**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Mai 2013; 23:56
**********************************************************

Debatten:

> Abtanzen, absaufen, abschieben

Zu den Wickeln bei der Mayday-Parade

Mehr als 1000 Teilnehmer_innen beteiligten sich am 1. Mai 2013 an der
Wiener Mayday-Parade der Prekarisierten, bei der neben den Problemen
mit neuen Arbeits- und Lebensverhaeltnissen sowie alten prekaeren
Arbeitsverhaeltnissen in Haus- und Carearbeit auch die Situation von
Asylwerber_innen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerueckt werden
sollten. Die Wahl der Route, die inhaltliche Vorbereitung, akustische
Beitraege und ein umfassender Demoreader liessen eigentlich das Beste
erwarten. Letztendlich scheiterte das Konzept an Polizeiprovokationen,
anscheinend rassistisch motivierten Festnahmen abseits der Demo,
versagenden Kommunikationsstrukturen innerhalb der Demo sowie Sauf-
und Partypraeferenzen mancher Teilnehmenden. Gemeinsames politisches
Agieren war dann, als es noetig war, nicht mehr moeglich.

Dabei hat es eigentlich ganz gut begonnen. Dass die Demo wieder viel
zu spaet loszog, ueberraschte ohnehin schon nicht mehr sonderlich.
Dass der KSV-LiLi-Bus vorne die Parade dermassen bremste, dass
absehbar wurde, dass das Ziel wohl nur mehr von einem Bruchteil der
Teilnehmer_innen und nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit erreicht
werden koenne, war laestig, aber noch nicht uebertrieben aergerlich.

Als schon bald nach dem Losziehen der Parade eine Clowns-Army-Truppe
ungefaehr an der Ecke Alser Strasse / Lange Gasse kurz nach Verlassen
der Demo von der Polizei aufgehalten und eingekesselt wurde, gelang
es, die anderen Demonstrant_innen rasch zu informieren. Der
traktorgezogene Bauwagen der Wagenburg Gaensebluemchen im hinteren
Teil der Parade stoppte. Ein grosser Teil der Demonstrant_innen
bewegte sich zurueck zur Alser Strasse. Davon sichtlich ueberrascht,
loeste die Polizei den Kessel auf und die Clowns konnten sich - ohne
Identitaetsfeststellungen unterzogen zu werden - wieder frei bewegen.

Als bei der Votivkirche zufaellig beobachtet wurde, dass ein Mann von
der Polizei festgehalten wurde, stoppte die Parade neuerlich.
Zahlreiche Demonstrant_innen zogen zum Schauplatz der Polizeiaktion.
Es stellte sich heraus, dass ein papierloser Refugee angehalten wurde,
weil ihm vorgeworfen wurde, dass er an die Mauer der Votivkirche
uriniert haben soll. Obwohl die Verwaltungsstrafe gezahlt wurde,
dauerte es geraume Zeit und bedurfte es wohl auch der Beobachtung der
Demonstrant_innen, bis bzw. dass der Mann freigelassen wurde.

Die Freiheit waehrte aber nur kurz. Nachdem die Parade weitergezogen
war, wurden hinter der Votivkirche zwei Refugees und zwei weitere
Personen festgenommen. Nach unbestaetigten Informationen war unter
anderem wieder jener Mann, dem zuvor vorgeworfen worden war, uriniert
zu haben, Ziel der Polizeiaktion. Diesmal lautete der Vorwurf
"versuchte schwere Sachbeschaedigung". Der Polizei-Einsatzleiter soll
laut mayday-wien.org erklaert haben, dass beim Versuch ein Polizeiauto
aufzuhalten, eine Antenne beschaedigt worden sei. Bei welchem Fahrzeug
genau, sei aber unklar. Es wuerden noch alle Fahrzeuge durchgefunkt,
um festzustellen, ob die Sachbeschaedigung ueberhaupt stattgefunden
habe, so der Einsatzleiter laut mayday-wien.org. Personen, die den
Einsatz filmen wollten, wurden von Polizist_innen daran gehindert.

Auch bei dieser Polizeiaktion gelang es, die Demo von dem Vorfall
rasch zu informieren. Wieder stoppte die Parade. Ueber Lautsprecher
wurden zumindest im hinteren Teil die Teilnehmer_innen informiert. Und
wieder versuchten Demonstrant_innen, sich zurueck zum Schauplatz der
Polizeiaktion zu bewegen. Die Polizei zog allerdings rasch eine
Sperrkette auf und verhinderte ein Umkehren der Demonstration.

Ein Grossteil der Demonstrant_innen bekam von alledem gar nichts mit,
weil im vorderen Teil der Parade, am KSV-LiLi-Bus, einfach weiter
Musik gespielt und keine Information weitergegeben wurde sowie die
Informationen aus dem hinteren Teil der Parade schlichtweg mit
Technosound uebertoent wurden.

Hinten versuchten Parade-Organisator_innen die Situation zu erklaeren.
Sie gaben die mittlerweile bestaetigten Informationen weiter und luden
ein, ueber die weitere Vorgehensweise zu beraten, da die Polizei damit
drohte, die Versammlung aufzuloesen, wenn nicht weitergezogen werde.

Es setzte sich die Ansicht durch, dass es besser sei, die Parade
fortzusetzen, da die Festgenommenen bereits abtransportiert worden
waren, stehenzubleiben nichts mehr gebracht haette, und jeglicher
weitere Interventionsversuch nur zu einer Gefaehrdung weiterer
Demonstrant_innen gefuehrt haette, nicht zuletzt weil ein
betraechtlicher Teil der eher an Party als an Politik Interessierten
dermassen alkoholisiert war, dass keine sinnvollen Aktionen mehr
moeglich schienen.

Die Party ging vor allem beim KSV-LiLi-Bus also weiter, so als ob
nichts geschehen waere. Statt Auflehnung gegen die Polizei gab es
sexistische Poebeleien gegen weibliche Polizistinnen in den vordersten
Reihen. Das Servitenkloster, das derzeitige Zentrum der
Refugee-Protestbewegung, wurde von der Partyfraktion tanzend
ignoriert. Wieder nur ganz hinten in der Parade wurde letztlich doch
den Refugees mit Parolen Solidaritaet bekundet und mit einem
Redebeitrag die aktuelle Situation der massiv von Abschiebung
bedrohten Aktivist_innen thematisiert.

Am Polizeianhaltezentrum Rossauer Laende wurde vom ganzen Demozug
wortlos vorbeigezogen oder vorbeigetanzt, und das obwohl immer noch zu
befuerchten war, dass zumindest einer der bei der Votivkirche
festgenommenen Refugees in Schubhaft genommen werde.

Gegen 21 Uhr traf die Mayday-Parade am geplanten Endpunkt beim
Augartenspitz ein. Fuer die fuer 18 Uhr geplante Begruessung durch
Aktivist_innen, die vergebens gegen den Bau des nun zynisch "Muth"
benannten Saengerknaben-Konzerthauses gekaempft hatten, aber gegen
weitere Verbauungen aktiv bleiben wollen, war es schon zu spaet.

Ein Teil der Parade zog noch weiter zum Strassenfest der
raeumungsbedrohten besetzten "PizzariA" in der Muehlfeldgasse. Der
Rest loeste sich auf.

Fast ausschliesslich die Rechtshilfe unterstuetzte unterdessen weiter
die Festgenommenen. Um Mitternacht konnte gemeldet werden, dass alle
wieder freigelassen worden seien. Die Verfahren wegen des Vorwurfs der
Sachbeschaedigung duerften aber weiterlaufen.

Unter anderem ueber Twitter wurde in der Folge verstaerkt Kritik am
Mayday-Konzept laut. Auf mayday-wien.org wird eine Nachbesprechung
angekuendigt. Ausserdem werden Zeug_innen der Polizeiaktion
aufgerufen, sich zu melden.

Dass die Informationsfluesse an die Paradenteilnehmer_innen wieder nur
teilweise funktionierten, lag unter anderem daran, dass nur von einem
Wagen direkte Durchsagen gemacht werden konnten. Um Infos gleichzeitig
ueber alle Waegen zu verbreiten, waere ein Funksystem noetig gewesen,
das es schlicht und einfach nicht gab. An der Vorbereitung der Parade
hatten sich viel zu wenig Personen beteiligt, sodass die
Verbesserungen gegenueber dem letzten Jahr eigentlich ohnehin schon
beachtlich waren. Die meisten Teilnehmer_innen schienen die Parade
einfach nur konsumieren zu wollen. Politische Aktivitaet schien nicht
sonderlich zu interessieren. Diejenigen, die das bereits im Vorfeld
befuerchtet und kritisiert hatten, beteiligten sich
verstaendlicherweise ohnehin nicht mehr an der Vorbereitung. Die
Frage, ob unter diesen Bedingungen das Konzept weiter verfolgt werden
soll, steht somit unuebersehbar im Raum. Etwa in der Form eines
Tweets: "wenn langsam-froehlich-trunkene paraden mit festnahmen enden,
hey, warum nicht gleich riots?"
(nochrichten.net)

*

Aus der Stellungnahme von *KSV-LiLi* dazu:

Zur Situation mit den gekesselten Clowns: Der Demozug ist in dieser
Situation in den schmalen und kurzen Strassen bei der
Caritas-Asylant_innenberatung in der Naehe des Campus gewesen. So kam
es zur Situation, dass die Haelfte der Teilnehmer_innen (genauso wie
wir), erst spaet erfahren hatten, was sich ein bis zwei Ecken hinter
uns abspielt. Zurueckfahren konnten wir angesichts dieser Situation
nicht, so vereinbarten wir mit den anderen Waegen, bei der
Zwischenkundgebung in der Sensengasse zu warten. Wir teilten im Rahmen
unserer Moeglichkeiten allen Personen in unserem Umfeld mit, was
geschehen ist. Diese haben sich dann auch auf den Weg zurueck
gemacht - dabei kam ihnen die restliche Demo bereits entgegen.

Auch als sich bei der Votivkirche eine kritische Situation ergeben
hat, haben wir die Musik abgedreht und den Teilnehmer_innen an unserem
Wagen mitgeteilt, was sich zugetragen hat. Wenig spaeter in der
Maria-Theresien-Gasse, als der gesamte vordere Teil der Demo gekesselt
wurde und dabei von dem hinteren Teil getrennt wurde, haben wir ebenso
reagiert. Der Einsatzleiter stellte die Demoleiter_innen vor die Wahl:
Entweder Aufloesung oder Weiterziehen. Die Entscheidung zum
Weiterziehen wurde von allen beteiligten Waegen und der Demoleitung
gemeinsam getroffen. Die Situation in der Strasse direkt hinter der
Bundespolizeidirektion war kritisch fuer alle Teilnehmer_innen, im
Besonderen jedoch fuer die Refugees.

Das Vorbeiziehen am Schubhaftgefaengnis bei der Rossauer Laende war
eine Entscheidung der Demoleitung. Wie uns mitgeteilt wurde, sollte
der Schritt zur Deeskalation gegenueber der aggressiv agierenden
Polizei dienen. Beim Servitenkloster wurde uebrigens ebenfalls der
Audiobeitrag der Organisator_innen abgespielt - nur leider, wie schon
zuvor - war es nicht moeglich, das koordiniert mit den anderen Waegen
zu tun.

*

Quelle der nochrichtenkritik und das komplette Statement von KSV-LiLi:
http://nochrichten.net/?p=1446



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.redaktion@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin