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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 3. Juli 2013; 03:57
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Nachruf:
> Ernst Kostal 1944-2013
Though this be madness,
yet there is method in't.
(Shakespeare, Hamlet)
Grabspruch:
auch ich war da
und sage ja
zu meinem Dagewesensein:
mehr ja als nein.
(Ernst Kostal)
Ich mache jetzt eine Flasche Wein auf. Deswegen. Oder trotzdem. Oder 
weil ich sonst diesen Nachruf nicht schreiben kann. Denn der 
Wahnsinnige ist tot.
Ernst Kostal hat seinen Wahnsinn gelebt. Er hat unter ihm gelitten und 
er hat ihn zelebriert. Mit Methode. Er hat den Wahnsinn, der ihm ein 
buergerliches Leben versulzt hat, trotz allem sehr geliebt. Den 
Alkohol hat er zeitweise auch sehr geliebt. Und dann gehasst. Und ist 
ihm trotzdem immer wieder verfallen. Bis dann vielleicht auch die 
Verantwortung fuer seinen Sohn ihn endgueltig zur Trockenheit brachte.
War er am Schluss wirklich tnoch rocken? Puh, ich weiss nicht, ich hab 
den Ernstl lange nicht mehr gesehen -- so hab ich auch erst vor kurzem 
von seinem Tod erfahren, obwohl er schon im April verstorben ist. 
Angehoerige mag ich nicht belaestigen. Was findet sich im Internet? 
Die GAV hat eine kurze Todesnachricht gepostet. Der Augustin, in dem 
Kostal genauso wie frueher auch in der akin Texte publizierte, brachte 
anlaesslich seines Todes ein paar Gedichte und eine kurze Wuerdigung. 
Dort war zu lesen: "Ernst Kostal gehoerte zu den schreibenden 
Exemplaren der Gattung 'Zwischen Genie und Wahnsinn'. Dieser Topos hat 
in den vergangenen Jahrzehnten zwar seinen pejorativen Charakter 
verloren, aber aus dem grossen Literaturbetrieb bleiben Autor_innen 
vom Schlage Kostals ausgegrenzt; sie profitieren nicht einmal vom 
Prinzip 'Nur ein toter Dichter ist ein guter.'"
Ja, obwohl eigentlich alles gepasst haette. Auch sein Saufverhalten 
war eigentlich dazu angetan, sich in die lange Reihe an beruehmten 
Dichtern einzureihen. Schliesslich haette ja die lesenswerte Literatur 
der Welt, die von Abstinenzler geschaffen wurde, in einem schmalen 
Broschuerchen Platz. Doch den Ernstl hat der Alkohol wohl nur 
kaputtgemacht. Anlaesslich des Erscheinens eines Gedichtbandes schrieb 
Julia Ortner 2004 im "Falter" ueber ihn, seine Lebensgeschichte lese 
sich "wie ein tragischer Film": "1944 als Sohn einer Juedin und eines 
'Ariers' im Hitler-Wien geboren, waechst Kostal zwischen Extremen auf. 
Der Vater, ein Versicherungsangestellter, stirbt frueh, der Bub wohnt 
alleine mit der Mutter im Familienhaus in Hietzing. ... Anfang der 
Sechzigerjahre schafft es der Kurzstrecken- und Weitsprungspezialist 
.... ins oesterreichische Leichtathletik-Nationalteam. Er studiert 
Germanistik, weil er 'lernen will, wie ein Dichter schreibt'. Dann 
entdeckt der Leistungssportler das Nachtleben und den Alkohol. ... Er 
beginnt schon tagsueber zu trinken, 'einen gewissen Pegel' zu halten. 
Auch mit dem Leistungssport ist es aus und vorbei -- nach einem miesen 
Lauf im leichten Rausch.
Um seine Dissertation zu bewaeltigen, hoert der junge Mann Anfang der 
Siebziger radikal mit dem Trinken auf. Fuenf Jahre haelt er durch, 
dann wird ihm ein einziges Kruegel im Gastgarten zum Verhaengnis. ... 
Kurz nach dem ersten Kruegel ist Kostal wieder bei einer Tagesration 
von einer Flasche Schnaps angelangt. Er kann jetzt ungestoert 
trinken -- er ist zwar Habilitand, Spezialgebiet Aesthetik, ... 
arbeitet aber weiterhin von daheim aus... Neben der wissenschaftlichen 
Arbeit schreibt er Lyrik, gewinnt Preise, unter anderem zweimal den 
Dr.-Theodor-Koerner-Preis.
Trotzdem verliert er langsam den Boden unter den Fuessen. Kippt 
Unmengen an Medikamenten und Alkohol in sich rein. Dann der erste 
stationaere Entzug in Kalksburg. 1982 schlittert Kostal in eine 'wilde 
Manie', schnappt total ueber, eine Folge der extremen Sauf- und 
Entzugsphasen. 'Mein Gefuehlsleben ist sozusagen implodiert', sagt 
Kostal. Er wird zum ersten Mal in die Psychiatrie eingeliefert, als er 
wieder nach Hause kommt, will er seine Habilitation endlich ins Reine 
schreiben und fertig machen -- und muss feststellen, dass nichts davon 
brauchbar ist, eine 'Dokumentation des Irrsinns'."
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Wenige Jahre danach hab ich ihn dann kennengelernt, ueber eine 
Anti-Psychiatrie-Initiative, den verhinderten Herrn Professor. Und er 
hatte auch immer ein bisserl was Professorales. Als ich einmal leicht 
ironisch in einem Artikel ein Marx-Zitat verwendet hatte, tauchte er 
mit dem "Kapital" in der Redaktion auf, um mich auf die korrekte 
Stelle dort zu verweisen.
Ja, aber vor allem eben war er ein Wahnsinniger mit Methode, der im 
Literaturhaus "Wahnsinnssymposien" veranstaltete oder derjenige war, 
der in Oesterreich dem Institut des "Psychiatrischen Testaments" eine 
gewisse Bekanntheit verlieh. Denn die Einlieferung in die Psychiatrie 
hatte bei ihm auch ausgeloest, sich mit dieser Institution selbst zu 
beschaeftigen. Die Pathologisierung des Wahnsinns und die daraus 
resultierende "Behandlung" war ihm ein Greuel. In einer Radiosendung 
meinte er einmal: "Ich war vollkommen uebergeschnappt und habe dann 
aber ziemlich daran gearbeitet. Ich habe mir angeschaut, was da 
gewesen ist, was da passiert ist mit mir. Da bin ich natuerlich auch 
ein bisschen auf Kriegsfuss mit der Psychiatrie, weil ich den 
Krankheitsbegriff nicht mag. Das ist so eine Abwertung von vornherein: 
'Der ist ein Kranker', den kann man so wegschieben... an dem kann man 
seine Methoden anwenden... oder so. Darum sage ich auch lieber 'Wahnsinn' 
oder 'ich war vollkommen uebergeschnappt' - das trifft den Zustand 
besser."
Sein Wahnsinn war nicht immer einfach. Manchmal konnte er 
unertraeglich sein. Vor allem, wenn er schwer in Oel war. Der Alk 
befeuerte seine Kreativitaet leider gar nicht. Aber wenn er klar war, 
kam es oft genug vor, dass man ihn einfach lieben musste. Und manchmal 
traf es auch zusammen -- ihn zu lieben und ihn unertraeglich zu 
finden. Wenn er neben einem im Autobus sass und so laut, dass er das 
ganze Gefaehrt beschallte, ein Gedicht deklamierte, dessen letzte 
Zeile lautete: "Ich hab einen Steifen bis zu den Knien!", wusste man 
nicht, ob man lachen oder so zum Fenster rausschauen sollte, als 
wuerde man ihn gar nicht kennen. Und irgendwie schaemte man sich dann 
dafuer, dass man nicht ganz so wahnsinnig war wie er selbst.
Ernstl, dein Wahnsinn hat ein Ende. Vielleicht war dieser Wahnsinn 
auch ganz richtig so. Wars ein verkorkstes Leben? Ja, vielleicht. 
Andererseits auch ganz bestimmt nicht. Denn ohne solche Wahnsinnige 
wie Dich waere diese Welt viel aermer. Adieu, du Poet, du!
Nachsatz: Nach dem Durchlesen des Obigen denke ich mir: So kann man 
eigentlich keinen Nachruf schreiben. Fuerchterlich pietaetlos. Nein, 
das geht gar nicht. Aber: Ich hab den Verdacht, dem Ernstl haett' so 
ein Nachruf gefallen. Also lass ich das jetzt so stehen.
*Bernhard Redl*
Gedichte von Ernst Kostal finden sich im Netz unter anderem unter:
http://www.freak-online.at/fileadmin/sendungen/lh00114a.txt
http://www.augustin.or.at/article2271.htm
Doku: Radikalkur Wahnsinn, Kostal-Portraet von Julia Wolkerstorfer 
(2010, 13 Min.), ueber den Wahnsinn, die Psychiatrie und die Sucht: 
http://www.youtube.com/watch?v=v_zZJ2qs0Bc
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