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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. Mai 2013; 16:42
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Soziales:
> Zwischen Ratlosigkeit und Aufruhr
Lebendig bis leicht turbulent ging es letzte Woche im 
Wirtschaftsmuseum zu. "Vom Europa der Krise zum Europa der 
Beschaeftigung" lautete das Thema. Das Online-Magazin *Tante Jolesch* 
berichtet darueber:
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Der Saal war voll, die Luft war schwer und dampfend, nicht nur wegen 
des Wolkenbruchs vorher. Rund 200 Zuhoerer hatten den Weg zur 
Veranstaltung gefunden. Auf dem Podium diskutierten Sozialminister 
Rudolf Hundstorfer, Gabriele Matzner-Holzer, vormals oesterreichische 
Botschafterin in London, und Josef Woess, Abteilungsleiter 
Sozialpolitik der Arbeiterkammer. Der ebenfalls eingeladene 
Wirtschaftsprofessor Erich Streissler war aus unbekannen Gruenden 
verhindert.
Das Podium referiert
Minister Hundstorfer schilderte in seinem Eroeffnungsreferat die Lage 
in Europa. 26 Millionen Arbeitslose gibt es in der EU, das entspricht 
einer Quote von 12% -- Tendenz weiter steigend. Vor allem die 
Jugendarbeitslosigkeit sei erschreckend hoch. Sie betraegt in manchen 
Laendern ueber 50%. Verglichen damit sei die Lage in Oesterreich 
positiv zu beurteilen. Er fuehrte das auf die Sozialpartnerschaft und 
das duale Ausbildungssystem zurueck. Allerdings habe Oesterreich nicht 
alles selbst in der Hand, es sei eingebunden in die globale 
Arbeitsteilung. Bei General Motors in Aspern standen die Baender 
tagelang still, als juengst in Brasilien gestreikt wurde. Der Minister 
war sichtlich bemueht, die oesterreichische Arbeitslandschaft 
weichzuzeichnen.
Gabriele Matzner-Holzer liess die Entwicklung der letzten 20 Jahre 
revue passieren. Dass in Steueroasen Billionen an Euro gebunkert 
werden, sei ein Skandal. Vor allem die Inseln der britischen Krone 
seien ein Problem. Leider sei den Regierungen in London ihr 
Finanzplatz wichtiger als die Partner in Europa. Ob Grossbritannien in 
der EU verbleibe, sei ungewiss, die juengsten Wahlerfolge der UKIP 
(United Kingdom Independence Party) seien besorgniserregend, denn 
diese Partei sei nicht nur eine EU-Ausstiegspartei, sondern eine 
nationalistische bis rechtsextreme und rassistische Gruppierung. In 
manchen Laendern haetten Clowns sich inzwischen breit gemacht. Vor 
allem die neoliberalen Vorgaben wie Privatisierung, Deregulierung, 
Standortkonkurrenz mit Steuer- und Lohndumping haetten zu 
Erosionserscheinungen gefuehrt. Schon die Maastricht-Kriterien waren 
ein Schritt in die falsche Richtung. Diese Entwicklung gelte es 
zurueckzufahren. Sie zitierte ihren verstorbenen Mann mit den Worten 
"Es wird zum Aufruhr kommen". Das hatte der vor zehn Jahren 
vorausgesagt. Nicht jeder Aufruhr ist schaedlich, mancher sei auch 
noetig, meinte die ehemalige Botschafterin.
Josef Woess ging auf die Ursachen der Krise ein. Die 
Staatsverschuldung sei keineswegs der Grund der Misere, wie von 
einschlaegigen Protagonisten behauptet wird. Irland hatte eine sehr 
niedrige Staatsverschuldung von 25% des BIP. Erst in der Krise 
schnellte sie auf ueber 100% hoch. Eine aehnliche Entwicklung nahm 
Spanien. Dort lag die Staatsverschuldung vor der Krise um 35% des BIP. 
Erst die Finanzkrise und zahlreiche Bankenrettungen fuehrten zur jetzt 
hohen Staatsverschuldung. Auch die Behauptung, "wir haetten ueber 
unsere Verhaeltnisse gelebt", sei ein Maerchen interessierter Kreise. 
Bei 1400 Euro netto Monatseinkommen kann nicht davon die Rede sein, 
dass die breite Masse ueber ihre Verhaeltnisse gelebt haette. Wahr sei 
vielmehr, dass die grossen Konzerne kaum mehr Steuern zahlen. So 
entrichte Apple bei 15 Milliarden Gewinn gerade einmal 0,1 Milliarden 
an Steuern, aehnlich Microsoft, das sind nicht einmal 1% Steuern. In 
einem Fernsehbericht habe man neulich einen Kaffeehausbesitzer nach 
seinen Steuern befragt. Es handelte sich um mehrere tausende Euro. Ob 
er wisse, was sein Konkurrent gegenueber, die Kette STARBUCKs, an 
Steuern bezahle. Nein, meinte der Mann. Null Euro erklaerten ihm die 
Journalisten.
Arbeitslos in Pension?
In der anschliessenden Fragerunde gingen die Wogen hoch. Wie wolle er 
Arbeitslosigkeit abbauen oder verhindern, wenn er die faktische 
Lebensarbeitszeit in Oesterreich anheben will, wurde Minister 
Hundstorfer gefragt. Schon heute gingen 40% der Menschen aus der 
Arbeitslosigkeit in die Pension. Dieser Prozentsatz wuerde sich doch 
erhoehen, wenn das faktische Pensionsantrittsalter angehoben wird. 
Frau Matzner-Holzer wurde gefragt, warum sie Beppe Grillo als Clown 
verrechne. Immerhin setze der Italiener sich fuer Wasser in kommunaler 
Hand, kompromisslose Korruptionsbekaempfung und ein bedingungsloses 
Grundeinkommen ein. Seine Bewegung sei doch ein gutes Beispiel fuer 
den noetigen Aufruhr, vom dem sie gesprochen habe. Was die drei auf 
dem Podium vom Vorschlag eines gruenen "New Deals" hielten, wie 
Stephan Schulmeister ihn vorschlaegt, war eine weitere Frage.
Schliesslich wurde der Sozialminister nach seiner Pflegereform 
befragt. In Pflegestufe 1 muessten nun 60 statt 50 Stunden 
nachgewiesen werden, so dass jetzt nur noch 50.000 statt wie frueher 
60.000 Menschen in der Eingangsstufe 155 Euro pro Monat zugestanden 
bekaemen.
Dass durch seine Reform eine Verschlechterung eingetreten sei, 
bestritt Rudolf Hundstorfer. Ausraeumen konnte er die Vorwuerfe aber 
nicht. Er verwies darauf, dass es in Oesterreich nun 7 Pflegestufen 
gebe, mehr als in allen anderen Laendern Europas.
Wie durch eine Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters mehr 
Beschaeftigung entstehen soll, erklaerte der Sozialminister mit den 
Worten: "Wir haben 20.000 mehr Beschaeftigung. Da ist das machbar." 
(Anm.: Allerdings ruecken jaehrlich aber 45.000 Menschen mehr auf den 
Arbeitsmarkt.)
Ausserdem wurde gefragt, wie die zusaetzliche Beschaeftigung in den 
neugeschaffenen 20.000 Stellen aussehe. Prekaere Abeitsplaetze mit 
einem Stundenlohn von 5 Euro seien kein Grund zum Jubeln oder sich 
selbst auf die Schulter zu klopfen. Der Sozialminister konterte die 
Entgegnung mit der Bemerkung: Davon wuesste er nichts. So etwas gaebe 
es in Oesterreich nicht.
Die im Dunkeln sieht er nicht
Solche Faelle gibt es aber, einen Betroffenen sogar im Publikum. Vier 
Jahre lang hatte er fuer 5 Euro die Stunde in Wien gearbeitet. Es gibt 
mehr prekaere Beschaeftigungsverhaeltnisse als der Minister sich 
traeumen laesst. Ein Mindestlohn koennte da Abhilfe schaffen. Der 
Sozialminister sprach sich jedoch gegen einen Mindestlohn in 
Oesterreich aus. Es gaebe das Instrument des Kollektivvertrags, das 
habe sich bewaehrt. (Der Sozialminister uebersieht, dass dieses 
Instrument immer mehr zerbroeckelt. In Deutschland sind nur noch 50% 
aller Arbeitsplaetze ueber Tarifvertraege geregelt. Auch in 
Oesterreich sind Risse sichtbar. Es gibt kein Entweder-Oder zwischen 
Tarifvertrag und Mindestlohn, sondern noetig ist ein Sowohl-als-auch.)
Eine Stimme aus dem Publikum rechnete vor, was das 6 
Milliarden-Euro-Programm der EU fuer 8 Millionen Betroffene in 7 
Jahren bedeutet: naemlich 107 Euro pro Kopf und Jahr. Das sei ein 
laecherlicher Betrag, den die EU da vorgesehen habe, um die 
Jugendarbeitslosigkeit zu bekaempfen. Minister Hundstorfer zeigte sich 
das erste Mal nachdenklich. Er gab zu, dass die Summe nicht allzu 
gross sei, aber immer noch "besser als gar nichts" und man werde 
zusehen, dass es 7 Milliarden werden.
Auf die Fragen zu einem gruenen "New Deal" und einem bedingungslosen 
Grundeinkommen gingen die drei Podiumsdiskutanten leider nicht ein.
(tantejolesch.at/gek.)
Volltext: http://www.tantejolesch.at/tjtrue.php?href1file=hundstorfwm
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