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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Dezember 2013; 16:43
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International/Kapitalismus:

> Der naechste Globalisierungsschritt

Bei der WTO-Konferenz in Bali wurde der Welthandel weiter
"liberalisiert". Doch die USA duerfen Kuba auch weiterhin
boykottieren. Und Indien verdankt die Beibehaltung seiner Ausnahmen
wahrscheinlich nur dem Druck seiner Zivilgesellschaft.
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Erstmals seit ihrer Gruendung im Jahr 1995 hat die
Welthandelsorganisation (WTO) am Samstag bei einer Ministerkonferenz
auf der indonesischen Insel Bali ein globales Abkommen zur
Liberalisierung des Welthandels erzielt. Die Einigung sei ein
"wichtiger Schritt" fuer weitergehende Massnahmen im Rahmen der
sogenannten Doha-Verhandlungsrunde, sagte WTO-Generalsekretaer Roberto
Azevedo. Kritiker des Freihandels sehen die Entwicklung indes
kritisch.

Die Bemuehungen der Organisation waren zuvor seit Jahren von
Misserfolgen gepraegt. Den Durchbruch in den Verhandlungen der 159
WTO-Mitgliedstaaten verkuendete der indonesische Handelsminister Gita
Wirjawan in der Abschlusssitzung der Ministerkonferenz. "Erstmals in
ihrer Geschichte kann die WTO ihre Versprechen halten", sagte der seit
September als WTO-Generalsekretaer amtierende Brasilianer Azevedo kurz
darauf und bezeichnete die Konferenz als "historisch".

Kuba, Bolivien, Venezuela und Nicaragua wollten den Pakt blockieren,
weil eine Passage zum US-Embargo gegen Kuba aus dem Entwurf entfernt
worden ist. Was zur Umstimmung der vier Staaten gefuehrt hat, ist noch
unklar. Medienberichte sind da auch etwas vage. So meldete ORF.at:
"Offenbar einigten sich aber auch die USA und das kommunistische Land
auf eine Formulierung, mit der beide Seiten vorerst leben koennen."

Die erzielte Einigung im sogenannten Bali-Paket umfasst
Handelserleichterungen und Zollabsprachen, deren Auswirkungen auf den
Welthandel Experten mit bis zu etwa einer Billion Dollar (gut 730
Milliarden Euro) beziffern. Dabei geht es um ein kompliziertes Buendel
von Regeln und Vorschriften, um Zollformalitaeten zu vereinfachen und
zu beschleunigen. Der Norden verspricht sich davon einen erheblichen
Anstieg der Exporte, insbesondere Industriegueter wuerden "mit weniger
Reibungskosten" auf ferne Maerkte gelangen.

Laender des Suedens sind skeptisch, da vor allem die reichen Staaten
profitieren wuerden. Die Umsetzung ist aufwendig und kostenintensiv.
Ausserdem wuerden die vorgesehenen Zollsenkungen die Staatseinnahmen
der Entwicklungslaender senken. Als Gegenleistung fordern aermere
Laender seit langem die Gewaehrung finanzieller und technischer Hilfe.
Diese wurden nun auf der Konferenz auf Bali auch beschlossen. Das
Treffen galt als moeglicherweise letzte Chance, die seit zwoelf Jahren
stagnierende Doha-Runde zur umfaenglichen Liberalisierung des
Welthandels wiederzubeleben.

Nach vier langen Verhandlungstagen hatte vor allem eine Einigung
zwischen Indien und die USA in der Frage der Ernaehrungssicherheit den
Weg fuer einen Kompromiss freigemacht. Indien hatte eine
Sondergenehmigung fuer sein subventioniertes Volksernaehrungsprogramm
gefordert und war nicht von seiner Linie abgewichen. Indien beharrte
in Bali darauf, dass sein Programm zur Ernaehrungssicherheit mit
staatlich festgelegten Preisen fuer Kaeufe und Verkaeufe nicht unter
das bisher gueltige Subventionsverbot der WTO fallen duerfe.
Industriestaaten, aber auch einige Schwellenlaender sehen darin
marktverzerrende Subventionen, die ihre Exporte beeintraechtigen und
auch den inlaendischen Markt beeinflussen koennten.

"Es ist fatal, dass mit dem Bali-Paket die Tuer fuer eine kuenftige
Liberalisierungsrunde aufgeschlossen wurde und der WTO eine neue
Dynamik verliehen wird. Die WTO-Konferenz demonstriert den Zynismus
der Handelspolitik von Europaeischer Union und den USA, die auf
menschenrechtliche Fragen wie im Fall der indischen
Ernaehrungssicherheitsprogramme nur unter massivstem Druck Ruecksicht
nimmt", resuemierte Alexis Passadakis von Attac Deutschland. Zudem sei
gezeigt worden, wie dysfunktional die Regeln der WTO seien.
Sozialoekologische und menschrechtliche Regeln wuerden nur als
Handelshemmnisse wahrgenommen werden.

Dass es immerhin zu einem Kompromiss bei den indischen Programmen fuer
Nahrungsmittelsicherheit gekommen ist, ist nach Ansicht von Attac ein
Erfolg sozialer Bewegungen weltweit, aber insbesondere der indischen
Organisationen, die sich fuer Ernaehrungssicherheit einsetzen. Bei den
Verhandlungen im Vorfeld in Genf hatte sich die indische Regierung
bereits auf ein vierjaehriges Klagemoratorium gegen ihr
Ernaehrungsprogramm eingelassen. Doch waehrend des Flugs der indischen
Unterhaendler nach Bali erhob sich ein Proteststurm sozialer
Bewegungen des Subkontinents. "Erst unter dem Druck einer kritischen
Oeffentlichkeit hat die Regierung Indiens zu ihrer
Verteidigungshaltung ihrer Ernaehrungssicherheitsprogramme gefunden",
analysierte Passadakis.

Tobias Reichert von der Entwicklungs- und Umweltorganisation
Germanwatch haelt den Kompromiss fuer unzureichend: "Die WTO musste
zwar das Recht auf Ernaehrungssicherung anerkennen. Doch die
Einschraenkung auf schon bestehende Programme bedeutet einen herben
Rueckschlag fuer die Laender, die in Zukunft mit staatlichen Mitteln
gegen Hunger und Unterernaehrung vorgehen wollen", so Reichert.

Matthias Reichl vom Bad Ischler "Begegnungszentrum fuer aktive
Gewaltlosigkeit" ist da noch um einiges skeptischer: "Dass
schliesslich auch die Vertreter von Kuba, Venezuela, Bolivien und
Nikaragua nach 15-stuendiger Verhandlungs-Gehirn-(und Kopf-)Waesche
ihre Einwaende aufgeben mussten, illustriert treffend das

'Demokratieverstaendnis' von Global Playern. Fuer uns
Globalisierungsgegner - bzw. -kritiker - bedeutet dies, dass wir
unseren jahrzehntelangen gewaltfreien Widerstand fortsetzen und
intensivieren muessen. Denn in den bilateralen und multilateralen
Vertraegen steckt auch ein Abbau unserer demokratischen Rechte (z.B.
auf Boykott, Streik, Blockaden, Informations- und
Versammlungsfreiheit)."

Mitglieder von sozialen Bewegungen demonstrierten am Freitag im
Konferenzzentrum gegen die Freihandelspolitik der
Welthandelsorganisation. Mit Plakaten und Sprechchoeren unterstuetzen
sie die Haltung Indiens, das insbesondere von EU und USA fuer die
tagelang stockenden Verhandlungen verantwortlich gemacht wurde. Mit
Verweis auf den verstorbenen Nelson Mandela forderten sie
Gerechtigkeit auch im globalen Handel. Die Wachstumsinteressen der
Industriestaaten duerften nicht auf Kosten der armen Staaten
durchgesetzt werden und deren Entwicklungschancen beeintraechtigen.
(ND, attac, Begegnungszentrum, ORF/akin)

Quellen u.a.:
http://www.attac.at/news/detailansicht/datum/2013/12/07/wto-bali-paket-ist-desaster-fuer-eine-gerechte-welthandelsordnung.html
http://www.neues-deutschland.de/artikel/917400.wto-erstmals-globales-abkommen-erzielt.html
http://orf.at/stories/2209436/2209437/


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