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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. September 2013; 13:56
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Wahl / Debatte
> Unreflektierte Radikalitaet
Kommentar zum Forderungsprogramm der SLP
Mein Interesse fuer den in der vorletzten akin publizierten Text der 
SLP bezieht sich nicht auf die in ihm skizzierte Programmatik als 
solche, sondern nur auf eine darin zum Ausdruck kommende Form von 
gesellschaftskritischer Radikalitaet, mit der ich Pro-bleme habe. In 
diesem Sinne fokussiert der folgende Kommentar zu einigen Aspekten des 
in der akin (Nummer 18) veroeffentlichten Textes nicht auf das 
Forderungsprogramm selbst, sondern auf die von ihm signalisierte 
politische Haltung.
Radikalitaet und Maximalismus
Die SLP fordert in jedem Politikbereich das Maximum und will damit 
offenbar zeigen, dass sie die radikalste aller Parteien ist. Die 
durchschnittliche Wohnkostenbelastung der Einkom-men von 
Mieterhaushalten liegt aktuell weit ueber 20% - die SLP befielt eine 
Senkung auf hoechstens 10%. Die uebrigen Parteien gehen mit 
Mindestlohnforderungen zwischen 1.400 EUR (KPOe) und 1.600 EUR (FPOe) 
in den Wahlkampf, die SLP deklariert, dass 1.700 EUR her muessen. Bei 
mir entsteht der Eindruck, dass die ProgrammautorInnen hier auf die in 
der buergerlichen Demokratie regierende Logik des Konkurrenzkampfs der 
politischen Angebote hereinfallen: Man beteiligt sich am 
Marktgeschrei, um gekauft (sprich: gewaehlt) zu werden.
Radikalitaet und Reflexion
Die etablierten Parteien begruenden ihre Forderungen nie bloss mit der 
Bedienung der Inter-essen ihrer eigenen Klientel, sondern reflektieren 
stets auch die jeweiligen Effekte fuer das Gesamtsystem mit. Die SPOe 
etwa betont bei ihren einkommensbezogenen Forderungen die 
Kaufkraftrelevanz der Masseneinkommen, und ihre bildungspolitischen 
Anliegen werden mit der besseren Ausschoepfung des in der 
Volkswirtschaft vorhandenen Begabungspotentials legitimiert. In 
Analogie dazu muesste auch eine radikale, d.h. nicht an der 
Optimierung son-dern Ueberwindung des herrschenden Wirtschaftssystems 
orientierte Partei die Systemeffekte ihrer Forderungen 
mitreflektieren. Diese bestehen aber oft in einer Vertiefung der 
System-widersprueche, welche dann zu weiteren Forderungen fuehrt, bei 
denen sich dasselbe Spiel auf hoeherer Ebene wiederholt, usw., usw.
Ein wirklich radikales Programm muesste die angesprochene 
Widerspruchsdynamik themati-sieren und signalisieren, dass man bereit 
ist, sich von ihr immer weiter zu treiben zu lassen, um schliesslich 
alle von den aktuellen Herrschafts- und Eigentumsverhaeltnissen 
gesetzten Schranken zu ueberschreiten. Bei der erwaehnten 
Mindestlohnforderung der SLP vermisse ich entsprechende Hinweise auf 
die von ihr tangierten Systemwidersprueche. Da wird einfach 
deklariert, dass ein Mindestlohn von 1.700 EUR einzufuehren sei, ohne 
auf die makrooekonomi-schen und betriebswirtschaftlichen Folgen der 
Realisierung dieses Anliegens einzugehen. Das Programm faellt daher in 
reflexiver Hinsicht sogar hinter die Programmatik der eta-blierten 
Parteien zurueck.
Gleichsam als Kompensation fuer das Fehlen der Reflexion auf die 
Widerspruchsdynamik von Forderungen fluechtet man sich in ein 
uebermenschlich grosses Mass an Kaempfertum: Auf den zwei Seiten des 
Programms begegnen die LeserInnen nicht weniger als dreizehn Mal 
Woer-tern mit Bezug auf 'Kampf' oder 'Kaempfen'.
Radikalitaet und Sachkenntnis
Einige Passagen des vorliegenden Programms sind nicht nur durch das 
eben angesproche-ne Reflexionsdefizit gekennzeichnet sondern weisen 
auch auf grosse sachliche Unkenntnis hin. Ich moechte das am Beispiel 
der bereits erwaehnten Forderung einer maximal 10%igen Belastung der 
Einkommen durch Wohnkosten belegen:
Die Durchschnittsbelastung der Haushalte durch Wohnkosten ist in den 
letzten Jahren tatsaechlich stark gestiegen, was natuerlich scharf zu 
kritisieren ist. Das draengendste Pro-blem bei den Wohnkosten besteht 
aber nicht in der zu hohen Durchschnittsbelastung aller Mieter, 
sondern in den im Programm unerwaehnt bleibenden Spaltungen des 
Woh-nungsbestands in Sektoren mit unterschiedlich hoher Belastung. 
Eine der wichtigsten diesbezueglichen Spaltungen betrifft Alt- und 
Neumieter von privaten Mietwohnungen. Hier gaelte es Forderungen zu 
entwickeln, die Alternativen zu der von den Vermietern ge-wuenschten 
Lockerung der Preisbindung bei Altmietvertraegen aufzeigen.
Viele Ursachen des Anstiegs der Wohnkostenbelastung liegen ausserhalb 
der eigentli-chen Wohnungspolitik. Man denke nur an die Effekte der 
Grundstueckspreise, und damit der Bodenpolitik, oder an die 
Auswirkungen von Geld- und Finanzpolitik auf das Niveau der Zinsen und 
das Volumen der fuer den Wohnbau zur Verfuegung stehenden 
Foerdermit-tel. All diese maechtigen oekonomischen Einfluesse werden 
bei der Forderung einer drasti-schen Senkung der durchschnittlichen 
Wohnkostenbelastung nicht einmal erwaehnt. Wenn man sich ueberlegt, an 
wie vielen dieser Schrauben zu drehen waere, damit die 
Durchschnittsbelastung aller Haushaltseinkommen auch nur um einige 
wenige Prozent-punkte sinkt, verweist die forsche Forderung einer 
Reduktion um weit mehr als 10 Pro-zentpunkte eher auf mangelndes 
Problembewusstsein als auf mutige Entschlossenheit.
Im Kontext der Kritik an der zu hohen Wohnkostenbelastung 
unterscheidet das vorlie-gende Wahlprogramm zwischen gutem 
Gemeindewohnungsbau und schlechter Foerde-rung von 
Genossenschaftsbauten. Diese Polarisierung geht voellig an den 
aktuellen Pro-blemen der Ballungszentren vorbei. Die bestehen naemlich 
darin, dass hier der wachsen-de Nachfrageueberhang auf einen Rueckgang 
der fuer Neubaumassnahmen bereit stehen-den oeffentlichen Mittel 
stoesst. Die Folge ist ein deutliches Sinken des Anteils des 
langfri-stig preiskontrollierten gefoerderten Wohnungsneubaues 
zugunsten eines entsprechend starker Anteilsanstiegs des fuer untere 
und mittlere Einkommensschichten kaum leistba-ren frei finanzierten 
Wohnbaues.
Mein Resuemee
Gesellschaftskritische Radikalitaet zeichnet sich nicht dadurch aus, 
dass Forderungen aufge-stellt werden, die besonders weit ueber das, 
was ist, hinausgehen. Radikal ist, wer sich durch den Erwerb von 
Sachkenntnis und die Entwicklung von vorurteilsloser 
Reflexionsbereitschaft sehr tief auf das Bestehende einlaesst, ohne 
ihm verhaftet zu bleiben.
*Karl Czasny*
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