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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. April 2013; 04:41
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> Syrien-Fluechtlinge: Wenig Hilfe der EU
Die "internationale Gemeinschaft" versagt nach wie vor bei Hilfe fuer 
die intern Vertriebenen in Syrien
Sieben Monate ist es her, dass Adla Sheikho ihre vier Kinder packte 
und mit ihrem Mann so schnell wie moeglich versuchte, noch irgendwie 
aus dem umkaempften Aleppo hinauszukommen. Die zweitgroesste Stadt 
Syriens war innerhalb weniger Wochen zum Kriegsschauplatz geworden. 
Als Ende September der weltweit groesste gedeckte Bazar, ein 
Herzstueck des Unesco-Weltkulturerbes der Altstadt von Aleppo, 
niederbrannte, hatte sich die Familie bereits im kurdischen Norden des 
Landes in Sicherheit gebracht.
Mit vierzehn anderen Familien leben sie seither in einem noch nicht 
ganz fertiggestellten Schulgebaeude am Rande der Kleinstadt Amude. 
Weder das UNHCR noch eine der grossen internationalen NGOs haben 
bisher hierhergefunden. Versorgt werden diese intern Vertriebenen fast 
ausschliesslich von der lokalen Bevoelkerung. Zwei Vereine, die von 
sozial engagierten Buergern der Stadt gegruendet wurden, bringen 
Lebensmittel und zahlen den Fluechtlingen pro Person 1000 syrische 
Pfund im Monat, das sind umgerechnet etwas mehr als 10 Euro. Damit 
kann man auch in Syrien nicht ueber die Runden kommen, schon gar 
nicht, wenn die Lebensmittelpreise durch die Versorgungsknappheit 
staendig steigen.
Doktor Diloban al-Nuri, der vor seiner Flucht in einem Spital in der 
syrischen Hauptstadt Damaskus arbeitete, zeigt auf die Fuesse eines 
vielleicht drei Jahre alten Kleinkindes: "Diese Mutter hat keine 
Schuhe fuer das Kind, deshalb haben sich auf den Fuessen schon 
Frostbeulen gebildet. Wenn wir nicht rasch etwas unternehmen, bleibt 
das Kind dauerhaft geschaedigt."
In der zum Lager fuer die intern Vertriebenen umfunktionierten Schule 
leben Kurden und Araber zusammen, teilweise sogar innerhalb einer 
Familie. Der Kurde Amir Serhan ist mit seiner arabischen Frau Hiyam 
Mohammed Jamar ebenfalls aus Aleppo geflohen. In drei Monaten erwartet 
die Frau ihr fuenftes Kind. "Wir wissen gar nicht, ob unser Haus noch 
existiert", erzaehlt die jugendlich wirkende Frau: "Angeblich 
kontrolliert die Freie Syrische Armee jetzt das Viertel, in dem es 
liegt. Mehr wissen wir nicht. Wir sind froh, dass wir uns und unsere 
Kinder in Sicherheit gebracht haben." Nach Aleppo wollen sie erst 
wieder zurueck, wenn der Krieg zu Ende ist. Die aelteren ihrer vier 
Kinder besuchen hier zwar die Schule, aber es mangelt an 
Schreibmaterial, Buechern und Spielsachen. Vor zwei Wochen sei das 
UNO-Kinderhilfswerk Unicef mit einer Tasche voller Spielzeug 
vorbeigekommen. Die Mitarbeiter haetten kurz mit den Kindern gespielt, 
einige Fotos gemacht und dann die Spielsachen wieder eingepackt. 
Seither seien sie nicht wieder gesehen worden, erzaehlt die Familie.
Auch Amir Serhans Mutter und seine zwei Schwestern sind seit einem 
halben Jahr hier untergebracht. Seine Mutter Khanime Ahmed war mit 
einem Kurden aus dem Libanon verheiratet. Als ihr Haus in Aleppo 
niederbrannte, wurden auch alle ihre Dokumente vernichtet: "Wegen 
meines Mannes waren wir libanesische Staatsbuerger. Jetzt sind wir de 
facto staatenlos."
Zwischen den Fronten
Einer ihrer Soehne sitzt aufgrund politischer Aktivitaeten im 
Zentralgefaengnis von Aleppo. Vor vier Jahren wurde er zu dreieinhalb 
Jahren Haft verurteilt. Seine Haftstrafe waere bereits vorueber. Dann 
kam allerdings der Krieg. Das Gericht, das ihn verurteilt hat, wird 
heute von der Freien Syrischen Armee kontrolliert, das Gefaengnis, in 
dem er sitzt, hingegen von den Regierungstruppen Bashar al-Assads. Die 
Gefaengnisverwaltung weigert sich, den Sohn ohne den Gerichtsakt zu 
enthaften, und da dieser in den Haenden der gegnerischen Kriegspartei 
liegt, wird er weiter in Gefangenschaft gehalten.
Trotz der offensichtlichen Not wollen die hier festsitzenden intern 
Vertriebenen das Land nicht verlassen. Es hat sich herumgesprochen, 
wie schwierig es ist, in Europa Asyl zu bekommen und wie gefaehrlich 
es ist, dorthin zu gelangen.
Toedliche Flucht
39 Fluechtlinge aus Amude nahmen das Risiko der Reise nach Beginn des 
Buergerkrieges trotzdem in Kauf. Als sie am 6. September 2012 in der 
Naehe von Izmir versuchten, mit einem kleinen Boot auf eine der 
griechischen Inseln und damit in die Europaeische Union zu gelangen, 
ertranken sie alle im Mittelmeer. Eine gemeinsame Gedenkstaette am 
Friedhof erinnert heute an die Katastrophe, die die ganze Familien mit 
ihren Kindern ausloeschte. In der Stadt erzaehlt man sich, dass 
einigen der Leichen Organe gefehlt haetten. Es gibt wilde 
Spekulationen darueber, was damals an der Aussengrenze der Festung 
Europa wirklich geschehen ist. Das Schicksal der 39 Fluechtlinge steht 
jedenfalls fuer viele, die versuchen, ueber das Mittelmeer auf 
EU-Gebiet zu gelangen - und dabei zu Tode kommen. Schon fuer 2011 
hatte das UNHCR geschaetzt, dass 1500 Menschen ertrunken sind. 2012 
waren es wahrscheinlich noch mehr.
Die Mehrheit der Fluechtlinge bleibt vorerst in der Region und hofft, 
bald zurueckkehren zu koennen. Seit Beginn des Buergerkriegs sind rund 
200.000 Syrer in die Tuerkei geflohen. Je 100.000 duerften in 
Jordanien und im Libanon Aufnahme gefunden haben, noch einmal rund 
60.000 im Irak. Insgesamt haben 860.000 Syrer das Land verlassen. Den 
weitaus groessten Teil bilden jedoch jene Millionen 
Binnenfluechtlinge, die sich aus den umkaempften Gebieten in relativ 
sicherere Regionen innerhalb Syriens zurueckziehen konnten. Nach 
Angaben der kurdischen Parteien duerften sich allein in den kurdischen 
Gebieten rund 500.000 Binnenfluechtlinge aufhalten.
*Thomas Schmidinger*
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