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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Montag, 29. April 2013; 02:40
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EU/Osteuropa:
> Vom Schattendasein zum politischen Akteur
Zum Mittel- und Osteuropaeischen Sozialforum in Wien
Es ist noch gar nicht so lange her, da hatten sich nach der so 
genannten "Wende" in Mittel- und Osteuropa zwei Traumwelten derart 
intensiv aneinander geschmiegt, dass man annehmen konnte, sie waeren 
schon seit jeher ein unzertrennliches Paar gewesen: einerseits war es 
der vom Westen projizierte und induzierte Glaube, dass der Osten nach 
der Jahrzehnte waehrenden Umklammerung durch den so genannten 
Realsozialismus mit der scheinbaren Oeffnung seiner Grenzen mit einem 
Mal auch in den Genuss der Segnungen postkapitalistischer 
Konsumgesellschaften kommen wuerde; andererseits gab es die von den 
Investoren vorgegaukelte, mehr oder minder bewusste Illusion, dass der 
Osten Europas die durch den so genannten Wiederaufbau angehaeuften 
Schulden niemals wirklich bezahlen muesste. Indem beide Spekulation 
und Realwirtschaft miteinander verwechselten, glaubten Glaeubiger wie 
Schuldner fest daran, dass die Blase des unbegrenzten Wachstums 
niemals platzen wuerde.
Die Wende rollt zurueck
Erst hinterher entpuppte sich die "Wende" fuer die Mehrzahl der 
Bewohner Mittel- und Osteuropas als eine oekonomisch-politische 
Rueckwaertsrolle und viele sahen ein, dass sie den Teufel mit dem 
Beelzebub ausgetrieben hatten. Die von der Donau bis zum Ural 
reichende Haelfte Europas musste erkennen, dass sich in Wirklichkeit 
die Machthaber von gestern zu Propheten eines vermeintlichen 
"Wirtschaftswunders" aufgespielt hatten, aber keineswegs gewillt 
waren, substantielle Veraenderungen in der demokratiefeindlichen 
Grundstruktur dieser Gesellschaften zuzulassen oder gar 
voranzutreiben.
Heute sind die meisten Regierungen zu willfaehrigen Instrumenten des 
transnationalen Finanzkapitals geworden, das sich nicht geniert, von 
der notleidenden Bevoelkerung voellig unzumutbare Opfer zu verlangen, 
nur um seine Gewinne zu retten. Trotzdem (oder gerade deshalb) 
erinnern sich angesichts der Krise Banker und Konzernchefs wieder an 
den einst so geaechteten Staat und verlangen von ihm, dass er das 
System retten solle -- um sich selbst zu retten.
Auf diese Weise ist die ehemalige, so genannte "Zweite Welt" wieder zu 
einer Dritten geworden, die heute von der Implosion ihres gesamten 
gesellschaftlichen Gefueges permanent bedroht ist. Denn im Unterschied 
zum Westen sind in Mittel- und Osteuropa die meisten Sozialleistungen 
bereits unmittelbar nach der Wende zu symbolischen Alibileistungen 
populistischer Regime verkommen, weshalb man heute dort auch nur 
schwer von einem "Sozialabbau" sprechen kann. Allein die 
Arbeitslosenzahlen und die Zahl der Muetter, die sich mit einem 
Einkommen von weniger als 100 Euro begnuegen muessen, sprechen Baende!
Widerstand statt Depression
Jedoch im Unterschied zum Sueden Europas, der auf ein Jahrhundert 
sozialer und gewerkschaftlicher Kaempfe zurueckblicken kann, wurden 
die Aufstaende in der DDR, Ungarn, der Tschechoslowakei etc. derart 
brutal erstickt, dass der Glaube an die Eigenstaendigkeit - geschweige 
denn an das Selbstbestimmungsrecht der Voelker - einer tiefsitzenden 
Depression Platz gemacht hat. Die Angst davor, es koenne ja alles nur 
noch viel schlimmer werden, hat den Willen zum Widerstand in der 
leidgeprueften Bevoelkerung durch lange Zeit hindurch im Keim 
erstickt.
Nur in allerletzter Zeit hat die Verzweiflung der Menschen in 
Bulgarien, in Polen, in Russland und anderen Laendern Mittel- und 
Osteuropas um sich gegriffen und ein politisches Widerstandspotential 
zum Vorschein gebracht, das allerdings von der Weltoeffentlichkeit 
kaum wahrgenommen wird, weshalb der Osten heute nach wie vor ein 
Schattendasein fuehrt.
Ziele und Aufgaben des Sozialforums
Es ist das erklaerte Ziel des "Mittel- und Osteuropaeischen 
Sozialforums", das vom 2. bis 5. Mai 2013 auf dem Campus der 
Universitaet Wien veranstaltet wird, etwas Licht in dieses Dunkel zu 
bringen. Andererseits ist das Format eines Sozialforums ein geeignetes 
Mittel, die grass-roots-Organisationen des Ostens sowohl untereinander 
als auch mit denen des Westens zu vernetzen; letztere haben 
insbesondere in Spanien, Portugal, Italien und vor allem in 
Griechenland zu Rebellionen gefuehrt, die das neoliberale System in 
seinen Grundfesten hinterfragte.
Nicht von ungefaehr ist der provokante Titel dieses Sozialforums: 
"Revolten an der Peripherie", stellt er doch die Frage in den 
Mittelpunkt, inwiefern die Bevoelkerung jenseits des ehemals eisernen 
und heute mit Samt verkleideten Vorhangs, an dem viele Menschen zu 
ersticken drohen, in Zukunft in der Lage sein wird, ihre historische 
Schuldknechtschaft abzuschuetteln und - aehnlich wie in den ehemaligen 
Kolonien Europas - eine Art "neue Unabhaengigkeit" zu erlangen.
Diese Frage beinhaltet das in den Mittel- und Osteuropaeischen 
Laendern besonders umstrittene Verhaeltnis zur Europaeischen Union 
ebenso wie das Wiedererstarken eines faschistoiden Nationalismus. Sie 
spiegelt sich in der buchstaeblich grenzenlosen Zerstoerung der 
natuerlichen Ressourcen ebenso wider wie in den so genannten 
Wirtschaftsfluechtlingen, die in den Westen ziehen. Vor allem aber 
soll sie auf die Suche nach einer neuen kulturellen Identitaet 
fuehren, in der den auf mehrfache Weise unterdrueckten Frauen eine 
besondere Rolle zukommen soll.
Es ist zu hoffen, dass dieses regionale Sozialforum den 
TeilnehmerInnen aus Ost und West die Gelegenheit geben wird, durch den 
gemeinsamen Austausch das Gefuehl der Ohnmacht und Isolation zumindest 
teilweise zu ueberwinden, das die lange Leidensgeschichte Mittel- und 
Osteuropas bis heute gepraegt hat.
*Leo Gabriel*
*
2.-5.5.2013 WIEN (Campus der Universitaet, Alserstr.).
"Revolten an der Peripherie" - Zentral- und osteuropaeisches Sozial- 
und Umweltforum - als Teil des Europaeischen Sozialforumsprozesses.
Infos: http://www.sozialforum-asf.at
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