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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. Mai 2013; 00:01
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Debatten:
> Schweres Geschuetz gegen das Grundeinkommen
Schweres Geschuetz gegen das Grundeinkommen faehrt Bruno Kern in 
kritisches-netzwerk.de auf. Er attackiert die Befuerworter aus linker 
Perspektive, wie er meint. "Bedingungsloses Grundeinkommen: die 
infantile Schlaraffenlandmentalitaet einiger 'Linker'" heisst sein 
Beitrag.
Die Befuerworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) nennt er 
systemstabilisierend und reaktionaer. Kern nennt kein konkretes 
Modell, gegen das sich seine Kritik wendet. Schon die Grundidee 
erscheint ihm anruechig.
Kerns wichtigster Vorwurf lautet: Nur in einer kapitalistischen 
Wachstumswirtschaft ist ein bedingungsloses Grundeinkommen 
finanzierbar, nur eine kapitalistische "Ueberflussgesellschaft" koenne 
die Mittel fuer ein Grundeinkommen bereitstellen. Ein BGE widerspreche 
daher sozialen und oekologischen Erfordernissen. Es stabilisiere 
Wachstumswahn und Kapitalismus.
Das ist im Kern falsch. Ein bedingungsloses Grundeinkommen beruht zwar 
auf Arbeit und Taetigsein der Menschen, aber nicht zwangslaeufig auf 
einer kapitalistischen Wachstumswirtschaft. Das bedingungslose 
Grundeinkommen ist sogar ein moeglicher Ansatz, eine kapitalistische 
Wachstumswirtschaft einzudaemmen und zusammen mit anderen Massnahmen 
auszuhebeln.
Kern scheint zu meinen, durch das Grundeinkommen wuerde in Summe mehr 
Nachfrage nach Guetern entstehen, und es muesste daher noch mehr 
Wachstum generiert werden. Das ist Unfug. Das bedingungslose 
Grundeinkommen sorgt fuer eine Umverteilung der Kaufkraft, nicht fuer 
ein Anwachsen. Die oberen Einkommensklassen - je nach BGE-Modell 
10-20% der Bevoelkerung - wuerden bei einem zu versteuernden 
Grundeinkommen Kaufkraftverluste erleiden, die mittleren haetten 
leichte Vorteile, vor allem aber die unteren Einkommensschichten 
waeren beguenstigt.
Die Nachfrage bliebe in Summe gleich, es wuerde sich aber die Art der 
Nachfrage aendern. Je nach BGE-Modell wuerden zum Beispiel in 
Deutschland jaehrlich 40 bis 60 Milliarden Euro von den 15% Reichsten 
"wegwandern" zum Rest der Bevoelkerung, vor allem zur aermeren 
Haelfte.
Um es bildhaft auszudruecken: Statt zwei Porsche stuende nur noch 
einer in der Villengarage, statt dreimal koennten Bestverdiener "nur" 
noch zweimal pro Jahr in die Karibik jetten, statt 30.000 Euro nur 
noch 15.000 Euro verzocken. Statt zwei Brillant-Colliers gaebe es nur 
noch eines zu Weihnachten.
Dafuer koennten bisher klamme Alleinerziehende ihren Kindern 
Musikunterricht finanzieren oder fuer eine fuenfkoepfige 
Arbeiterfamilie waere auch Bio-Kost leistbar. Nochmals. Durch das 
bedingungslose Grundeinkommen wird das BIP nicht erhoeht, sondern das 
Wirtschaften wird umgelenkt, weg von Luxusguetern vor allem hin zu 
Guetern und Dienstleistungen des taeglichen Bedarfs. Sicher: Nicht 
jeder Euro, der von den Reichsten zu den Aermeren wandert, wird in 
nachhaltige Aktivitaeten fliessen, aber die meisten.
Luxus und Spekulation, zerstoererische Ressourcenverschwendung werden 
zum Grossteil ersetzt durch nachhaltige Gueter und Aktivitaeten, die 
fuer mehr Lebensqualitaet sorgen. Finanziert werden weniger 
Champagnerkellner und Golfhotels, dafuer mehr Kinderbetreuung, mehr 
Biobauern, mehr Pflege- und Lehrkraefte. Dadurch werden Menschen und 
Natur entlastet.
Das genau scheint Bruno Kern zu bezweifeln. Er unterstellt den meisten 
BGE-Beguenstigten in paternalistischem Duenkel, sie wuerden das von 
den Reichsten abgezwackte Geld fuer "Tand und Troedel" ausgeben. Nun 
liesse sich diese Sorge einfach eindaemmen, zum Beispiel, indem ein 
Drittel des BGE-Betrags in Form von Gutscheinen ausgehaendigt wird, 
die nur in Laeden einloesbar sind, die sozial und oekologisch 
vertraegliche Waren anbieten. Doch fuer Bruno Kern kommen solche 
Halbheiten nicht in Frage.
Er meint, die Menschen muessten sich ganz allgemein an Askese 
gewoehnen, weil die Ressourcen immer knapper werden. Fast hat man den 
Eindruck, Kern findet es ganz gut, dass es bei 50 bis 60% der 
Bevoelkerung immer knapper zugeht, denn so lernen sie sparen. Mit 
einem Grundeinkommen koennten diese Habenichtse ja Ressourcen 
verschwenden.
Kern hat, wie gesagt, nicht begriffen, dass eine Umverteilung ueber 
das BGE nicht zu mehr Wachstum fuehrt, sondern verschwenderische 
Produktion zurueckfaehrt. Mehr als sein Rechenfehler irritiert aber 
sein Gesellschafts- und Menschenbild.
Kerns Sicht der Unterschicht koennte aus den Medienkuechen von RTL 
oder SAT1 stammen. Es scheint, Kern haelt die Mehrzahl dieser Menschen 
fuer hoffnungslos konsumorientiert.
Kern unterstellt zudem, dass zu viele Menschen prinzipiell nicht 
arbeiten wollen und sich vor gesellschaftlich notwendiger Arbeit 
druecken wuerden, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gaebe. Im 
Klartext formuliert meint Kern: Wenn wir allzuviele Faulenzer 
"alimentieren" muessen, haben wir nicht genug Geld, um notwendige 
gesellschaftliche Arbeit, wie zum Beispiel in der Pflege, besser 
aufzuteilen oder zu bezahlen.
Er konstruiert einen Gegensatz, den es nicht gibt, so wenig wie das 
Heer der Faulenzer. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen koennte 
eine Pflegekraft ihre Wochenstundenzahl von 40 auf 25 reduzieren und 
haette dennoch ein hoeheres Einkommen als zuvor. In die Bresche 
wuerden Menschen springen, die sich 20 oder 25 Stunden Pflege 
woechentlich zutrauen, nicht aber 35 oder 40 Stunden.
Wieso blendet Kern diese Moeglichkeit aus? Das hat ideologische 
Gruende.
Kern singt ganz undifferenziert das Hohelied der Arbeit und beruft 
sich dabei auf Marx. "Die Menschen beziehen sich gesellschaftlich (!) 
aufeinander durch Arbeit", so betont Kern. Warum sie mit einem 
Grundeinkommen ploetzlich nicht mehr arbeiten, nicht mehr taetig und 
auch nicht mehr aufeinander bezogen sein sollen, erlaeutert er nicht. 
Er fuerchtet, durch ein Grundeinkommen koennten die Beguenstigten zu 
egozentrischen Individualisten mutieren, sich vereinzeln und 
entsolidarisieren.
Das Gegenteil ist eher wahrscheinlich. Wenn Menschen nicht mehr 
ausschliesslich von Lohnarbeit abhaengig sind, koennen sie ein 
staerkeres Selbstwertgefuehl, mehr Widerstandsgeist und Courage 
entwickeln, die Grundlage gelebter Solidaritaet.
Kern beruft sich zwar auf Marx, er vergisst aber, dass Marx sehr genau 
unterscheidet zwischen entfremdeter Arbeit und Arbeit als Taetigkeit, 
durch die der Mensch sich verwirklicht. Marx peilt nicht die 
Verewigung entfremdeter Arbeit an, sondern ihre Abschaffung.
Und genau dorthin kann ein bedingungsloses Grundeinkommen fuehren. 
Menschen mit einem ausreichenden Grundeinkommen im Ruecken koennen es 
sich risikoloser leisten, gegen miserable Arbeitsbedingungen 
aufzubegehren. Sie muessen keine Angst haben, vor dem existentiellen 
Nichts zu stehen, wenn sie ihren Job verlieren. Sie sind weniger 
erpressbar, koennen sich alternative Taetigkeiten suchen, sich 
zusammentun, leichter ein Projekt gruenden, von der Reparaturwerkstatt 
bis zum Pflegeservice.
Menschen mit einem ausreichenden Grundeinkommen koennen befreiter fuer 
ihre Angehoerigen und Freunde, fuer das Gemeinwohl oder an einer 
Umgestaltung der Gesellschaft arbeiten als Menschen, die zu prekaerer, 
entfremdeter Arbeit und Konkurrieren um Arbeitsplaetze verdammt sind.
Da Kern die Marxsche Unterscheidung zwischen entfremdeter Arbeit und 
Arbeit als grundaetzlicher Gattungstaetigkeit ungenuegend bis gar 
nicht beruecksichtigt, geraet er mit seiner unkritischen 
Glorifizierung von Arbeit schlechthin auf die schiefe, um nicht zu 
sagen totalitaere Bahn. Deshalb verwundert es nicht, dass Kern gegen 
Ende seines Aufsatzes sich voellig vergaloppiert. Er verdaechtigt 
"nicht wenige Verfechter" des bedingungslosen Grundeinkommens einer 
"parasitaeren Mentalitaet", rueckt sie in die Naehe der neoliberalen 
"Abzockergesellschaft".
Es gibt in Wien viele Aktivisten und Befuerworter eines 
bedingungslosen Grundeinkommens, ich kenne mehrere Dutzend von ihnen. 
Keine einzige, kein einziger ist auch nur im Ansatz mit "parasitaerer 
Mentalitaet" behaftet. Im Gegenteil. Diese Menschen sind aeusserst 
engagiert, stecken sehr viel Arbeit in vielerlei Aktivitaeten fuer das 
Gemeinwohl. Sie wollen, dass der Druck und die Angst aus den Betrieben 
verschwindet, dass Menschen auf Dauer der groessten Existenznot 
entkommen und nicht auf Aemtern um Almosen bangen und betteln muessen.
Hinter Kerns Verdaechtigungen gegen die Verfechter eines 
bedingungslosen Grundeinkommens steckt die Saga von den Faulenzern, 
wie sie in den Koepfen vieler Erzreaktionaere herumspukt. "Infantil", 
"Schlaraffenland", "parasitaere Mentalitaet". Kerns Einstufung des BGE 
erinnert an die Auslassungen von Clement, Schroeder, Westerwelle zum 
selben Thema.
Links ist das nicht, sondern rechts-konservativ.
(Zbigniew Menschinski auf tantejolesch.at)
*
Quelle: http://www.tantejolesch.at/tjtrue.php?href1file=contra
Bruno Kerns Thesen:
http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/bedingungsloses-grundeinkommen-die-infantile-schlaraffenlandmentalitaet-einiger-linker
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Eine Reaktion aus der akin-Redaktion:
> Eigentlich bin ich ja fuers BGE, aber...
Aus durchaus persoenlichen Gruenden - ich war mit 55 kurzfristig von 
Arbeitslosigkeit bedroht - bin ich fuers BGE. Menschen wie mir, die 
nach einem Arbeitsleben von 35 Jahren vom Arbeitslosengeld und spaeter 
von der Notstandshilfe oder vom Partnereinkommen leben sollen, haette 
es einiges an Unbehagen erspart. Ausserdem glaub ich, dass es in einem 
reichen Land wie Oesterreich genug Geld geben muss, um allen Bewohnern 
ein gutes Leben zu ermoeglichen (= infantile 
Schlaraffenlandmentalitaet).
Trotzdem halte ich die Kritik von Z. Menschinski an Bruno Kern fuer 
naiv bis romantisch. Woher nimmt Menschinski die Sicherheit, dass die 
Masse der BGE-BezieherInnen das Einkommensplus fuer nachhaltige 
Produkte und Dienstleistungen ausgeben wird wie Bionahrung oder 
Kunsterziehung? Wovon traeumen denn die Menschen, die sich nur ganz 
wenig leisten koennen? Von Biokost und Klavierunterricht? Oder von 
Karibikurlaub all inclusive und einem BMW? Wenn ich wenig Einkommen 
und viel Arbeit haett, wuerde ich auch von einem Karibikurlaub 
traeumen, weil Nixtun einfach der groesste vorstellbare Luxus fuer 
Mehrfachmuetter mit Job und Macho zuhause ist. Und weil der BMW oder 
Mercedes dem Macho das bisserl Selbstbewusstsein gibt, das er zum 
Ueberleben in einer Gesellschaft braucht, die Menschen nach ihrem 
fahrbaren Untersatz beurteilt, wird er sein BGE doch nicht in so 
"unsichtbare" Sachen stecken wie einen Literaturkurs oder Feng Shui.
Menschinski geht davon aus, dass das BGE den Kapitalismus aushebelt 
"zusammen mit anderen Massnahmen" (welchen denn???) und dass 
gleichzeitig der Neue Mensch - solidarisch, bildungsbeflissen, 
emanzipiert und oekologisch usw. - quasi aus dem Nichts entstehen 
wird. Diese Hoffnung kennen wir schon - hat schon einmal nicht 
funktioniert. Die Veraenderung des Menschen durch die Veraenderung der 
gesellschaftlichen Verhaeltnisse geht nicht so schnell und vor allem 
nicht so automatisch, wie Menschinski glaubt. Er meint, dass die 
Menschen, mit denen er fuer das BGE kaempft, die Realitaet abbilden. 
Sie sind aber nur ein ganz kleiner Teil derselben.
Die Menschen, die fuers BGE kaempfen, die sind eine kleine achtbare 
Elitetruppe. Die Menschen, die vom BGE profitieren wuerden, haben 
einen ganz anderen Hintergrund, daher meine Skepsis. Im uebrigen halte 
ich die Ausgabe von Gutscheinen fuer Waren aus dem Bio-Supermarkt und 
aehnliche Massnahmen fuer mindestens so paternalistisch wie das, was 
Z. Menschinski dem kritisierten Kern vorwirft.
Trotzdem bin ich fuers BGE, ganz einfach weil ich die Hoffnung noch 
nicht aufgeben will, dass es den "Neuen Menschen" doch noch geben 
koennte. Und weil ich will, dass es allen so gut geht. wie es mir 
geht, weil ich zufaelig Glueck gehabt. hab.
*Ilse Grusch*
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