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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Juni 2013; 00:43
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Reisebericht:
> Die Moeglichkeit der anderen Welt
*Hermann Dworczak* berichtet ueber eine internationale Konferenz 
marxistischer Oekonominnen in Brasilien und den Alternativengipfel in 
Griechenland
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Heuer nahm ich zum vierten Mal an der Jahreskonferenz (24.-26.Mai) der 
WAPE (World Association of Political Economy) teil. Die WAPE ist eine 
Organisation von relativ undogmatischen MarxistInnen aus China, Japan 
und den USA. Aus Oesterreich waren auch Peter Fleissner und Josef Baum 
dabei. Diesmal fand die Tagung in Florianopolis im suedlichen 
Brasilien statt, nicht allzuweit entfernt von Porto Alegre, der Stadt, 
in der vor mehr als einem Jahrzehnt das Weltsozialforum gegruendet 
wurde.
Um nicht gleich nach dem Zentral- und Osteuropaeischen Sozial- und 
Umweltforum (Wien 2.-5. Mai) die naechste Konferenz zu besuchen, mache 
ich in Rio einen dreitaegigen Zwischenstopp. Der Papstbesuch im Juli, 
die Fussball-Weltmeisterschaft 2014 bzw. die Olympischen Spiele 2016 
werfen deutliche Schatten voraus. Historisch wertvolle Gebaeude werden 
renoviert, das legendaere Maracana-Stadion wurde einer 
Generalsanierung unterzogen. Ob diese Investitionen auch breiteren 
Schichten zu gute kommen, wird sich erst weisen.
Die sozialdemokratische Nachfolgerin von Lula, Dilma Roussef, wird in 
den Medien oefters als die "maechtigste Frau nach Merkel" tituliert. 
Die linke Wochenzeitung "Brasil do fato" wirft ihr eine 
"Schaukelpolitik" vor. Da wird einerseits von der Regierung in Abrede 
gestellt, dass die "bolsa de familia" (eine Sozialleistung fuer arme 
Familien) vor dem Auslaufen steht, andererseits geht bei der 
Agrarreform nichts wirklich weiter (was der MST - die 
Landlosenbewegung in Brasilien - immer und immer wieder unterstreicht) 
und laufend gibt es "Initiativen" in Richtung Privatisierung: im 
Erdoelbereich, bei den Haefen usw. Und die Regierung plant auch die 
Arbeitszeiten weiter zu "flexibilisieren"...
Die Hoffnungen auf tiefgreifende gesellschaftliche Veraenderungen, die 
einst mit Lula verbunden waren, sind laengst verflogen. Die PT 
("Arbeiterpartei") verwaltet im Buendnis mit buergerlichen Parteien 
den Kapitalismus, gemildert durch sozialreformerische Massnahmen. Die 
aendern jedoch nichts grundsaetzlich - vielmehr fixieren sie den 
Status von Millionen Menschen als "staatliche Almosenempfaenger".
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Bereits der erste Tag der WAPE-Konferenz zeigte die inhaltliche Breite 
der Tagung. Anders als bei aehnlichen Konferenzen hatte bereits die 
"opening ceremony" inhaltliches Gewicht. Insbesonders Professor Cheng 
Enfu von der Akademie fuer Marxismus in der Chinesischen Akademie der 
Sozialwissenschaften liess aufhorchen, als er ein ungeschminktes Bild 
der gegenwaertigen chinesischen Gesellschaft zeichnete: krasse 
Vermoegens- und Einkommensunterschiede, starkes soziales und 
oekonomisches Gefaelle zwischen dem Westen und dem entwickelteren 
Osten des Landes, all das mit steigender Tendenz! Auch wenn er sich in 
seinen Alternativ-Vorschlaegen ziemlich bedeckt hielt, ist bereits das 
Festhalten der Realitaet von betraechtlicher politischer Bedeutung - 
widerspricht es doch entschieden dem Harmonie-Gedusel der Staats- und 
Parteifuehrung.
In der ersten Arbeitssitzung am Vormittag unterstrich Erwin Marquit 
von der University of Minnesota (USA) die Bedeutung der "Occupy 
movement" - trotz all ihrer inhaltlichen Defizite: Sie war und ist zum 
Teil noch immer ein breiter sozialer Aufschrei gegen den Kapitalismus 
und seine Klassenstruktur. Marquit kritisierte zu recht die politische 
Perspektivlosigkeit der "Okkupanten", die "sich vor allem auf 
spektakulaere Strassenaktionen konzentrierten". Nicht zustimmen kann 
man/ frau Marquit, dass sich die Occupy movement im Wahlkampf fuer 
Obama haette einsetzen sollen. Notwendig ist vielmehr der Aufbau einer 
starken Linkspartei - in voelliger Unabhaengigkeit von der 
buergerlichen Demokratischen Partei.
Lieferte Cheng Enfu ein realistisches Szenario seines Landes, 
schilderte Jenny Clegg von der University of Central Lancashire 
(Grossbritannien) die Wirtschaftspolitik Chinas gegenueber Afrika 
weitgehend in rosigen Farben.
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Auch der zweite Tag der WAPE-Konferenz, an der ueber 90 Personen aus 
18 Laendern teilnahmen, brachte spannende Diskussionen. Bereits die 
erste morning-session hatte es in sich. Es ging um eine differenzierte 
Einschaetzung der aktuellen Lage in China. Mir oblag die Rolle des 
"Vorreiters" und ich formulierte wenig zurueckhaltend: "China needs a 
radical change of its model." Ich schilderte einerseits die 
betraechtlichen oekonomischen Fortschritte Chinas in den letzten 
Jahrzehnten, erwaehnte jedoch ebenso die enormen sozialen und 
oekologischen Kosten, die damit verbunden waren und sind. Ohne einem 
Katastrophismus das Wort zu reden, unterstrich ich, dass China eines 
einschneidenden Paradigmen-Wechsels bedarf: Zurueckdraengung der 
ueberbordenden "Marktmechanismen", Revalorisierung von partizipativer 
Planung, massive Schritte in Richtung sozialistischer Demokratie. 
Widrigenfalls werden sich die Probleme potenzieren, das nationale und 
internationale Kapital immer staerken werden und die historischen 
Errungenschaften der chinesischen Revolution definitiv in Gefahr 
kommen.
Widerspruch konnte nicht ausbleiben: von ultralinks, wo ueber China 
bereits das Kreuz geschlagen wurde 
("Kapitalistisches/imperialistisches Land") und apologetisch von 
rechts, wo die Sprengkraft der Konflikte geleugnet wurde und ein Mehr 
an Demokratie als fuer China nicht moeglich hingestellt wurde. Pikant 
war, dass die Apologeten eher NICHT aus China, sondern aus 
entwickelten kapitalistischen Laendern kamen!
In der zweiten Vormittags-Sitzung gab es einen Mix mehrerer Themen : 
u.a. die anhaltende Unterentwicklung Lateinamerikas, die aktuelle 
oekonomische und politische Situation in Japan.
Richtig lebendig wurde es, als ein Professor aus Suedkorea sich zum 
Lehrmeister ueber Marx aufschwingen und ihn "ergaenzen" wollte. Die 
Diskussion zeigte , dass er weder die Methode des "Kapitals" 
ausreichend begriffen hatte ("Aufsteigen vom Abstrakten zum 
Konkreten"), noch sich eingehend mit dem Natur-Verstaendnis von Marx 
auseinandergesetzt hatte (siehe etwa die Kritik am 
arbeitsfetischistischen und die Bedeutung der Natur leugnenden Gothaer 
Programm der deutschen Sozialdemokratie).
Das gemeinsame Statement der Konferenz schliesst mit folgender 
kaempferischer Passage: "There is no way of overcoming capitalism 
without a global political, economic, cultural and scientific action 
of the forces inpired by Marx".
Die naechste Jahreskonferenz wird in Hanoi, Vietnam, stattfinden. Ich 
nehme mir fest vor hinzufahren, war doch die Solidaritaet mit dem - 
siegreichen - Befreiungskampf der VietnamesInnen ein praegendes 
Element meiner Jugend.
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> Altersummit in Athen
Am 7.und 8.Juni fand in Athen der ALTERSUMMIT statt. Es wurde in 
zahlreichen Arbeitskreisen diskutiert und ein Manifest verabschiedet. 
Am Samstag Abend gab es eine Grossdemonstration.
Weder am Flughafen gab es einen Info-Tisch des ALTERSUMMIT noch am 
legendaeren Syntagma-Platz, nichts machte auf den wichtigen 
internationalen Treff der Bewegungen, Gewerkschaften und Linken 
aufmerksam.
Waehrend etwa auf dem letzten WSF in Tunis in den Strassen zahlreiche 
Transparente und Plakate auf das Forum hinwiesen und dafuer 
mobilisierten, konnte ich hier nichts Vergleichbares registrieren.
Wichtiger und spannender als das sehr moderate Manifest am Schluss 
waren die Arbeitskreise bzw. das Plenum am Abend. Es gab z.B. eine 
Debatte, die von der Europaeischen Linkspartei organisiert war. 
Asbjoern Wahl von den norwegischen Gewerkschaften lieferte eine 
praezise Analyse der kapitalistischen Krisen und den Versuchen des 
internationalen Kapitals die gesellschaftlichen Verhaetnisse 
grundlegend in seinem Interesse zu aendern. Wahl warnte die 
Gewerkschaften und die Linke auf die schwache Karte des 
Neokeynesianismus zu setzen. In die gleiche Richtung argumentierte Tom 
Kucharz aus Spanien - einer der Hauptorganisatoren des 
Alternativgipfels Rio plus 20 im Vorjahr. Er unterzog die Politik der 
EU einer Fundamentalkritik und unterstrich, dass der gemeinsame Kampf 
von Bewegungen und Linken sich an einem anderen Gesellschaftsmodell 
orientieren muss.
Ein Treffen von ueber 60 GewerkschafterInnen zeigte die relativ starke 
Praesenz der europaeischen Gewerkschaftsbewegung - IG Metall, 
Comisiones Obreras, CGT, belgische und italienische 
GewerkschafterInnen etc. Wer wieder einmal durch Abwesenheit glaenzte 
war der OeGB - dabei hatte die GPA den Aufruf zum Altersummit zu 
kommen mitunterzeichnet....
Bei der nur von sehr schwach besuchten Veranstaltung, auf der das 
Manifest verabschiedet wurde, sah es lange so aus, als wuerde der 
kapitalistische Charakter der Krisen ausgespart bleiben. Dann wagten 
sich jedoch einige aus der Deckung und nannten das Kind beim Namen - 
etwa Urban von der IG-Metall oder der Vorsitzende von Syriza Tsipras.
Beeindruckend war die breite Solidaritaet mit dem Widerstand gegen das 
autoritaere Erdogan-Regime in der Tuerkei.
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Am zweiten Tag des Altersummit gab es eine Reihe von spannenden 
Arbeitskreisen. Der Arbeitskreis "Rechtsextemismus, Neonazismus" fand 
regen Zulauf.
Nach einem Einleitungsstatement von Walter Baier, indem er den 
internationalen Charakter des Anstiegs des Rechtsextremismus hervorhob 
und unterstrich, dass diese Entwicklung nicht losgeloest von den 
Krisen des Kapitalismus gesehen werden kann, entspann sich eine breite 
Debatte. KollegInnen und GenossInnen aus etlichen europaeischen 
Laendern berichteten etwa ueber die Gefahren, die mit dem wachsenden 
Einfluss der offen faschistischen "Goldenen Morgenroete" in 
Griechenland verbunden sind oder die juengste Ermordung eines 
18jaehrigen Gewerkschafters und Antifaschististen. Weitgehende 
Einigkeit herrschte ueber folgende Schlussfolgerungen:
- es bedarf einer vertieften Auseinandersetzung mit den verschiedenen 
Facetten des Rechtsextremismus ("Nicht alle Katzen sind grau"), um ihn 
in seinen verschiedenen Auspraegungen wirksamer bekaempfen zu koennen. 
In Paris wird es im Herbst dazu eine "Studienkonferenz" geben.
- die Netzwerke, die sich dem Kampf gegen den Rechtsextremismus widmen 
(z.B. "International network against the far right"- Spring 2) sollten 
mehr und besser kooperieren bzw. ueberhaupt verschmelzen, um rascher, 
effektiver und GEMEINSAM handeln zu koennen (positives Beispiel: die 
internationalen Mobilisierungen gegen die Versuche der Nazis in 
Dresden durch die Stadt zu marschieren).
Im kommenden Jahr wird es einen gross angelegte internationalen 
Kongress gegen Rechtsextremismus und Neonazismus geben. Als moegliche 
Orte wurden Madrid, Valencia, Berlin und Budapest genannt- wobei es 
eine starke Bevorzugung fuer Budapest gab.
Die abschliessende Demo war klein, aber bunt und lebendig (1350 
Personen). Es gab etliche Absprachen in "den oberen Etagen", was aber 
bekanntlich nicht heisst, dass tatsaechlich breit fuer den Altersummit 
geworben wird. Nicht nur die GPA, die den Aufruf fuer Athen 
unterstuetzt hatte, war nicht praesent. Auch andere "Groessen" 
beliessen es bei Lippenbekenntnissen. Und auch zu vielen Bewegungen 
und linken Organisationen gelang kein Brueckenschlag. Trotz dieser 
Defizite war Athen richtig und wichtig: Jetzt wird es darauf ankommen, 
die dortigen Debatten und Beschluesse in konkrete Aktionen umzusetzen!
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