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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. September 2013; 14:24
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Soziales / Interview:

Im Dschungel der Sozialbuerokratie

> AMS: Dienstanweisung ist Dienstanweisung

Wer im oesterreichischen Sozialstaat arbeitsunfaehig wird, muss in
vielen Faellen -- auch wenn das inhaltlich gar nichts damit zu tun
haben sollte -- irgendwann zum Arbeitsamt (AMS), weil dieses generell
fuer bestimmte Ueberbrueckungsgelder zustaendig ist. Und dort kann man
dann mit Dienstanweisungen der Betreuer konfrontiert werden, die zwar
weder dem Gesetz entsprechen noch logisch, aber trotzdem die
letztgueltige Wahrheit des AMS sind.

Peter Gruendler kann ein Lied davon singen. Die Diagnosen seiner
Aerzte sind eindeutig: Wegen psychischer Erkrankung ist er
arbeitsunfaehig. Der Biochemiker, der zuletzt als selbstaendiger
Fachuebersetzer gearbeitet hatte, stellte bei der SVA Antrag auf
Erwerbsunfaehigkeitspension. Doch beim AMS will man ihm keinen
Pensionsvorschuss zahlen, sondern verlangt von ihm, dass er sich
arbeitsfaehig meldet -- und ihn gleich in die naechstbeste
Arbeitsmarktmassnahme stecken. Dass das irgendwie nicht mit einem
Antrag auf Anerkennung seiner Invaliditaet zusammenpasst, ist dem AMS
egal.
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akin: Peter, wie gehts dir und warum bist du der Meinung, dass du
berufsunfaehig bist?

P.G.: Angefangen hat das vor Jahrzehnten. hab da auch nicht gewusst,
was da los mit mir ist. Habe immer wieder Berufe aufgeben. Habe mich
dann selbstaendig gemacht und dachte es wird besser. Aber nach einer
schweren Krise Ende 2011 habe ich gesehen, es geht nicht mehr so
weiter. Habe ich gesagt, ich nehme mal die
Betriebsunterbrechungsversicherung in Anspruch. Das ist eine private
Versicherung, die fuer den Krankheitsfall bis zu einem Jahr eine
Versicherungssumme auszahlt.

akin: Du warst jetzt aber schon die ganze Zeit in Behandlung...

P.G.: Ich war seit dem Jahr 2000 in psychiatrischer Behandlung,
zeitweilig auch in Psychotherapie. Dabei ist es mir aber immer
schlechter gegangen. Dann sind alle moeglichen Medikamente ausprobiert
haben, die aber alle nicht wirklich was gebracht haben. Und auch in
dem einen Jahr, wo die Versicherung gezahlt hat, ist nichts
weitergegangen. Da hab ich mich diesen Juni entschlossen, dass ich mir
entsprechende Atteste hole und um Erwerbsunfaehigkeitspension ansuche.
Da haben dann die Absurditaeten begonnen.

Ich hab mich einige Zeit vorbereitet. Ich hab ja gewusst, wann die
Versicherungszahlung endet. Danach hab ich es dann geschafft, das
alles in die Wege zu leiten. Ich habe den Gewerbeschein zurueckgelegt,
weil mir klar war, ich werde nicht mehr arbeiten koennen und schon gar
nicht in dem Beruf. Mit dem bin ich dann zur Pensionsversicherung
gegangen, habe den Antrag dort eingebracht. Dann bin ich zum
Arbeitsamt gegangen und hab um den Pensionsvorschuss beantragt. Also
habe ich mich arbeitslos gemeldet, aber schon den Pensionsantrag
vorgelegt. Ich hab mir gedacht, das ist eine ganz einfache Sache, das
wird seinen Weg gehen und ich werde dann zu einem Gutachter kommen und
der wird dann entscheiden.

Der Erstbretreuer am Arbeitsamt war wirklich nett, er hat mich
informiert, wie das jetzt rennen wird: dass ich meldebefreit bin
waehrend des Verfahrens und das sie mich in Ruhe lassen. Das haben sie
auch getan, zwei Monate lang. Aber natuerlich war da von
Verfahrensabschluss oder auch nur Gutachtertermin keine Rede, und ich
bin dann vor drei Wochen zum naechsten Termin am Arbeitsamt gegangen
und der fuer die Dauerbetreuung zustaendige Mitarbeiter hat mir
gesagt: "So, sie sind jetzt arbeitsfaehig". Und ich hab gsagt:
"Bitte?" -- "Ja, das ist Gesetz, sie muessen sich arbeitsfaehig
erklaeren." -- "Warum?". Dann hat er Gesetzesparagraphen zitiert und
gesagt: "Sie haben jetzt die Moeglichkeit sich fuer arbeitsfaehig zu
erklaeren". Hab ich gesagt: "Und was ist dann, ich hab ein
Pensionsverfahren laufen?". Hat er mir gesagt: "Das ist wurscht, wenn
das laenger als zwei Monate dauert, muessen sie sich arbeitfaehig
erklaeren." Mein erster Gedanke war natuerlich: Hallo, wenn ich mich
jetzt arbeitsfaehig erklaere, kann mir die SVA sagen: "Sie sind ja
arbeitsfaehig, was wollen sie mit dem Antrag bei uns?"

Dann hab ich ihn weiter gefragt: "Was geschieht, wenn ich mich als
arbeitsfaehig erklaere?" -- "Naja, dann schauen wir gleich, ob wir
einen Job fuer sie haben, oder sie gehen dann gleich in Massnahmen,
wenn wir keinen fuer sie haben."

Hab ich mir gedacht: Bitte, wie soll das gehen? Ich bin schwer krank,
ich kann einfach nicht.

Der Typ wollte mich draengen, dass ich mich fuer arbeitsfaehig
erklaere und war ziemlich praepotent. Ich bin dann gleich vom
Arbeitsamt zur SVA, bin dort zur Penionsbetreuerin gegangen. die hat
sich das angehoert und durchgelesen und hat gesagt: "Sowas hab ich
noch nie gesehen." Sie ruft den Betreuer am Arbeitsamt an, fragt ihn,
was das soll. Und die hat mir dann gesagt, dass er sie genauso
praepotent angegangen ist und Informationen haette sie keine bekommen.

Sie hat dann ihre Chefin dazugeholt. Die hat genauso den Kopf
geschuettelt und mir eine Gesetzesstelle (1) kopiert, auf den sich
diese Arbeitsfaehigkeitserklaerung bezogen hat. Und da ist nichts
davon drinnen gestanden. Da steht drinnen, dass das Arbeitsamt einen
Pensionsvorschuss zu gewaehren hat, solange das Verfahren dauert und
man meldefrei gestellt ist.

Gut, ich nehm diese Kopie, fahre zurueck zum AMS. Die Chefin von der
Abteilung hat sich ihre Dienstanweisung (2) angeschaut und das Gesetz,
hat den Kopf geschuettelt und gesagt: "Ich muss mich an meine
Dienstanweisung halten."

Die Geschaeftszahl der Dienstanweisung hab ich mir aufgeschrieben und
bin wieder zurueck zur SVA. Und die haben mir gesagt: "Erklaeren Sie
sich auf keinen Fall arbeitsfaehig, was das fuer Folgen haette,
koennen wir alle nicht absehen." Und ich bin heimgegangen mit dem
Status: Ich bin nicht arbeitsfaehig, ich krieg ab jetzt kein
Arbeitslosengeld mehr, keinen Pensionsvorschuss mehr und ich bin nicht
krankenversichert.

Den Bescheid hab ich dann bekommen. Bei der SVA haben sie mir noch
gesagt: "Kommen Sie zu uns, wenn Sie den Bescheid vom Arbeitsamt
haben." Und von dort komme ich gerade. Dort hat der Fall mittlerweile
die Runde gemacht und alle haben nur den Kopf geschuettelt: "Sowas
gibts gar nicht, sowas darf es nicht geben!"

akin: Das heisst: Frueher duerfte es sowas nie gegeben haben.
Berufsunfaehigkeitspensionen werden ja haeufiger beantragt. Wieso ist
das bei dir anders?

P.G.: Das ist nicht nur bei mir anders. Das ist seit 1.1.2013, wie mir
gesagt wurde, so, dass man 62 Tage meldebefreit ist und dass man sich
dann arbeitsfaehig melden muss. Was fuer einen kranken Menschen eine
Absurditaet sondergleichen ist.

akin: Seit 1.1.2013 gilt diese Dienstanweisung?

P.G.: Ja, das gilt laut dieser Dienstanweisung und laut Auskunft des
AMS steht das im Gesetz. In dem Paragraphen, auf den sie sich
beziehen, steht das aber alles nicht drinnen.

akin: Ich danke fuer das Interview.
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(Interviewer war Bernhard Redl. Stark gekuerzte Wiedergabe. Das
Interview ist in voller Laenge nachzuhoeren unter:
http://cba.fro.at/246818. Dort findet sich auch eine ausfuehrliche
schriftliche Dokumentation des Falles.)
*

(1) AlVG §23. Nach Vermutung der Selbsthilfegruppe "Aktive
Arbeitslose" beruht die Zweimonatsfrist in der Dienstanweisung in
Wirklichkeit auf §8 AlVG. Die Stelle bezieht sich allerdings nicht auf
die Zahlung von Ueberbrueckungsgeldern wie etwa Pensionsvorschuessen,
sondern auf regulaere Arbeitslosengelder. Das ist wohl auch der Grund,
warum man beim AMS offiziell nicht diese Stelle zitiert.

(2) Geschaeftszahl LGSW054/2013



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