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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. Oktober 2013; 02:47
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Moderne Zeiten

> BBA: Auch Linux kann boese sein

Die heurigen Big Brother Awards gehen sowohl an uebliche Verdaechtige
wie Microsoft, die NSA oder die Bundesregierung, diesmal aber auch an
die Linux-Distribution Ubuntu.
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Sicherheitsbewusste Anwender schaetzen die Vertraulichkeit lokal
gespeicherter Daten, im sicheren Bewusstsein, damit ihre Daten nicht
dem Datenhunger der Suchmaschinen und Cloud-Anbieter auszuliefern. Je
groesser die Festplatten werden, desto mehr ist man auf eine
effiziente lokale Suche zum Wiederauffinden seiner Dokumente
angewiesen. Wenn nun diese lokalen Suchanfragen ueber das Netz an
Werbekunden weitergeleitet werden sollten, schauen die einem dabei bei
der Arbeit ueber die Schulter. So liefert der Dateimanager der
Linus-Distribution Ubuntu bei einer Anfrage nicht nur die Treffer von
der eigenen Festplatte, sondern gleich auch die dazu passenden
Werbeangebote der Firma Amazon. Das war der Jury der diesjaehrigen Big
Brother Awards Austria die Negativauszeichnung in der Kategorie
"Kommunikation und Marketing" wert.

Am 25.Oktober wurden wieder die Preise, die keiner will, vergeben.
Damit werden alljaehrlich die Leistungen der Verantwortlichen fuer die
uebelsten Datenschutzverletzungen mit den Big Brother Awards
praemiert. Alle Personen, Behoerden, Firmen oder sonstige
Vereinigungen, die einen besonderen Beitrag zur Abschaffung der
Privatsphaere geleistet haben, koennen fuer einen der Awards
vorgeschlagen werden. Da es explizit die oesterreichischen BBAs sind
(mittlerweile werden die BBAs national in sieben Laendern vergeben)
sollen die Nominees in Oesterreich niedergelassen sein, von hier aus
agieren oder einen sonstigen regionalen Bezug haben. Allerdings sind
EU-Institutionen oder multinationale Konzerne definitiv nicht
ausgeschlossen. Deswegen konnten auch der suedafrikanische Unternehmer
Marc Shuttleworth und seine Firma Canonical Ltd, die fuer Ubuntu
verantwortlich sind, ausgezeichnet werden.

Lausch- und GuckBox

Wohl damit Linux-Konkurrent Microsoft auch nicht ungeschoren davon
kommt, wurde dessen CEO Steve Ballmer ebenfalls ausgezeichnet. In der
Kategorie "Business und Finanzen" wurde die neue MS-Spielekonsole
praemiert. Die XBox One soll mit ihrer Sprach- und Gestensteuerung die
zentrale Anlaufstelle fuer Unterhaltung aller Art, also von Spielen,
Filmen, Fernsehen und Internet im Wohnzimmer werden. Mit scharfen
Blicken und spitzen Ohren wird von der XBox alles und jeder in der
Naehe beobachtet, um ja keinen Befehl zu verpassen. Da unsere smarten
Geraete Augen und Ohren bekommen haben, wurde in den Laboratorien
unermuedlich gewerkelt, um diesen Funktionszugewinn sinnbehaftet
nutzen zu koennen. Schnell wurden von Spinmeistern Patentschriften
verfasst, um den naechsten Level im Lizenzmanagement erreichen zu
koennen. Wer hier die Nase vorn haben wird, wird den Contentmarkt der
Zukunft beherrschen: Staendige Online-Verbindung ist Pflicht, die
Pflicht den Echtnamen zu nutzen, ergaenzt um Gesichtserkennung und
Stimmerkennung sind die Bausteine um Spiele, Filme, Musik und Content
einzelnen Personen verkaufen zu koennen. Peter Schaar, Deutschlands
oberster Datenschuetzer, nennt die XBox gar "Ueberwachungsgeraet".
Nach Userprotesten wurden zwar einzelne Ueberwachungsmassnahmen
zurueckgestellt, aber im Hintergrund werden durch Patentantraege die
Weichen fuer die Zukunft gestellt. In der Patentschrift United States
Patent Application: 20120278904 "Content Distribution Regulation By
Viewing User" wird beschrieben, wie Objekt-, Gesichts- und
Spracherkennung dazu genutzt werden sollen, Lizenzen und
Berechtigungen derjenigen zu kontrollieren, die sich in Hoer- und
Sichtweite des Geraets befinden.

Bundesregierung gleich zweimal praemiert

Ueber den Preis in der Kategorie "Behoerden und Verwaltung" darf sich
hingegen Beatrix Karl von der OeVP "freuen". Die Justizministerin
hatte im Maerz dieses Jahres mit viel Getoese "eine neue Waffe im
Kampf gegen Korruption und Wirtschaftskriminalitaet" (Aussendungstext
BMJ) vorgestellt. Mit einer "Whistleblower-Homepage, einem anonymen
Online-Anzeigensystem" koenne sich "ab sofort jede Oesterreicherin und
jeder Oesterreicher aktiv an der Korruptionsbekaempfung beteiligen".

Allerdings sei einem potentiellen Whistleblower Vorsicht angeraten,
bevor man sich auf diese Anonymitaetsgarantie blindlings einlaesst. In
diesem Fall sind zwar keine Skripte von Google oder Facebook
eingebaut, doch dafuer steht der Server bei einem Cloud-Anbieter in
Deutschland auf den kein oesterreichisches Ministerium hoheitlichen
Zugriff hat. Neben der oesterreichischen Site werden dort auch die
Hinweissysteme deutscher Behoerden und Firmen (u.a. Nestle, Deutsche
Bahn und Commerzbank) ueber den selben Webservicedienst abgewickelt.
Ein Schelm, der Boeses dabei denkt.

In der Kategorie "Politik" wird gleich die gesamte Bundesregierung
ausgezeichnet. Denn dass die NSA einen Lauschposten in Oesterreich
hat, ist sogar schon im deutschen "Spiegel" nachzulesen gewesen. Ob
die Lauscher in einer Villa oder auf der gruenen Wiese sitzen, konnte
bis heute nicht geklaert werden. Das verwundert nicht, konnten sich
die - theoretisch - zustaendigen Ministerien Inneres und Verteidigung
ja nicht einmal darauf einigen, wer fuer die Aufklaerung ueber die
Aufklaerung eigentlich zustaendig waere. Ausser kunstvollen
Wortspenden (Mikl-Leitners "No-Spy-Abkommen") ist genau nichts
passiert.

Edward Snowden brachte etwas Licht in die dunklen Aktionen des
Datensammelns der Geheimdienste. Nicht so in Oesterreich: Hier gab es
keine Anstrengungen von Seiten der Regierung die eigenen Buerger vor
dieser systematischen Rechtsverletzung zu schuetzen, stattdessen aber
zahlreiche Bemuehungen, das Ausmass der Bespitzelung zu verschleiern.
So hat die Regierung ein Abkommen mit der NSA, ueber das sie nicht
sagt, worin die Zusammenarbeit besteht. Minister Klug haelt "die Frage
fuer beschraenkt oeffentlichkeitstauglich". Der US-Botschafter wundert
sich laut Presse vom 13. 7. ueber die Anfrage von Innenministerin
Mikl-Leitner: "Nachzuvollziehen ist ihre Empoerung nicht ganz. Denn
ihr Verfassungsschutz ist im Bild ueber die Aktivitaeten der NSA in
Oesterreich". Neben der Zusammenarbeit mit der NSA gibt es weitere
Vertraege mit sogenannten "Partnerdiensten" vor allem in
Grossbritannien, Frankreich und Deutschland. Aber das ist eben alles
nicht "oeffentlichkeitstauglich".

ITU -- Die Spinne im Netz

In der Kategorie "Weltweiter Datenhunger" bekommt der Malier Hamadoun
Touré, Generalsekretaer der "Internationalen Fernmeldeunion" (ITU)
stellvertretend fuer die Taetigkeiten seiner UN-Sonderorganisation.
Denn spaetestens seit Snowdens Enthuellungen wissen wir, wie schlecht
es bereits heute um das Recht auf Privatsphaere im Internet und den
moderen Telekommunikationsnetzen steht. Bedenklich ist dabei aber
auch, dass eine Organisation der Vereinten Nationen ein Regelwerk
erstellt, das die eigene Menschenrechtscharta auf technischer Ebene
aushebelt. Nicht verwunderlich ist, dass diese Initiative von Laendern
wie China und Russland eingebracht wurden. Es ist zu befuerchten, dass
diese Technik auch von den Geheimdiensten der westlichen Welt fuer
ihre Geheimaktivitaeten genutzt werden wird. Der Standard ITU-T Y.2770
"Requirements for deep packet inspection in next generation networks"
wird wohl in zukuenftigen Geraeten weltweit implementiert sein. Einer
der Ziele dieser "tiefen Paketinspektion" ist die Moeglichkeiten zum
"Aufspueren einer bestimmten Datei, die von einem bestimmten Benutzer
uebertragen wird" zu verbessern.

NSA und GCHQ

Die beiden uebrigen Preisverleihungen sind im Jahr des Edward Snowden
weder ueberraschend noch erkaerungsbeduerftig. Der Sonderpreis
"Lebenslanges-Aergernis" geht an die NSA. Die US-Schnueffelbehoerde
teilt sich weiters den Preis der Volkswahl mit seinem britischen
Pendant Government Communications Headquarters (GCHQ).

Die Big Brother Awards werden seit 1999 in Oesterreich vergeben. Auch
heuer wieder wurden die Auszeichnungen von q/uintessenz und dem Verein
zur Wiederherstellung der Buergerrechte im Informationszeitalter unter
der Schirmherrschaft von Privacy International organisiert.
(BBA/akin)


Quellen:
http://www.bigbrotherawards.at/2013/
sowie Der Standard, Die Presse, Justizministerium et. al.



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