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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Juni 2013; 01:20
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Soziales/Glosse:

> Es braucht einen Tsunami in der Pflege!

Ein Leserbrief (an die Solidarwerkstatt) von *Alexandra Prinz*, die in
der Hauskrankenpflege beschaeftigt ist, ueber die Arbeitsbedingungen
in diesem Sektor. Sie meint: Wuerden Pflegekraefte durch einem
landesweiten Streik auf die Probleme ihrer Arbeit aufmerksam machen,
wuerde man rasch merken, wie wichtig diese Arbeit wirklich ist.
*

In der extramuralen Pflege (d.i. Hauskrankenpflege, Anm. akin) werden
immer Arbeitskraefte gesucht. Noch nie hat man davon gehoert, dass in
diesem Beruf jemand abgebaut worden waere. Nein, es sind immer die
MitarbeiterInnen selbst, die dieses Berufsfeld verlassen - und das mit
gutem Grund.

Im Jahr 2010 gab es in Wien den medial aufgebauschten Fall eines
Vereins, der Hauskrankenpflege anbietet, weil es
Aenderungskuendigungen gab. Langgediente MitarbeiterInnen haetten auf
viele Vorteile des alten Vertrages verzichten und die Bedingungen des
neuen Vertrages, der finanziell um einiges schlechter ist, akzeptieren
sollen. Wer nicht unterschrieb, handelte sich damit die Kuendigung
ein. Aeltere MitarbeiterInnen, die noch nicht das gesetzliche
Pensionsalter erreicht hatten, wurden mit einer entsprechenden
Abfertigung belegt, viele unterschrieben und arbeiten nun unter weit
schlechteren Bedingungen weiter und die, die gingen, fingen andernorts
unter ebenfalls schlechten Bedingungen an.

Warum jedoch sind die Bedingungen in der extramuralen Pflege so
schlecht? Ein Beispiel eines Klientenpaares, das zumindest finanziell
vordergruendig abgesichert ist: Hr. M. ist 65 Jahre alt. Er lebt in
einem Gemeindebau im 5. Stock, hat aufgrund seiner schlecht
behandelten Diabetes beide Beine amputiert und leidet an COPD
(Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, KHK (Koronare Herzerkrankung)
sowie diversen kleineren Krankheiten. Aufs WC kann er kaum gehen, da
er mit seinen beiden Prothesen nur maessig gehfaehig ist.

Dazu kommt noch, dass Hr. M. nicht alleine lebt, sondern fuer seine
seit 1986 an Multipler Sklerose erkrankte Gattin sorgt. Beide
studierten in den 70er Jahren Welthandel, haben die Schweiz und
Deutschland bereist und auch dort gearbeitet. Heute liegt Frau M. nur
noch im Bett und kann sich selbstaendig kaum ruehren. Ihre
fortgeschrittene Krankheit erlaubt ihr nicht einmal, selbst zu
trinken, Nahrung kann sie nur noch in Breiform zu sich nehmen.

Diese beiden Menschen sind vollkommene Pflegefaelle. Die Pension von
Hr. M. ist zwar ausreichend, da er als ehemaliger Ministerialbeamter
gut verdient hat, das ist aber fuer viele pflegebeduerftige Menschen
nicht der Regelfall. Das Gros der DurchschnittspensionistInnen hat
eine Pension zwischen 800 - 1000 Euro und in der Mehrheit sind es
Frauen, die im hohen Alter zu Pflegefaellen werden.

Es hat sich ueber die Jahre eingebuergert, dass in der
Hauskrankenpflege nur aeltere MitarbeiterInnen und auch sehr viele
MigrantInnen taetig sind. Fuer viele junge Krankenschwestern aus dem
stationaeren Bereich sind die Anforderungen in der haeuslichen Pflege
einfach zu hoch, die Verantwortung zu viel, das Gehalt zu schlecht.
Warum soll man sich fuer weniger Geld noch mehr anstrengen? Denn eines
steht fest: Das Geld in der mobilen Pflege ist noch haerter verdient
als im stationaeren Bereich.

Weder gibt es eine Kollegin, die man zu Hilfe rufen koennte, wenn es
um den Transfer von immobilen, schweren KlientInnen geht, Hilfsmittel
stehen oft nicht zur Verfuegung, Raeume sind meist zu klein fuer
grosszuegige Transfers. In Wien gibt es immer noch Wohnungen ohne
Warmwasseranschluss, Wasser fuer die Koerperpflege muss am Gasherd
erst erwaermt werden, Licht in der Kueche ist kaputt, Toepfe
unabgewaschen, der Durchlauferhitzer ebenfalls kaputt.

Ueberlange Wegzeiten, Abenddienste, nicht berufsadaequate Einsaetze
(Diplomierte machen in ueberwiegendem Mass Pflegehelfertaetigkeit),
klimatische Erschwernisse (die Vereine stellen keine adaequate
Dienstkleidung zur Verfuegung) machen die Arbeit zermuerbend.

Die hygienischen Umstaende entsprechen nicht in allen Haushalten den
erforderlichen Mindeststandards, als Pflegeperson muss man auch das in
Kauf nehmen. Solange der/die KlientIn nicht besachwaltet ist, kann
niemand ihn/sie aus der Wohnung bringen, was bis zu einem gewissen
Grad auch zum Schutz der/des KlientIn gut ist. Fuer Pflegekraefte in
der extramuralen Pflege gibt es jedoch keine gesetzlich definierten
Mindeststandards, unter denen sie arbeiten muessen. Das bedeutet
jedoch, dass eine Pflegefachkraft allen - selbst den widrigsten -
Gegebenheiten standhalten und ihren Beruf mit Professionalitaet
ausueben muss.

Von Piloten und Aerzten weiss man, dass sie fuer die Verantwortung,
die sie den Menschen gegenueber haben, in der Regel gut bezahlt sind,
wesentlich besser als Pflegekraefte, deren fachkompetente Handlung um
nichts weniger wert ist, da in den Haenden von Pflegekraeften die
Pflege des Lebens liegt! Wuerden Pflegekraefte in einem landesweiten
Streik in Deutschland (Oesterreich) auf den Kern ihrer Arbeit
aufmerksam machen, wuerde man rasch merken, wie wichtig diese Arbeit
wirklich ist.

Die Gewerkschaften in Oesterreich sind weit entfernt davon, einen
konzertierten Streik auszurufen. Die Pflegekraefte sind im Bundesland
Wien in vier verschiedene Gewerkschaften aufgeteilt, die da z. B.
Vida, GPA-djp, GOeD und HGII heissen. Diese unterscheiden sich
parteipolitisch und sind im Grossen und Ganzen zwischen SPOe und OeVP
angesiedelt. Da beide Koalitionsparteien nicht das geringste Interesse
haben, mehr Geld in die Bezahlung der Pflegekraefte zu investieren
sowie in die Pflege generell und das Sozialministerium nach 2014 noch
keinen Plan hat, wie die Pflege fuer die wachsende Zahl an
Pflegebeduerftigen tatsaechlich organisiert und finanziert werden
soll, ist kein Hoffnungsschimmer in Sicht, wenn es darum geht, den
chronischen Mangel an Pflegepersonal zu beheben bzw. jene Menschen,
die bereits in der Pflege taetig sind, mit attraktiven Angeboten zu
halten. Die Durchschnittsverweildauer im Pflegeberuf betraegt laut
NEXT-Studie sechs Jahre.

Was waeren z. B. attraktive Arbeitsbedingungen: familiengerechte
Arbeitszeiten, Fort- und Weiterbildungsmoeglichkeiten, entsprechende
finanzielle Zulagen und ein Gehalt, das den traditionellen Frauenberuf
auch fuer Maenner attraktiv macht, Ueberstunden nur nach Uebereinkunft
mit der/dem ArbeitnehmerIn und entsprechend abgegolten,
ausbildungsgerechte Bezahlung. (In Oesterreich verdient eine
diplomierte Krankenschwester, die ein Master-Studium abgeschlossen
hat, in Teilzeit gerade einmal 1.100.-€ netto, formale
Berufsabschluesse werden nicht anerkannt, auch wenn man mit einem
angeschlossenen Studium meist hoeher qualifiziert ist als die
Pflegedienstleitung).

Warum laesst sich ein Streik in der Pflege so schwer durchsetzen? Es
braucht einen "Tsunami in der Pflege", sagt die deutsche Journalistin
Anette Dowideit.

Zum einen liegt es an den Pflegekraeften selbst, die - durch die
Geschichte der Pflege bedingt - gewohnt sind, zu dienen und
unentgeltlich zu arbeiten. Es hat sich noch immer nicht ausreichend
herumgesprochen, dass Frauen nicht nur DAZU verdienen, sondern von
ihrem Gehalt mitunter ganze Familien zu versorgen haben, denn auch in
Oesterreich ist die Anzahl an AlleinerzieherInnen im Zunehmen, die bei
schlecht bezahlter Teilzeitarbeit schnell in die Armutsfalle
abgleiten.

Pflegekraefte in Oesterreich verfuegen haeufig ueber eine sehr geringe
formale Schulbildung (die Pflegeausbildung ist in der Regel nach 10
Schulstufen zu absolvieren). In der Hauskrankenpflege finden sich
ueberproportional viele MigrantInnen, die aufgrund mangelhafter
Sprachkenntnisse in Wort und Schrift auch nicht die Moeglichkeit
haben, sich bei BetriebraetInnen und GewerkschaftsvertreterInnen
Gehoer zu verschaffen. (Das Wissen um demokratiepolitische Initiativen
ist nicht nur bei Pflegekraeften, dort jedoch besonders oft,
mangelhaft.) Meist kommen diese institutionellen VertreterInnen nicht
aus der Pflege und wissen gar nicht, unter welchen Bedingungen
Pflegekraefte arbeiten und mit welchem Einkommen sie wirklich
auskommen muessen.

Wer sich in der Pflege Gehoer verschafft, macht sich nicht beliebt.
Man versucht solche Menschen mundtot zu machen. Das geht so weit, dass
Menschen, die offen Missstaende in der Pflege kritisieren, gekuendigt
werden, wie der Fall "Brigitte Heinisch" in Deutschland zeigt.

Da nicht nur Deutschland und Oesterreich ein wachsendes Problem mit
der demografischen Entwicklung haben und ebenso mit einer zu geringen
Anzahl an Pflegekraeften, stellt sich die Frage, warum man diese nicht
nach schweizerischem/skandinavischem Vorbild bezahlen will, um eine
weitere Ausduennung dieser Berufsgruppe zu vermeiden. Allerdings sind
die Pflegekraefte nicht davon ausgenommen, ihre Hausaufgaben zu machen
und ueber die Berufsvertretungen entsprechende Forderungen zu stellen.
Die Aerzte tun es schliesslich auch. Formal und vor dem Gesetz sind
die Pflegekraefte den Aerzten als Berufsgruppe seit 1997
gleichgestellt (in Oesterreich).
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Quelle:
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=867&Itemid=1



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