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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Montag, 29. April 2013; 02:39
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Glosse/Volksbegehren:
> Kein Interesse an Struktur
Wie wenig die politischen Spitzen die Inhalte der jetzt abgehandelten 
Volksbegehren ernstgenommen haben, zeigen zwei Zitate aus dem 
Mittagsjournal. Michael Spindelegger meinte zum Thema Demokratie: "Der 
Buerger muss das Gefuehl haben, dass er staerker an der Politik 
mitwirken kann". Ja, der Vizekanzler will unser Gefuehl verbessern, 
sonst aber wohl kaum etwas. SPOe-Klubchef Josef Cap hingegen zeigte 
noch viel mehr Jenseitigkeit. Er meinte, dass 
Kirchenprivilegien-Volksbegehren waere so wenig unterschrieben worden, 
weil der neue Papst so ein grosse Reformer sei. Offenbar hat Cap genau 
gar nichts von den Forderungen mitbekommen.
So ist also unsere politische Klasse eingestellt. Und ja, da wundert 
es niemanden mehr, warum aus dem Volk immer weniger Menschen bereit 
sind, an der Farce Volksbegehren teilzunehmen.
Nur: Das allein ist keine Erklaerung fuer dieses katastrophale 
Abschneiden beider Begehren. Denn dass dieses Instrument stumpf ist, 
ist nicht erst seit kurzem bekannt. Die grosse demokratische 
Rundablage wird ja schon seit Jahrzehnten befuellt. Und das letzte 
Volksbegehren, jenes zur Bildung, wurde 2011 immerhin von ueber 
380.000 Menschen unterstuetzt -- soviel hat sich da seither wohl nicht 
an der Stimmung im Volk veraendert.
Erklaerungsmuster gibt es viele andere auch. Beide Volksbegehren waren 
nicht sonderlich gluecklich formuliert, beide hatten keine grosse 
Pressure Group hinter sich. Beim Demokratievolksbegehren sah man sich 
genoetigt, pensionierte Politiker zu unterstuetzen, die in ihrer 
aktiven Zeit nie etwas in dieser Richtung hatten verlauten lassen --  
und die Forderungen waren zum Teil widerspruechlich, zum Teil 
inkonsequent. Beim Kirchenprivilegien-Volksbegehren wurde erst kurz 
vor der Eintragungswoche darueber berichtet und da meistens eher 
negativ kommentiert -- bis hin zu einem Artikel in der "Presse", der 
das Begehren in Nazi-Zusammenhaenge rueckte. Und in den Verdacht 
kommen, gegen die Kirche zu sein, will in Oesterreich kaum jemand --  
schliesslich gibt es bei Volksbegehren ja kein Wahlgeheimnis.
Das mag alles einen Einfluss gehabt haben. Aber sind das wirklich die 
ausschlaggebenden Gruende? Ich weiss es nicht, aber ich moechte einen 
zusaetzlichen moeglichen Grund hinzufuegen: Die Volksbegehren waren zu 
abstrakt. Sie handelten beide von etwas, was die Struktur der 
Gesellschaft angeht -- und nicht von konkreten Hoffnungen und vor 
allem Aengsten. Die beiden erfolgreichsten Volksbegehren der letzten 
20 Jahre handelten von Gentechnik (1997) und Temelin (2002). Dahinter 
folgen "Sozialstaat Oesterreich" (2002), Frauen- (1997) und 
Pensions-Volksbegehren (2004). Das Frauenvolksbegehren war inhaltlich 
eigentlich ein Sozialvolksbegehren, profitierte aber hauptsaechlich 
davon, dass es gleichzeitig mit dem Gentechnik-Volksbegehren auflag; 
die beiden anderen, dass sie -- von der SPOe unterstuetzt -- gegen die 
Schwarzblau-Regierung gerichtet waren und gegen deren 
Sozialabbau-Politik.
Da ging es immer um konkrete vitale Interessen. Aber Demokratisierung 
und Saekularisierung? Diesmal ging es doch um Grundfragen der 
Republik!? Nur leider interessieren die halt niemand.
Gerade das ist das Problem. Oesterreich hat kein Revolutions- und 
Verfassungsbewusstsein. Ob jetzt die Kirche, der Kaiser, der 
Bundeskanzler oder die Raiffeisenbank herrschen, ist wurscht --  
Hauptsache, unsere Lebensmittel sind nicht genmanipuliert. Dieses 
Interesse an den fundamentalen Lebensumstaenden mag ja ein durchaus 
richtiger realistisch-materialistischer Grundansatz sein, uebersieht 
aber voellig die Mechanismen der strukurellen Gewalt. In einem Land, 
in dem den Menschen seit Jahrhunderten Obrigkeitshoerigkeit 
eingeblaeut worden ist und die Josefinismus fuer die ideale 
Regierungsform zu halten gelernt haben, kann man nicht erwarten, dass 
sie prinzipielle Strukturen in Frage stellen -- selbst wenn andere 
Strukturen bedeuten wuerden, dass man sich in konkreten Fragen eher 
gegen die Autoritaeten durchsetzen koennte. In Laendern wie 
Frankreich, der Schweiz oder sogar Norwegen, wo Revolutions-, 
Widerstands- oder Verfassungsgeschichte zum zentralen Staatsnarrativ 
zaehlen, sieht das wohl anders aus.
Bei uns in Bagdad zaehlt nur das Schnitzel auf dem Teller und dass es 
gentechnikfrei sein soll. Dass das Sein oder Nichtsein dieses 
Schnitzels aber etwas damit zu tun hat, wem es die Obrigkeit zugesteht 
und wer diese Obrigkeit kontrolliert... tja, soweit reicht das 
politische Bewusstsein des Oesterreichers halt dann doch nicht.
Bernhard Redl
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