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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Juni 2013; 00:59
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Oe/Recht:
> OLG hebt Freisprueche im TR-Prozess auf
Demos der TierrechtlerInnen sollen "Noetigung" darstellen
Am Montag erhielten fuenf der Beschuldigten im 
TierrechtlerInnenprozess das schriftliche Urteil ueber die Berufung 
der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt: Saemtlichen Schuldberufungen 
wurde stattgegeben. Die fuenf haben nun einen neuen Prozess in 
1.Instanz zu erwarten. Fuer das Urteil des Dreiersenats waren zwei 
Richterinnen mitverantwortlich, die schon im Juli 2008 mit aehnlichen 
Argumenten wie heute die U-Haftbeschwerde der einsitzenden 
AktivistInnen mit abgewiesen hatten.
Martin Balluch vom "Verein gegen Tierfabriken" (VGT), der selbst unter 
den urspruenglich Beschuldigten war, dessen erstinstanzlicher 
Einspruch aber gehalten hatte, hat auf seinem Blog das Urteil 
analysiert. Hier eine gekuerzte Fassung seines Beitrags:
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Ermittlungsbeginn Oktober 2006, Polizeiueberfall und U-Haft im Mai 
2008, Beginn des Tierschutzprozesses im Maerz 2010, Freispruch im Mai 
2011, Berufung im Juni 2012, jetzt das Urteil des Oberlandesgerichts 
(OLG) Wien dazu im Juni 2013. Die Justizmuehlen mahlen langsam und die 
Angeklagten werden genuesslich darin zerrieben.
Das OLG-Urteil 2008 gegen die Berufung wegen der U-Haft
Die Richterinnen Ingrid Jelinek und Christine Schwab vom OLG Wien 
waren fuer unsere Beschwerde gegen die U-Haft zustaendig. In einem 
Urteil vom 16. Juli 2008 erklaeren sie diese fuer voellig 
gerechtfertigt. Dabei gingen sie ungeniert von der Existenz einer 
kriminellen Organisation im Tierschutz aus. Zu meiner Beschwerde, 
keine Akteneinsicht zu bekommen, steht lakonisch im Urteil: Die 
behauptete Gesetzwidrigkeit kann nach gewissenhafter Pruefung der 
davon umfassten Gerichtsstuecke durch das OLG Wien nicht ersehen 
werden. Doch in den folgenden 3 Jahren gab es 3 Urteile des 
Landesgerichts Wr. Neustadt gegen die Polizei, weil sie mir keine 
Akteneinsicht gegeben hatten. Tatsaechlich kamen aus den polizeilichen 
Ermittlungsakten spaeter zahlreiche Entlastungsbeweise zutage, wie 
z.B. die Spitzelberichte, die letztlich zu meinem Freispruch gefuehrt 
haben.
Waehrend ich in U-Haft sass, waren sich die beiden Richterinnen 
sicher, dass wir Angeklagte eine kriminelle Organisation bilden, dass 
wir volle Akteneinsicht haben und dass wir zu einer hohen Haftstrafe 
verurteilt werden. Der Freispruch hat die beiden widerlegt. Und 
trotzdem stehen dieselben beiden Namen Ingrid Jelinek und Christine 
Schwab unter dem nun vorliegenden Urteil im Berufungsverfahren zum 
Freispruch. Befangenheit? Nein, der OLG-Praesident sieht keine 
Veranlassung, an der Objektivitaet der beiden Richterinnen zu 
zweifeln!
Und jetzt liest sich dieses Urteil im Berufungsverfahren zum 
Freispruch nicht anders als das im Berufungsverfahren zum Hafturteil. 
Das Gericht hat ausnahmslos alle Teile des Urteils, gegen die der 
Staatsanwalt Wolfgang Handler berufen hat, aufgehoben! Dazu gehoert 
allerdings zum Glueck nicht der Vorwurf der kriminellen Organisation, 
das wusste das Justizministerium zu verhindern.
Es gibt kleine Nebendelikte, die die Staatsanwaltschaft noch als 
Straftaten anfuehrt, obwohl sie voellig nebensaechlich sind. Dazu 
gehoert das Zerschneiden von Werbeplakaten zu einer Reptilienboerse, 
das Einschlagen eines Klofensters einer Gastwirtschaft ohne Bezug zum 
Tierschutz (dort soll es ein rechtsradikales Treffen gegeben haben) 
und "Widerstand gegen die Staatsgewalt", d.h. ein Tierschutzaktivist 
hat waehrend einer Pelzmodeschau ein Anti-Pelz Plakat hochgehalten, 
sollte dafuer festgenommen werden und ist davor davon gelaufen.
Dazu gibt es noch das Delikt "Tierquaelerei" gegen den damaligen 
Kampagnenleiter der Vier Pfoten wegen einer Schweinefreilassung. Dem 
Mann war die Tat nicht nachzuweisen und der Freispruch im 
Tierschutzprozess sah auch den fuer Tierquaelerei notwendigen Vorsatz 
nicht gegeben. (Anm. akin: Die freigelassenen Tiere gerieten durch die 
Aktion in Panik, dabei starben einige davon.)
Legale Kampagne als Noetigung
Doch der zentrale Aspekt der Berufung im jetzigen Urteil ist der 
Vorwurf der schweren Noetigung: Die Firmen Kleider Bauer, Fuernkranz 
und Escada hatten gegenueber ihren KundInnen die Herkunft einiger 
ihrer Produkte verheimlicht, worauf NGOs diese Herkunft recherchierten 
und den Firmen die Aufklaerung ihrer KundInnen ankuendigten, sollten 
sie die betroffenen Produkte nicht auslisten. Das Gericht fuehrt dazu 
aus, dass Informationskundgebungen eine Geschaeftsschaedigung 
darstellen: "Nicht anders ist ein aufgrund von einer Versammlung 
bewirkter Entschluss von Konsumenten auf Abstandnahme vom Kauf zu 
sehen, welcher Umsatzeinbussen bewirken kann". Also sei die 
Ankuendigung einer Informationsversammlung vor KonsumentInnen eine 
gefaehrliche Drohung: "Es waere zu eng, eine solche Drohung nur dann 
anzunehmen, wenn ein Vorgehen in Aussicht gestellt wird, welches 
selbst als Vermoegensdelikt im Strafgesetzbuch typisiert ist. [...] 
Auch eine Boykottdrohung [...] ist eine Bedrohung mit der Verletzung am 
Vermoegen: denn der Betroffene wuerde dadurch fuer die Zukunft die 
Grundlage seiner vermoegensrechtlichen Stellung verlieren, mag die 
Realisierung einer solchen Drohung selbst auch unter keinen Tatbestand 
der Vermoegensdelikte fallen".
Und aus dieser "gefaehrlichen Drohung", die KonsumentInnen zu 
informieren, wird eine Noetigung: "Zutreffend verweist die Berufung 
[von Staatsanwalt Handler] [darauf], dass der Angeklagte es ernstlich 
fuer moeglich gehalten und sich damit abgefunden habe, durch die 
Ankuendigung der Kampagne mit Umsatzeinbussen im Rahmen von haeufigen 
Demonstrationen [...] mit einer Verletzung am Vermoegen zu drohen, um 
beide Unternehmen zum Ausstieg aus dem Pelzhandel zu veranlassen, er 
jedoch keine Offensive permanenter schwerer Straftaten gegen das 
Unternehmen ankuendigen wollte. [...] Die Ankuendigung von legalen 
Demonstrationen [...], die geeignet ist, einem Unternehmen nicht 
unwesentliche Umsatzeinbussen zu bescheren [...], ist daher als Drohung 
mit einer Verletzung am Vermoegen, somit als gefaehrliche Drohung zu 
qualifizieren und stellt daher ein geeignetes Noetigungsmittel [...] 
dar."
Doch: "Nach § 105 Abs 2 Strafgesetzbuch ist eine das Tatbild 
erfuellende Noetigung dann nicht rechtswidrig, wenn die Anwendung 
[der] Drohung als Mittel zum angestrebten Zweck nicht den guten Sitten 
widerstreitet. [...] Gegen die guten Sitten verstoesst, was dem 
Rechtsgefuehl der Rechtsgemeinschaft, das ist aller billig und gerecht 
Denkenden, widerspricht. [...] Schwieriger zu beurteilen sind jene 
Faelle, bei denen sowohl der Einsatz des Mittels als auch die 
Erreichung des Zwecks von der Rechtsordnung her erlaubt scheint, sich 
aber die Frage stellt, ob gerade dieses Mittel zur Erreichung des 
angestrebten Zwecks eingesetzt werden durfte. [...] Selbst fuer den nach 
der heutigen Wertung der Rechtsgemeinschaft nicht als rechtswidrig 
bewerteten Streik bedarf es einer Pruefung der eingesetzten Mittel, 
der angestrebten Ziele und der Mittel-Zweck-Relation."
Und dann argumentiert das Gericht noch, dass die Forderung zum 
Pelzausstieg vielleicht sittenkonform gewesen waere, wenn man die 
Kritik auf Pelze aus nicht-artgerechter Tierhaltung eingeschraenkt 
haette, aber: "Der angekuendigten Aktion sind einschraenkende 
Vorgaben, etwa auf den blossen Handel mit Erzeugnissen aus 
artgerechter Tierhaltung, [...] nicht zu entnehmen. Auf die angestrebte 
Unterlassung des gesamten Handels mit Pelzprodukten [ohne 
Einschraenkung auf nicht-artgerechte Tierhaltung], wie auch ganz 
allgemein auf die Ausgestaltung des (sich innerhalb des gesetzlichen 
Rahmens haltenden) Warensortiments als Ausfluss der Autonomie des 
Unternehmers, besteht aber kein Rechtsanspruch unternehmensfremder 
Personen."
Das Gericht erklaert also, dass es sittenwidrig und damit schwere 
Noetigung sei, von einem Unternehmen zu verlangen, es solle aus allen 
Pelzprodukten aussteigen. Es gibt keine artgerechte Pelztierhaltung, 
sonst waere die Pelztierhaltung nicht vollstaendig gesetzlich verboten 
worden. Aber das Gericht hat seine eigene Ansicht von Tierschutz, die 
sie uns TierschuetzerInnen aufzwingen wollen. Etwas spaeter 
konstatieren sie sogar, dass Tierschutz und politischer Aktivismus 
nichts miteinander zu tun haetten.
Die Konsequenzen
Letztlich bedeutet diese Rechtsansicht, dass eine Konsumentin eine 
Firma nicht anschreiben darf und sagen, dass sie dort nicht mehr 
einkaufen werde, solange diese Firma weiter Pelz verkaufe (oder nicht 
fair-trade Produkte, oder Produkte aus Sweatshops, oder nicht 
nachhaltige etc.), ohne eine Noetigung zu begehen und potentiell 
dafuer jahrelang ins Gefaengnis gehen zu muessen.
Der Hintergrund dieser neuen Rechtsansicht ist aber klar: Jelinek und 
Schwab haben ja schon in ihrem ersten Urteil von Juli 2008 deutlich zu 
verstehen gegeben, was sie von Tierschutzaktivismus halten. Der 
Freispruch und die Sympathiewelle in der Oeffentlichkeit mit der 
entsprechenden Kritik an der Justiz ist ihnen offenbar auf den Magen 
geschlagen.
Sollte Oesterreich wirklich so provinziell sein, dass selbst die 
Hoechstgerichte ihre persoenlichen Befindlichkeiten ausleben und an 
sozialen Bewegungen auslassen, die ihnen persoenlich nicht passen, 
dann bleibt nur der Weg zum Europaeischen Gerichtshof fuer 
Menschenrechte. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass 
der diese Idiotie auch nur eine Sekunde lang erwaegen muss.
Abgesehen davon begehen wir beim VGT solche "Noetigungen" andauernd, 
heuer z.B. gabs wieder eine Kampagne gegen Eybl wegen deren 
Pelzverkaufs. Deshalb werde ich mich selbst anzeigen und ich wuerde 
mich freuen, wenn andere diesem Beispiel folgen, z.B. Personen, die 
Firmen ankuendigen, bei ihnen nicht mehr einzukaufen, solange sie Pelz 
oder andere ethisch fragwuerdige Produkte im Sortiment fuehren.
(gek.)
Volltext: http://www.martinballuch.com/?p=2707
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