**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. Oktober 2013; 03:03
**********************************************************
Debatten:
> Die Sache mit der Parteitreue
Ein FPOeler ist der KPOe beigetreten. Oliver Fendrych, 
FPOe-Gemeinderat der 1900-Einwohner-Gemeinde Weikendorf nahe 
Gaenserndorf wechselte von blaun zu dunkelrot. Sehr viel Genugtuung in 
der Linken, weil das die FPOe aergert. Aber auch grosse Verwirrung, 
viel Unverstaendnis, sogar Empoerung - das ging bis hin zur Meldung 
eines Facebook-Users, die KPOe wuerde die "klare Linie gegen Rechte" 
aufgeben. Und natuerlich gab es viel Verwunderung, da sich die beiden 
politischen Parteien doch nun wirklich nicht nahestehen wuerden.
Dabei stehen sich ganz generell die politischen Parteien in 
Oesterreich oft genug viel naeher, als sie wahrhaben wollen -- wenn 
eben auch nur in einzelnen Bereichen, oft genug in wenigen Forderungen 
in ihren Parteiprogrammen, den Aussagen ihrer Fuehrer oder ihrer 
Klientelpolitik. Jemand dem soziales Engagement wichtig ist, kann 
eigentlich zu jeder der traditionellen Parteien gehen, sofern ihm die 
politischen und kulturellen Nebengeraeusche vorderhand egal sind.
Gerade die FPOe hat schon in den Haider-Jahren speziell in der 
Kommunalpolitik viele Leute angezogen, die sich einfach nur engagieren 
wollten und sahen, dass ihnen die FPOe Gemeinderatsmandate verschaffen 
kann. Schon in den 90ern sind aber so eine Vielzahl von Buergerlisten 
entstanden, weil FPOe-Mandatare nach der Wahl aus der Partei 
ausgetreten sind und ihren eigenen Verein aufgemacht haben. Ob diese 
von der FPOe enttaeuscht waren, oder ob sie erst spaeter erkannten, 
wie rechts der Verein in Wirklichkeit ist oder ob sie von Anfang an 
vorgehabt hatten, die FPOe nur als Sprungbrett zu benutzen, laesst 
sich im Einzelnen kaum mehr rekonstruieren -- und im Allgemeinen 
sowieso nicht aussagen. Das ist aber auch egal, die Vielzahl der 
Fraktionswechsel macht klar, dass das ein ganz normaler Vorgang auf 
Gemeindeebene ist. Dass da jemand von der FPOe gerade zur KPOe 
gewechselt ist, mutet da vielleicht ein bisserl seltsam an, ist ruhig 
betrachtet aber nicht wirklich verwunderlich.
Politisch wenig beschlagene, aber ehrlich an gesellschaftlichen 
Umstaenden interessierte Leute koennen rasch in das Umfeld einer 
Partei geraten, die neue Mitglieder braucht. Gerade die FPOe braucht 
immer wieder Kandidaten, um Mandate auf den untersten politischen 
Ebenen besetzen zu koennen -- sei es in den Gemeinden oder in den 
Kammern, da ist man ideologisch nicht sonderlich waehlerisch.
Dazu kommt die wenig parteipolitisch aufgeladene Ebene der 
Kommunalpolitik - wenn man sich wie der nun uebergetretene Gemeinderat 
fuer einen Ausbau der regionalen Tagesklinik einsetzt, dann ist das 
auf den ersten Blick nur begrenzt ideologisch zu verorten. Die Grenzen 
eines sozialen Engagements wurden ihm anscheinend erst klar, als er 
sich fuer Obdachlose einsetzen wollte -- was bei der FPOe nunmal nicht 
so beliebt ist.
Aber warum landet jemand ueberhaupt bei einer Partei? Oft genug ist es 
ja der Freundeskreis, das Arbeitsumfeld, die Standeszugehoerigkeit, 
die Familie oder gar die Religion -- die politische Ueberzeugung ist 
in vielen Faellen sekundaer. Denn was machte bspw. eine Heide Schmidt 
bei der FPOe? Und wieso hat sie es so lange dort ausgehalten?
Eine Abspaltung oder der Uebertritt in eine andere Partei ist oft 
nicht leicht. Der Weikendorfer Gemeinderat hatte es relativ leicht, 
war er doch gerade mal nur vier Jahre bei der FPOe, bei Schmidt waren 
es zwanzig Jahre gewesen -- in einer Partei, die ihr noch dazu den 
politischen Aufstieg ermoeglichte. In einer solchen Zeit entstehen 
auch eine Vielzahl von zwischenmenschlichen Bindungen, eine Partei 
kann so etwas wie eine Grossfamilie werden. Wer da merkt, dass er sich 
inhaltlich von der Partei entfernt oder sich die Partei von ihm, tut 
sich oft schwer, sich von dieser Grossfamilie zu loesen. Man muesste 
auf Freundschaften und Unterstuetzung verzichten, die politische 
Karriere riskieren und sich als Verraeter ansehen lassen. Denn einem 
Dissidenten zollt man keine Hochachtung dafuer, dass er bereit ist, 
seiner Gesinnung zu folgen, sondern wirft ihm Verrat an der 
Gesinnungsgemeinschaft vor oder gar Gesinnungslosigkeit -- und das 
nicht nur auf der politischen Buehne sondern aus tiefstem Herzen. Denn 
die Partei wird mit Gesinnung gleichgesetzt, obwohl oder vielleicht 
gerade deswegen, weil die Mitgliederschaft in den meisten Parteien ein 
Gesinnungssammelsurium darstellt. Die gemeinsame Gesinnung ist oft 
nicht gegeben, da ist nichts woran man sich halten kann, also wird die 
Partei als Gesinnungsgemeinschaft angesehen, um sich selbst der 
Eintracht zu versichern.
Natuerlich gab es auch immer wieder Uebertritte, die weniger mit einem 
Wandel der Gesinnung zu tun hatten, sondern mehr damit, dass einem die 
bisherige Partei nicht mehr weiterhelfen wollte in der politischen 
Karriere. Guenther Kenesei und Stefan Schennach haben die Gruenen 
verlassen, weil sie bei OeVP resp. SPOe ihre Karriere fortsetzen 
konnten, was bei ihrer angestammten Partei nicht mehr moeglich war. 
Aber selbst in solchen Faellen ist die Frage zu stellen, ob das 
wirklich als Gesinnungslosigkeit zu brandmarken ist -- wer politisch 
taetig sein will, kann legitimerweise die Frage stellen, welche Partei 
ihm das ermoeglichen kann. Da die meisten Parteien gesinnungsmaessig 
sowieso am "catch-all"-Modell orientiert sind, also ideologische 
heterogen sind, ist der Ansatz kaum verwerflich.
Doch die Parteitreue wird speziell in Oesterreich mit seinen 
traditionell fixierten Lagern als ein hohes Gut angesehen. Nach wie 
vor wirken die Geschehnisse der ersten Haelfte des zwanzigsten 
Jahrhunderts im kollektiven Gedaechtnis politisch aktiver Menschen 
nach. Langsam beginnt sich das zu lockern, aber das ist eben ein 
langwieriger Prozess. Befoerdert wird dieser Prozess vor allem durch 
die ideologische Erosion der Parteien, die mehr an der Kunst des 
Machbaren interessiert sind als an politischen Ueberzeugungen. 
Pragmatismus steht hoch im Kurs, Ideologie ist ein Schimpfwort. Auch 
Klientelpolitik wird immer schwieriger, da diese Klientel heute um 
Vieles heterogener ist als frueher. Damit bleiben die Parteien 
bestehen, die Lager aber zerfallen.
Auch der Weikendorfer Gemeinderat ist sicher ideologisch nicht sehr 
gefestigt -- ueber Nacht wird man nicht zum Kommunisten. Aber Fendrych 
orientierte sich zumindest am Parteiprogramm der KPOe, so sagt er. Und 
das kann man ihm ruhig glauben, denn der KPOe tritt man nicht bei, 
weil man politische Karriere machen will. Sicher werden ihm da aber 
auch ein paar freundliche Genossen die Entscheidung leichter gemacht 
haben, sich eine neue politische Grossfamilie zu suchen. Und 
prinzipiell ist ein Waermegefuehl in einer politischen Partei nichts 
Schlechtes, solange dieses Waermegefuehl nicht Gesinnungsdifferenzen 
ueberdeckt.
Der Uebertritt Oliver Fendrychs zu einer anderen Partei ist so auch 
vielleicht als kleines Symbol anzusehen fuer eine moegliche 
Reideologisierung der Parteienlandschaft. Das ist natuerlich nicht 
viel angesichts des Trends, wie er im grossen Parlament in Wien zu 
beobachten ist. Dennoch gibt es Hoffnung, dass Menschen in der Politik 
vielleicht wieder mehr zu ihrer Ueberzeugung stehen koennten. Und das 
ist ja auch nicht nichts.
*Bernhard Redl*
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der 
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd 
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe 
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit 
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der 
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem 
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige 
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement 
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den 
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
Blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
Facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
Mail: akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin