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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 13. November 2013; 06:32
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Kapitalismus:
> Eine transatlantische Verfassung fuer die Konzerne
Die Verhandlungen zum EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP laufen weiter
Genfood, Hormonfleisch und Chlorhuehnchen auf den Tellern. Kaum noch
Tests zur Ueberpruefung der Sicherheit von Chemikalien. Niedrigere
Arbeits- und Sozialstandards. Das koennte das geplante
Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment
Partnership) zwischen der EU und den USA Verbrauchern und
Beschaeftigten bescheren. Seit Juli laufen die Verhandlungen.
Da es kaum noch Zoelle gibt, die den transatlantischen Handel
behindern, geht es bei den Verhandlungen vor allem um eins: den Abbau
sogenannter nichttarifaerer Handelshemmnisse, also aller moeglicher
Standards und Regulierungen, die fuer die Produktion von und den
Handel mit Guetern sowie die Erbringung von Dienstleistungen und
Investitionen eine Rolle spielen.
Fuer Konzerne ist das die Chance, Regulierungen auf beiden Seiten des
Atlantiks ein fuer alle Mal aus dem Weg zu raeumen. Laut der
Lobbyfirma Alber Geiger sind die Verhandlungen «Musik in den Ohren»
all derjenigen «US-Unternehmen, die bisher auf ein schwieriges
regulatorisches Umfeld in Europa gestossen sind», zum Beispiel beim
Copyright, dem Patentschutz oder eben der Gentechnik. Fuer sie sind
«die Verhandlungen zwischen der EU und den USA eine zweite Chance,
ihre Interessen in Europa effektiv durchzusetzen».
Insbesondere der Investitionsschutz im geplanten Abkommen wird
politische Gestaltungsraeume in Europa und den USA dramatisch
einschraenken. Im Kern geht es darum, auslaendischen Investoren
weitreichende Klagerechte in einem parallelen, internationalen
Rechtssystem einzuraeumen - und zwar gegen jede Politik, die ihre
Eigentumstitel und die geplanten Gewinne aus ihren Investitionen
bedroht - sei es wegen Gesundheits- und Umweltschutzauflagen oder
durch eine Sozial- und Wirtschaftspolitik, die ihre unternehmerischen
Freiheiten beschraenkt.
Ein paralleles Rechtssystem
Schon heute garantieren weltweit ueber 3000 internationale
Investitionsabkommen Konzernen solche Klagerechte. So verklagt bspw.
der Energiekonzern Vattenfall derzeit die BRD, weil ihm der
Atomausstieg nicht passt. In Australien und Uruguay geht Philip Morris
gegen Warnhinweise vor den gesundheitlichen Folgen des Rauchens auf
Zigarettenpackungen vor. Der kanadische Oel- und Gaskonzern Lone Pine
verklagt ueber eine US-Niederlassung seine eigene Regierung, weil die
Provinz Québec aufgrund von Umweltrisiken bei der Gasfoerderung ein
Moratorium fuer die als Fracking bekannte Tiefenbohrtechnik erlassen
hat. Und der Oelmulti Chevron greift auf Basis eines
Investitionsabkommens ein ecuadorianisches Gerichtsurteil an, das ihn
zur Zahlung von 18 Milliarden US-Dollar Schadenersatz wegen massiver
Umweltzerstoerung im ecuadorianischen Amazon-Gebiet verdonnert hat.
Die Verfahren laufen vor internationalen Schiedsgerichten, die in der
Regel aus drei von den Streitparteien benannten Privatpersonen
bestehen. Meist finden sie hinter verschlossenen Tueren statt, in
irgendeinem Hotelzimmer in London, Paris oder Washington. Die
Schiedssprueche sind bindend, eine Revision ist nicht moeglich.
Die Gefahren fuer oeffentliche Haushalte und demokratische Politik
liegen auf der Hand: Investor-Staat-Klagen koennen
Entschaedigungszahlungen in Milliardenhoehe nach sich ziehen.
Gewinneinbussen einzelner Unternehmen, die durch politische Reformen
verursacht sind, werden auf diese Weise sozialisiert - selbst wenn die
Regulierungen zum Schutz des Gemeinwohls notwendig sind.
Haeufig reicht allein die Androhung einer Klage, um geplante Gesetze
abzuwuergen oder zu verwaessern. Fuenf Jahre nach Inkrafttreten des
Freihandelsabkommens zwischen Mexiko, Kanada und den USA (NAFTA)
beschrieb ein kanadischer Regierungsbeamter dessen Auswirkungen wie
folgt:
«Bei beinahe jeder neuen umweltpolitischen Massnahme gab es von
Kanzleien aus New York und Washington Briefe an die kanadische
Regierung. Da ging es um chemische Reinigung, Medikamente, Pestizide,
Patentrecht. Nahezu jede neue Initiative wurde ins Visier genommen,
und die meisten haben nie das Licht der Welt erblickt.» Tatsaechlich
nutzen Unternehmen internationales Investitionsrecht heute immer
haeufiger als Waffe in politischen Auseinandersetzungen, um strengere
Regulierungen zu verhindern.
Demokratie in die Schranken weisen
Letztlich geht es beim Investorenschutz darum, die Demokratie in ihre
Schranken zu verweisen. Zwei Mitarbeiter von Milbank, einer der
fuehrenden Kanzleien im internationalen Investitionsrecht, haben das
juengst in einem Artikel fuer eine Fachzeitschrift deutlich
ausgesprochen: «Unerwuenschte Massnahmen von Regierungen gibt es nicht
nur im Rahmen autokratischer Herrschaft. Der Populismus, den
Demokratien mit sich bringen koennen, ist oft Katalysator fuer solche
Aktionen.» Kein Wunder, dass Laender wie Argentinien, Venezuela und
Ecuador, die nach heftigen sozialen Kaempfen Privatisierungen
zurueckgenommen und Unternehmen verstaatlicht haben, zu den Laendern
gehoeren, die am haeufigsten vor Investitionsschiedsgerichte gezerrt
werden.
Globalisierungskritische Wissenschaftler sehen internationale
Investitionsabkommen daher zu Recht als Instrument zur Durchsetzung
transnationaler Kapitalinteressen gegen Regulierungen, Umverteilung
und gegenhegemoniale Kraefte und als Teil des sog. neuen
Konstitutionalismus - darunter versteht man politisch-rechtliche
Strukturen, die den Neoliberalismus und bestehende
Eigentumsverhaeltnisse durch die Einschraenkung staatlicher
Interventions- und demokratischer Kontrollmoeglichkeiten quasi
konstitutionell absichern.
Genau solche weitreichenden Konzern-Klage-Rechte sollen nun auch im
geplanten EU-USA-Freihandelsabkommen verankert werden. Da bereits
heute mehr als die Haelfte der auslaendischen Direktinvestitionen in
den USA und in der EU von der jeweils anderen Seite des Atlantiks
kommt, wird deutlich, welch wirksames Instrument dem transnational
agierenden Kapital damit in die Hand gegeben wuerde, von den
zigtausend Niederlassungen europaeischer Konzerne in den USA und denen
ihrer US-Pendants in der EU ganz zu schweigen. Ein
EU-US-Investitionsschutzabkommen wuerde ihnen weitreichende
Moeglichkeiten einraeumen, auch gegen ihre eigenen Regierungen
vorzugehen.
TTIP zu Fall bringen, wie das MAI
Kein Wunder, dass Unternehmerverbaende wie der europaeische
Arbeitgeberverband BusinessEurope und die American Chamber of Commerce
fuer einen weitreichenden Investitionsschutz im geplanten
transatlantischen Freihandelsabkommen mobil machen. Das tut auch der
US-Energie-Konzern Chevron, er hat seinen kompletten Beitrag fuer die
US-Konsultation bei den Verhandlungen dem Investitionsschutz
gewidmet - «einem der global wichtigsten Themen fuer uns».
Chevron moechte «den groesstmoeglichen Schutz» vor regulatorischen
Eingriffen - um «die Risiken von grossangelegten, kapitalintensiven
und langfristigen Energieprojekten zu mindern», z.B. bei der Gewinnung
von Schiefergas durch Fracking. Aufgrund der Gefahren fuer Mensch und
Umwelt und des wachsenden Widerstands von Buergern haben zahlreiche
EU-Regierungen Moratorien bzw. strikte Regulierungen fuer die
umstrittene Technologie erlassen. Genau diese Moratorien und
Regulierungen koennten Chevron & Co. ueber weitreichende
Investitionsschutzklauseln in einem zukuenftigen
EU-US-Freihandelsabkommen jedoch angreifen.
Doch noch ist es nicht so weit. Die Verhandlungen zwischen der EU und
den USA stehen erst am Anfang. Es gibt daher noch Chancen, das
geplante Freihandelsabkommen und das Kapitel zum Investitionsschutz
als das zu entlarven, was es ist: eine antidemokratische neoliberale
Zwangsjacke.
Vor 15 Jahren hat diese «Drakula-Strategie» schon einmal zum Erfolg
gefuehrt: Ende der 90er hatte die globalisierungskritische Bewegung
den weitgehend unbekannten MAI-Vertrag ans Licht der Oeffentlichkeit
gezerrt, ein Investitionsabkommen, das im Rahmen der OECD verhandelt
wurde. Einem Vampir gleich ueberlebte es nicht lange. Im Oktober 1998
liess Frankreich die Verhandlungen platzen. Auf beiden Seiten des
Atlantiks werden Gewerkschaften und soziale Bewegungen alles daran
setzen, dass sich dieser Teil der Geschichte wiederholt.
(Pia Eberhardt fuer SOZ)
Quelle:
http://www.sozonline.de/2013/09/eu-usa-freihandelsabkommen-ttip/
Die Autorin arbeitet bei der lobbykritischen Organisation Corporate
Europe Observatory (CEO, http://www.corporateeurope.org
) zur Frage
des Konzerneinflusses auf die Handelspolitik der EU.
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Ein ausfuehrlicherer Artikel zum Thema findet sich in Le Monde
diplomatique:
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/11/08.mondeText1.artikel,a0003.idx,0
Kurz: http://bit.ly/17R9tig
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