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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. September 2013; 01:23
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Buecher:
> Oesterreich statt EU?
Hg. Solidar-Werkstatt Oesterreich:
"Denn der Menschheit drohen Kriege..."
Neutralitaet contra EU-Grossmachtswahn
guernica Verlag, 120 Seiten, EUR 7,50
ISBN 978-3-9503578-0-6
Zu bestellen unter: office{AT}solidarwerkstatt.at oder T 0732/77-10-94
Ein Buecherl von der "Friwe" zum Thema Krieg und EU: Die NGO, die 
frueher "Friedenswerkstatt" hiess und sich jetzt "Solidar-Werkstatt" 
nennt, hat im hauseigenen Guernica-Verlag ein Elaborat herausgegeben, 
dessen Titel eine Zeile aus einem Brecht-Gedicht ist, das ganz am 
Schluss des Buecherls abgedruckt ist. Als alter Fan des Augsburgers 
schlage ich daher natuerlich gleich einmal hinten auf: "... Lasst uns 
die Warnungen erneuern, / und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund 
sind! / Denn der Menschheit drohen Kriege / gegen welche die 
vergangenen wie armselige Versuche sind, ..."
Das schrieb Brecht 1952 - seither gab es genug Kriege, aber 
gluecklicherweise keinen, der mit dem 2.Weltkrieg vergleichbar gewesen 
waere. Das Buecherl zitiert aber auch Jean Claude Juncker: "Das Jahr 
2013 koennte ein Vorkriegsjahr werden wie das Jahr 1913, wo alle 
Menschen an Frieden glaubten, bevor der Krieg kam."
Das macht auch schon die Ambivalenz aus, mit der ich diesem Buecherl 
naehertrete. Natuerlich ist die Warnung vor dem Krieg irgendwann mal 
"Asche im Mund", ein Wort, schal und eklig vom ewigen Wiederkaeuen. 
Wenn man immer wieder dasselbe erzaehlen muss und sich dabei wie eine 
ungehoerte Kassandra vorkommt, hat man den Eindruck, man nerve die 
Leute nur noch, aber weiss, dass man sie doch nerven muss. Zum anderen 
aber besteht doch auch die Gefahr, dass die Mahnung oder gar 
Uebertreibung bis hin zum Alarmismus irgendwann zum Selbstzweck wird. 
Es kann sein, dass es irgendwann nur mehr darum geht, die eigene Moral 
zu verbreiten, und erst das eine dermassen pentrante Redundanz 
erzeugt, durch welche das Publikum muede wird, die Warnungen zu 
beherzigen. Wer zu oft "Feuer!" schreit, dem glaubt man nicht, wenn es 
dann einmal wirklich brennt.
Ich will das jetzt einmal gar nicht speziell der Friwe unterstellen, 
aber natuerlich setzt auch sie sich einer solchen Gefahr aus. Immerhin 
aber steht die Friwe in einem Bereich fast alleine da, ist sie doch 
eine der wenigen Institutionen, die sich an konsequenter linke 
EU-Kritik versucht. Dafuer ist ihr sicher Achtung zu zeihen. Leider 
hat jedoch auch hat die Dialektik Fallen bereitgestellt, denn die 
Friwe landet da oft genug in den Schlagloechern eines ueberwunden 
geglaubten Patriotismus.
Hegemonialkonzepte
Mit diesen Ueberlegungen mache ich mich an das Buch. Den Hauptteil 
bildet ein 63-seitiger Essay von Gerald Oberansmayr, der den selben 
Titel wie das Buch traegt. Der Text ist gespickt mit einer Vielzahl 
von Zitaten. Eines der ersten macht die militaerische Doktrin der USA 
klar: "Wir (muessen) die Mechanismen erhalten, die moegliche 
Konkurrenten davon abschrecken, eine groessere regionale und globale 
Rolle auch nur zu erhoffen." Das steht im 1992 von der New York Times 
zitierten "No Rivals"-Plan des Pentagon. In diese Zeit des globalen 
Umbruchs faellt aber auch ein europaeisches Zitat: "Es kling brutal 
und zynisch, aber vielleicht brauchen wir weitere Krisen wie in 
Jugoslawien, damit Europa enger zusammenwaechst und zu einer 
gemeinsamen Politik findet." (Horst Teltschik 1991, damals Berater des 
deutschen Kanzlers). Und ein drittes Zitat: Der damalige deutsche 
Kriegsminister Ruehe meinte 1998 gegenueber der FAZ, dass, wenn die 
NATO nicht bald am Balkan eingreife, man "einen Nachruf auf die NATO 
verfassen" werde.
Diese drei Zitate finden sich alle gleich auf Seite 9 des Buecherls. 
Damit macht Oberansmayr auch gleich klar, worum es in dem ganzen Essay 
geht: Um Kriege, die gefuehrt werden muessen, nicht nur um Ressourcen, 
sondern auch um prinzipielle Sorge um die Aufrechterhaltung von 
Hegemonie, aber auch wegen des Zusammenhalts im Inneren, also der 
Konstitution dessen, was man frueher ein Vaterland genannt hat. Dabei 
befinden sich die EU und die USA in den Doppelrollen der Konkurrenten 
wie der Verbuendeten.
Es zeichnet sich naemlich ab, dass die Nachfolge des Kalten Krieges 
nicht von einer globalen Hegemonie der USA oder der NATO angetreten 
wird, sondern in den letzten zwei Jahrzehnten eine oligopole 
Weltordnung heraufdaemmerte. Das German Institute of Global and Area 
Studies schrieb 2011, die USA haetten "ihren Status als 
Hegemonialmacht offenbar ... eingebuesst". Europa sei zwar "nach wie 
vor der groesste Wirtschaftsraum der Welt", sehe sich aber einem 
"schleichenden Bedeutungsverlust" ausgesetzt. Grund sei der Aufstieg 
neuer Fuehrungsmaechte, vor allem von China. Der "Club des Westens" 
verliere "trotz NATO" seine globale Vorherrschaft. Aufstrebende 
Staaten wie etwa "die Tuerkei, Indonesien, Venezuela, Iran, 
Suedafrika" liessen sich schon jetzt "weniger denn je extern steuern" 
(Friwe, S.20).
Waehrend die USA nach wie vor trotz forcierter Ruestungsbemuehungen 
Russlands und Chinas einen Verteidigungsetat besitzen, der das 
Sechsfache des addierten Etats der beiden Maechte ausmacht, beweisen 
auch Truppen aus der EU bereits jetzt ihre "Faehigkeiten zur 
Kraefteprojektion", wie das im EU-"Sicherheitspolitik"-Sprech heisst. 
Oberansmayr belegt das vor allem mit den Aktivitaeten in Afrika: DR 
Kongo, Tschad, Somalia, Elfenbeinkueste, Mali, Libyen - EU-Militaers 
oder solche aus einzelnen EU-Staaten mischten dort ueberall fleissig 
mit. (S16-17). Der Verdacht, dass diese Einsaetze nicht 
ausschliesslich aus reiner Naechstenliebe passieren, sondern eher 
neokoloniale Interessen verfolgt werden, ist evident. Dass dies aber 
etwas unterhalb des Aufmerksamkeitsschwelle passiert, ist wohl der 
generellen Ignoranz einer europaeischen Oeffentlichkeit gegenueber 
Afrika geschuldet.
Zu diesen Hegemoniebestrebungen gehoeren aber auch die Notwendigkeiten 
nuklearer Erstschlagskapazitaeten genauso wie radikaler Militarismus. 
Fuenf ehemalige NATO-Generaele schrieben 2008 in einem 
Strategiepapier: "Der Ersteinsatz von Atomwaffen muss im Koecher der 
Eskalation bleiben. ... Atomare Eskalation ist der ultimative Schritt 
asymmetrisch zu antworten und zugleich der maechtigste Weg, 
Unsicherheit beim Gegner zu erzeugen." (Friwe, S.25) Und den frueheren 
deutschen Brigadegeneral Guenzel zitiert Oberansmayr mit den Worten: 
"Das Selbstverstaendnis der deutschen Kommandotruppen hat sich seit 
dem Zweiten Weltkrieg nicht geaendert. ... Ich erwarte von meiner 
Truppe Disziplin wie bei den Spartanern, den Roemern oder bei der 
Waffen-SS". (S.12)
Europa der Rechten
Das zu einem solchen militarisierten EU-Staat natuerlich auch die 
Verschaerfung der "Sicherheit im Inneren" gehoert ist klar. 
Oberansmayr beklagt die immer weitergehende Ausschaltung der 
Parlamente, die notwendig sei, um Ueberwachungsstaat und 
Austeritaetspolitik durchzusetzen. Ein starker EU-Staat kann sich 
nunmal weder Sozialpolitik noch Unruhen leisten. Dazu braucht man auch 
eine europaeische Identitaet, einen Glauben an ein europaeisches 
Vaterland. Daher sei auch diese Imperiumsbildung nicht das Gegengift, 
sondern der siamesische Zwilling des ueberall in Europa aufkeimenden 
Rechtsextremismus und Rassismus, so Oberansmayr. Und er bietet als 
Zeugen fuer diese Behauptung den ehemaligen Fuehrer der 
postfaschistischen Alleanza National, Gianfranco Fini, an: "Europa ist 
eine Idee der Rechten" meinte dieser 2002. Oberansmayr dazu: "Fuer 
Friedensbewegung und fortschrittliche Kraefte muss daher gelten: Wir 
muessen allen Ideologien entgegentreten, die uns im Namen imperialer 
Weltmacht demokratische und soziale Errungenschaften rauben und gegen 
die Menschen in anderen Weltregionen aufhetzen wollen. ... Der 
Hauptfeind sind die Machteleiten im jeweils eigenen Imperium. Also 
Internationalismus statt Euro-Chauvinismus!" (S.52)
Da kann der Rezensent natuerlich nur zustimmen. Schwieriger wird es 
bei der von der Friwe angebotenen Alternative: "Zweite Republik statt 
Viertes Reich". Neutralitaet, so Oberansmayr, habe "nichts mit 
nationaler Eigenbroetelei zu tun, sie schafft vielmehr den Raum fuer 
wirklichen Internationalismus, der fuer Gleichberechtigung in den 
internationalen Beziehungen und Respektierung des Voelkerrechts 
eintritt." Damit kann ich auch noch gut leben (wiewohl manche Aspekte 
des so vielgelobten Voelkerrechts alles andere als respektabel sind). 
Aber aus diesem Gedankengang kam die vormalige Friedenswerkstatt auf 
die Idee, bei der Volksbefragung im Jaenner fuer den Erhalt der 
Wehrpflicht zu werben - und zwar nicht, weil sie es als geringeres 
Uebel gegenueber einem Berufsheer ansieht, sondern ein 
Volks-Bundesheer als Garanten fuer eben diese Neutralitaet. Und da 
kann ich dann halt nicht mehr mit. Man kann nicht Antimilitarismus 
fordern und gleichzeitig die Notwendigkeit eines Heeres betonen.
Den Rest des Buches bilden kurze Kommentare zum Weltgeschehen und eine 
Menge Zahlen zu Ruestungsfragen. Alles in allem sind die Beitraege ein 
Schatz fuer Argumentationen in einschlaegigen Debatten. Nur schade, 
dass dem Ganzen ein Register fehlt, denn ein brauchbares Zitat zu 
finden wird dadurch sehr erschwert.
Schaudern und Skepsis
Alles in Allem: Mag sein, dass so manches Zitat aus dem Zusammenhang 
gerissen worden ist oder missinterpretiert, doch die meisten sind zu 
eindeutig, um diesen Einwand gelten zu lassen. Manches ist auch sehr 
plakativ wie das Spruecherl jenes wildgewordenen Generals, der die 
"Disziplin der Waffen-SS" einfordert. Sicher gibt es im Kreis der 
EU-Maechtigen auch einflussreiche Stimmen, die sich die Entwicklung 
der Union ganz anders vorstellen und die hier nicht zitiert wurden. 
Aber allein die schiere Menge an hier angefuehrten Zitaten und welche 
Denkmoeglichkeiten bei massgeblichen Leuten statthaft sind, macht doch 
Schaudern und naehrt die Befuerchtung, dass Oberansmayrs 
Horrorszenarien nicht so ganz unwahrscheinlich sind. Nur bleibt mir 
auch nach der Lektuere doch eine enorme Skepsis, ob ein Zurueck zu 
einem souveraenen oesterreichischen Vaterland - noch dazu mit 
entsprechenden militaerischen Ressourcen - wirklich zu einer besseren 
Welt oder auch nur einem besseren Oesterreich fuehrt. Ein Uebel 
einzufordern, nur weil es ein kleineres ist, war noch selten eine gute 
Idee.
*Bernhard Redl*
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