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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. Oktober 2013; 16:59
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Wahl / Debatten:
> Die leise Katastrophe
Das wirklich Erschreckende an diesem Wahlausgang ist dessen 
Belanglosigkeit. Gut, es hat sich mit den NEOS erstmals seit den 
Gruenen 1986 wieder eine Partei im Nationalrat etabliert, die nicht 
vorher durch eine Fraktionsabspaltung in eben diesem Gremium 
entstanden ist. Aber da das auch nicht mehr ist als eine Mischung aus 
Ex-OeVPlern und LIF-Resten, ist das Erstaunen enden wollend. FPOe, 
NEOS und Stronach haben sich das BZOe-Erbe aufgeteilt, die uebrigen 
Prozente dieser Parteien sind hauptsaechlich der geringeren 
Wahlbeteiligung geschuldet, die NEOS haben ausserdem ein bisschen bei 
der OeVP und den Gruenen geknabbert. Aber sonst?
Die Verluste von SPOe und OeVP lassen sich durch Wahlverweigerung, der 
Verkleinerung der praeferierten Klientelgruppen und vor allem den 
biologischen Abgang von Stammwaehlern erklaeren. Erstwaehler 
interessieren sich nunmal nicht fuer die beiden Grand Old Parties der 
oesterreichischen Politik.
Wenn man Wahlergebnisse als Stimmungsbild der Gesellschaft nimmt --  
was trotz der Verzerrungen durch taktisches Waehlen durchaus legitim 
erscheint --, hat sich nach fuenf Jahren in diesem Land kaum etwas 
veraendert. Man sollte meinen, ein halbes Jahrzehnt ist eine lange 
Zeit, und schliesslich leben wir in einer Periode der Weltgeschichte, 
von der man sagt, sie sei unheimlich schnelllebig. Aber in Oesterreich 
tut sich derzeit genau gar nichts.
Was sind schon fuenf Jahre?
Ein Vergleich: 1984 war Hainburg, die Kreisky-Aera war gerade 
vorueber, es regierte Rotblau unter Sinowatz.
1989 fiel der eiserne Vorhang, in Oesterreich gab es eine rotschwarze 
Koalition unter der Leitung eines Bankers -- dazwischen war die 
Waldheimaffaere, die darauf folgende Auseinandersetzung mit der 
Zeitgeschichte, aber auch die Aufdeckung diverser Wirtschaftsskandale, 
das Auftreten der Gruenen im Zuge einer erstarkten Umweltbewegung und 
der beginnende Aufstieg Joerg Haiders.
1994 ist die Volksabstimmung ueber den Beitritt zur EU, davor und 
danach kommt es zu grossen Umstrukturierungen, die vor allem die 
Beamtenschaft und die bisher verstaatlichte Industrie betreffen. Im 
selben Jahr sind Nationalratswahlen mit heftigen Verlusten fuer die 
Noch-Grossparteien, ein Jahr darauf schon wieder Neuwahlen, die die 
SPOe gewinnt -- mit Versprechungen, die sie mit ihrem 
Koalitionspartner nicht halten kann.
1999 wird in Folge dessen die FPOe bei der Wahl zweitstaerkste Partei, 
es folgt die schwarzblaue Koalition. Die Proteste dagegen sind enorm 
und es kommt zu kraeftigen Umfaerbungen im Beamtenapparat.
2004 sieht man Oesterreich unter der Dominanz der OeVP, kurze Zeit 
spaeter spaltet Haider das BZOe von der FPOe ab. Danach kommt es zum 
Showdown bei den Nationalratswahlen: Die SPOe wird wieder staerkste 
Partei und verliert danach erneut die Koalitionsverhandlungen, ebenso 
wie zwei Jahre spaeter.
Wie immer man all das bewerten mag, muss man doch sagen, fuenf Jahre 
sind eine Zeit, in der SPOe und OeVP sich zwar so gut wie gar nicht 
aendern, formalpolitische wie gesellschaftliche Umbrueche aber kaum 
vermeidbar erscheinen.
Aber wie gings weiter? 2009 -- ja was war da? Die Uniproteste 
verpuffen bei allem Engagement voellig erfolglos. Was war seither? 
Occupy zwei Jahre spaeter ist in Oesterreich noch laecherlicher als 
anderswo. Veraenderungen in der oesterreichischen Parteienlandschaft 
passieren lediglich, weil BZOe-Abgeordnete das sinkende Schiff ihrer 
Partei verlassen. Die Politik ist so fad, dass das Ergebnis der 
Gemeinderatswahl in Graz 2012 geradezu ein Aufreger ist, weil es halt 
nicht so hundertprozentig dem oesterreichischen Einheitsbrei 
entspricht. Ebenso wird ein vollkommen inhaltsleeres 
Bildungsvolksbegehren hochgepusht, das aber auch gleich wieder 
vergessen wird. Die Volksbegehren zu Demokratie und Saekularisierung 
der Gesellschaft werden net amoi ignoriert. Faktisch hat sich in 
Oesterreich fuenf Jahre auf der formal politischen Ebene nichts 
geaendert.
Also alles paletti? Sind wir doch froh ueber die Stabilitaet in 
Oesterreich? Nunja, in den letzten fuenf Jahren ist nicht nur die 
Weltwirtschaftskrise hereingebrochen, sondern sind auch -- davon 
abhaengig oder nicht -- die Zahl der von Armut Betroffenen und die 
Verunsicherung armutsgefaehrdeter Schichten enorm angestiegen. Der 
Anstieg der Lebenshaltungskosten duerfte in Wirklichkeit deutlich 
hoeher sein als die offizielle Inflationsrate und vor allem den 
nominellen Lohnerhoehungen. Von den realen Arbeitslosenzahlen brauchen 
wir gar nicht erst zu reden. Und die Mindestsicherung als Verbesserung 
der alten Sozialhilfe verkaufen zu wollen, ist ein schlechter Witz.
Aber dann gibt es solche Wahlergebnisse? Soviele Leute geben SPOe und 
OeVP noch ihre Stimme? Sollen wir sogar noch diese minimalen Verluste 
der Koalitionsparteien ueberhaupt diskutieren? Das sind doch Parteien, 
wuerden sie heute mit diesem Personal und diesem Programm neu 
gegruendet, nicht einmal genug Unterstuetzungserklaerungen 
zusammenbringen wuerden, um bundesweit zu kandidieren.
Angst statt Wut
Dass die FPOe wieder einmal ein bisschen dazugewonnen hat, ist nicht 
die Katastrophe -- schliesslich war die Partei schon mal deutlich 
staerker. Und: Vor nicht ganz zwei Jahrzehnten schrieb Markus Wilhelm 
im "FOeHN" Nr. 22 ueber den damaligen FPOe-Fuehrer und seinen Anhang: 
"Das Schlimme ist nicht, dass viele Leute Haider waehlen. Das Schlimme 
sind die Zustaende, die die Leute so zurichten, dass viele ihren 
Ausweg im Haiderwaehlen sehen. Ich verstehe sie, und ich finde nichts 
Verwerfliches an ihnen, so verwerflich ich J. Haider finde. [...] Wenn 
Haider, wie es heisst, die Wut der Leute schuert, dann schuert er eine 
Wut, die da ist. [...] Wenn man Haider fuer irgendetwas dankbar sein 
muesste, dann dafuer, dass er diese vorhandene riesengrosse, maechtige 
Wut sichtbar gemacht hat. Sie ist das Kostbarste, was wir haben."
So gesehen sind die Ergebnisse fuer FPOe und Stronach eigentlich viel 
zu schlecht -- ganz zu schweigen von den Stimmen fuer die chancenlosen 
Parteien. Und die gesunkene Wahlbeteiligung ist immer noch viel zu 
hoch. Denn das heisst: Diese kostbare Wut ist verschwunden.
Das heute so geringe politische Engagement genauso wie diese 
Wahlergebnisse zeigen Resignation und Rueckzug in einen privaten 
Ueberlebenskampf, der alle Ressourcen aufzubrauchen scheint. Es ist so 
wenig Hoffnung auf gesellschaftliche Veraenderung vorhanden, dass 
nicht einmal mehr an der Wahlurne mehr protestiert wird. Die 
Stabilitaet einer ungerechten Gesellschaftsordnung erscheint 
ertraeglicher als die Ungewissheit, ob Veraenderungen auch 
tatsaechlich Verbesserungen bringen koennen. Das ist die echte 
Katastrophe.
*Bernhard Redl*
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