Cyber', Terrorismus,
Bedrohungen der kritischen Infrastruktur oder zunehmende Katastrophen
erfordern eine vertiefte Zusammenarbeit mit anderen Ressorts und
zivilen Organisationen".

Wenn man dann noch beim Innenressort die Zielvorgabe findet: "Ausbau
der praeventiven und repressiven Mechanismen um eine effektive und
effiziente Abwehr der Spionage und der Folgen von Extremismus und
Terrorismus zu ermoeglichen", kann man sich zu fuerchten beginnen. Der
Ueberwachungsstaat steht in seiner Entwicklung anscheinend erst am
Anfang.

Dass nebenbei der militaerisch-industrielle Komplex auch ein bisserl
gestaerkt werden soll, darf da nicht mehr verwundern: "Positionierung
des OeBH [Oesterreichischen Bundesheer] als Partner der Wirtschaft
fuer Forschung, Innovation und Technologieentwicklung" heisst es auf
Seite 92.

Arbeit und Soziales

Im Bereich Soziales klingen ein paar Ueberschriften ja ganz gut wie
etwa "Leistbares Leben" und "Leistbares Wohnen". Da gibt es ein paar
befuerwortbare Vorschlaege. Allerdings merkt man auch, dass die
Moeglichkeiten bei den Preisen fuer Wohnen, Energie und Lebensmittel
einzugreifen, hoechst eingeschraenkt sind -- mehr als ein paar
buerokratische Massnahmen sind auf den liberalisierten Maerkten nicht
drin. "Reform des Mietrechts im Bereich des Wohnens mit den Zielen
groesstmoeglicher Vereinheitlichung, besserer Verstaendlichkeit fuer
die Rechtsanwender, transparenter gesetzlicher Ausgestaltung und
Leistbarkeit der Mieten", heisst es da auf Seite 66 und "Steigerung
der Investitionskraft der gemeinnuetzigen Wohnungswirtschaft fuer mehr
Neubau und Sanierung". Ob die Mieten davon wirklich billiger werden,
ist mehr als zweifelhaft. So etwas wie sozialer Wohnbau unter der
Kontrolle der oeffentlichen Hand kommt heutzutage natuerlich einer
Regierung nicht mehr in den Sinn.

Was die Arbeitswelt angeht, ist der Regierungspakt ziemlich
unuebersichtlich. Massnahmen finden sich verstreut unter anderem in
den Kapiteln "Wachstum und Beschaeftigung fuer Oesterreich" und
"Laenger gesund leben und arbeiten". Letzteres ist wohl als Parole
gemeint, die man als gelernter Oesterreicher aber eher als Drohung
auffassen muss. Darunter versteht die Regierung naemlich
offensichtlich, Menschen fuer gesund genug zum laenger arbeiten zu
bekommen oder zumindestens dafuer zu erklaeren. Die geplante
"Weiterentwicklung" des Programms mit dem verraeterischen Titel
"fit2work" ist dafuer ja bezeichnend (Seite 10). Dafuer soll
natuerlich vor allem einmal das AMS sorgen. "Beratung statt Strafe"
steht da auf Seite 19 als Zwischenueberschrift. Das laesst hoffen!
"Strafen als letztes Mittel im Verwaltungshandeln, Toleranzschwellen
werden vorgesehen, Kontrollen erfolgen in angemessener Form", steht
darunter. Das laesst wieder weniger hoffen, sondern klingt eher nach
einer Grundlage fuer weitere Willkuer. Und natuerlich: Statt Anhebung
des gesetzlichen Pensionsantrittsalter, was eine unpopulaere Massnhme
ist, soll das tatsaechliche Antrittsalter angehoben werden:
"Konsequente Verwirklichung des Grundsatzes Praevention,
Rehabilitation und Erwerbsintegration vor Pension" heisst die Parole
auf Seite 70 -- sprich: Wer noch irgendwie hackeln kann, soll auch
hackeln!

Und damit wir uns daran gewoehnen, dass der Staat sich langsam aber
sicher aus der Pensionsversicherung ausklinken und das dem
Privatsektor ueberlassen moechte, fordert man auf Seite 73:
"Attraktivierung der Betriebs- und Privatpensionen".

Das Uebliche

Ja, und dann gaebe es noch die Foederalismusreform (Seite 96). "Es
soll eine klare und moderne Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und
Laendern mit dem Bekenntnis zum modernen Foederalismus ... geschaffen
werden". Der Running Gag der oesterreichischen Innenpolitik! So
aehnlich ist es eigentlich noch fast in jedem Regierungsprogramm der
letzten zwanzig Jahre gestanden.

Auch die Einfuehrung der Finantransaktionssteuer (Seite 80) wurde
schon mal als so gut wie beschlossen behauptet und sogar von der
Finanzministerin im Budget einberechnet. Gekommen ist die Steuer nicht
und steht jetzt wieder nur als Verheissung im Regierungsprogramm --
wenn sie nicht kommt, ist die EU schuld.

Resuemee

"Grundfragen der Deliktsverwirklichung im Vollrausch" -- so lautet der
Titel der Habilatitionsschrift unseres neuen Justizministers. Das mag
Zufall sein, aber wenn man boese sein will, kann man vermuten, dass
sich die Koalitionspartner fuer diese Regierung einen Experten fuer
ihre zukuenftige Verteidigungsstrategie mit ins Regierungsboot holen
wollten. Weil so ganz nuechtern koennen die Sozialdemokraten wohl
nicht bei ihren Verhandlungen zum Regierungspakt gewesen sein -- und
die schwarze Ressortneuverteilung ist ueberhaupt eine Schnapsidee. Vor
drei Jahren tourte Sebastian Kurz noch mit seinem Geilomobil durch
Wien, jetzt wird er Aussenminister. Das Wissenschaftsressort wird dem
Wirtschaftministerium untergeordnet und stattdessen schafft man ein
eigenstaendiges Familienressort -- obwohl man noch 2011 gerade auf ein
eigenes Familienstaatssekretariat meinte verzichten zu koennen. Der
Landwirtschaftsminister bemueht das Jesus-Herz und taucht mit eigener
Blasmusik bei der Angelobung auf. Seine wichtigste Qualifikation fuer
das Amt ist das Tirolertum. Sieben Ressortchefs hat die OeVP -- die
SPOe nur sechs und den Bundeskanzler. Trotzdem gibt es gerade in der
OeVP Unmut ueber diese Regierungszusammensetzung -- offensichtlich,
weil nicht alle Buende und Bundeslaender ausreichend bedient worden
sind. Die Vaterlaendische Front laesst gruessen.

Und man macht auch gleich klar, wie diese Regierung zu agieren gewillt
ist -- unterirdisch zum Bundespraesidenten gehen wollte man diesmal
nicht, sondern man sperrt den Ballhausplatz einfach ab, damit der
Poebel seinen Vertretern nicht zu nahe kommen kann.

Was wird vom Regierungsuebereinkommen aber wirklich umgesetzt? Solche
Erklaerungen sind ja sicher mehr als unverbindliche Vorhaben
anzusehen. Man kann es auch wie Niki Kowall von der "Sektion Acht" der
SPOe Alsergrund auf seinem Blog sehen, der hofft, dass die keineswegs
abgewendeten Privatisierungen im OeIAG-Bereich nicht so ernst gemeint
waeren, weil die SPOe spaeter mit der Ausrede kommen wuerde, sie
koennte das nicht gegen die FSG umsetzen -- und die OeVP wuerde das
einfach so fressen muessen.

Nunja, die Hoffnung eines Sozialdemokraten stirbt halt zuletzt. Die
Landmarks, die mit der Ressortverteilung gesetzt wurden, sprechen eine
andere Sprache. Dass die SPOe hauptsaechlich Nebochantenressorts hat,
wo ausser Zores nicht viel zu holen ist, scheint mittlerweile
niemanden mehr aufzuregen. Und diese Ressortverteilung wird die
Politik viel eher bestimmen als das 124-Seiten-Papier -- das wenige
Soziale darinnen wird wohl mangels pressure group in der Regierung
untergehen. Bleiben werden Repression und Neoliberalismus.

Von dieser Regierungsperiode wird der Sozialdemokratie wohl nur als
Erfolg ueberbleiben, den Zahnersatz fuer Jugendliche als
Krankenkassenleistung durchgesetzt zu haben -- so das denn auch
wirklich beschlossen wird. Und natuerlich der Stolz eines jeden
Sozialdemokraten, der, wie Kurt Tucholsky 1932 schrieb, darin besteht,
"Schlimmeres verhuetet zu haben".

Die SPOe hat sich wohl aufgegeben. Oder besser deren Spitze die
Partei. Wenn man sich die Kommentare zum Regierungspakt auf der
Facebook-Seite der Bundespartei -- wo hauptsaechlich SPOe-MItglieder
sein duerften -- so ansieht, stellt man fest, dass der Grossteil der
Statements eher nicht druckfaehiges Gefluche ist.

Doch die Basis ist der Parteispitze ja traditionell egal. Irgendwie
scheint man in der Parteifuehrung noch auf einen Konjunkturaufschwung
zu hoffen, damit man in 5 Jahren vielleicht doch nicht ins Bodenlose
abstuerzt. Oder die jetzige Fuehrungsriege sagt sich auf gut
oesterreichisch: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst! Wir
wurschteln einfach weiter, als waere nix gewesen. Und hinter uns die
Sintflut! Und ob dann Bumsti Bundeskanzler wird oder
Schwarz-Gruen-Pink die letzten Reste des kreiskyschen Erbes
entsorgt -- uns doch wurscht! Wir gehen dann in die Wirtschaft. Prost!
*Bernhard Redl*





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