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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. April 2013; 04:51
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International/Debatte:
> John Kerry beim Wort nehmen
Am 3. April 2013 erschien in der renommierten Huffington Post ein 
Artikel 
von US-Aussenminister John F. Kerry. Darin tritt er mit Verve 
dafuer ein, Kriegsverbrecher ueberall in der Welt zu verfolgen und 
einer gerechten Strafe zuzufuehren. Auf diesen Artikel bezieht sich 
der folgende Kommentar von Peter Strutynski:
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"Straflosigkeit ist der Feind des Friedens", stellt US-Aussenminister 
Kerry in seinem engagierten Artikel in der Huffington Post fest. Damit 
hat er natuerlich Recht - wie mit so manch anderem, was in dem Beitrag 
angesprochen wird. Die Welt waere in der Tat eine bessere, wenn 
Kriegsverbrechern das Handwerk gelegt werden koennte und wenn sie sich 
vor ordentlichen Gerichten verantworten muessten. Und wenn nationale 
Gerichte hierfuer nicht zur Verfuegung stehen oder Regierungen ihre 
schuetzende Hand ueber solche Verbrecher halten, dann mag sich die 
internationale Gerichtsbarkeit zustaendig fuehlen. Mit der Gruendung 
des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), der 2002 in Den Haag 
seine Arbeit aufgenommen hat, verfuegen wir ueber eine Institution, 
die in solchen Faellen taetig werden kann.
Zu dumm nur, dass die US-Regierungen von Clinton ueber George W. Bush 
bis zu Obama es bisher strikt abgelehnt haben, diesem Gericht 
beizutreten und seine Gruendungsurkunde, das roemische Statut, zu 
unterzeichnen und vom US-Kongress ratifizieren zu lassen. Die 
Botschaft, die von dieser Verweigerung ausgeht, lautet: God's own 
Country laesst keine Gerichtsbarkeit ueber oder neben ihm gelten. Die 
USA sind nicht nur das freieste, sondern auch das gerechteste Land 
unter dem Himmel. So ist auch zu verstehen, dass die US-Administration 
mit vielen Laendern Vereinbarungen darueber abgeschlossen hat, dass 
US-Soldaten ausschliesslich der US-Gerichtsbarkeit und eben nicht - 
wie sonst ueblich - den Gerichten der jeweiligen Gastlaender 
unterworfen sind. Wenn also ein GI in Japan, Afghanistan, Libyen, 
Jordanien oder in Mauretanien ein Verbrechen begeht, wird es fuer ihn 
nur dann etwas unangenehm, wenn ein US-Gericht sich der Sache annimmt. 
Bei Kriegsverbrechen, die sozusagen im Auftrag oder stellvertretend 
fuer die Regierung in Washington begangen werden, haben GIs demnach 
wenig zu befuerchten.
Die USA begruendeten ihre ablehnende Haltung zum ICC tatsaechlich 
damit, dass ihre Soldaten, die in vielen Laendern der Erde ihren 
"Dienst" verrichten, nicht von fremden Gerichten zur Rechenschaft 
gezogen werden duerften. Und es gab sogar Gedankenspiele, den 
Strafgerichtshof in Den Haag notfalls auch militaerisch anzugreifen, 
um US-Buerger, die dort unter Anklage stehen, zu befreien. Dabei gehen 
solche Ueberlegungen am Statut des Gerichts haarscharf vorbei. Denn 
der ICC tritt erst dann auf den Plan, wenn die nationalen Behoerden 
nicht faehig oder willens sind, gegen Kriegsverbrecher zu ermitteln 
und ihnen ggf. auch den Prozess zu machen.
Vor einem Militaergericht in den USA hat sich derzeit ein 
US-amerikanischer GI zu verantworten, der geheime und vertrauliche 
Dokumente und Kriegsprotokolle aus Afghanistan und Irak an die 
Internet-Plattform Wikileaks weiter gegeben hat. Sein Name ist Bradley 
Manning. Ihm droht wegen "Geheimnisverrats" eine lebenslange 
Haftstrafe. Unter den Dokumenten befindet sich auch ein Video, worin 
zu sehen ist, wie aus einem US-Militaerhelikopter irakische Zivilisten 
und Mitarbeiter der Agentur Reuters erschossen werden - begleitet von 
haemischen Kommentaren der Schuetzen. Auch Menschen, die den 
Verwundeten zu Hilfe kommen wollten, wurden angegriffen. Der 
"Whistleblower" Bradley Manning sitzt seit fast drei Jahren in 
Untersuchungshaft und verbringt damit bereits mehr Zeit hinter Gittern 
als die aus dem Folterskandal von Abu Ghraib bekannt gewordene 
Soldatin Lynndie England, die, nachdem sich die Folterpraktiken nicht 
laenger verheimlichen liessen, zu insgesamt drei Jahren Haft 
verurteilt worden war, wovon sie aber nur zwei Jahre verbuessen 
musste. Der Grossteil der US-Foltersoldaten kam mit weit niedrigeren 
Strafen - bis hin zu Geldstrafen - davon. Die politisch 
Verantwortlichen hingegen sind niemals belangt worden.
Noch viel weniger haben die Kriegsherren aus Washington zu 
befuerchten, wenn sie - allein oder mit ihren NATO-Verbuendeten - im 
Zuge des "Kriegs gegen den Terror" in fremde Laender einfallen oder 
"Verdaechtige" mit Kampfdrohnen hinrichten. Eine kriegerische 
Aggression ist zwar vom Voelkerrecht genauso verboten wie die 
willkuerliche gezielte Toetung von Menschen ausserhalb von 
Kriegsereignissen, Ermittlungen durch staatliche Gerichte oder den 
Internationalen Strafgerichtshof sind bisher aber noch nie aufgenommen 
worden. (Die Strafverfolgung wegen Verbrechens eines "Angriffskrieges" 
ist bislang vom ICC noch nicht endgueltig geregelt worden.) Das 
Gericht in Den Haag hat statt dessen Ersatzkandidaten angeklagt: Neben 
dem in der Rede von Kerry erwaehnten mutmasslichen Kriegsverbrecher 
Joseph Kony (auf den die US-Regierung sogar ein Kopfgeld ausgesetzt 
hat) sind bislang ausschliesslich Politiker und Rebellenfuehrer aus 
Afrika angeklagt worden; u.a. traf es mit dem sudanischen Praesidenten 
Omar Hassan al-Baschir und dem vor kurzem gewaehlten Praesidenten von 
Kenia, Uhuru Kenyatta, zwei amtierende Staatsfuehrer. Ein dritter, 
gegen den inmitten des NATO-Kriegs gegen Libyen Anklage erhoben worden 
war, Muhammad Gaddafi, fiel der Lynchjustiz zum Opfer.
US-Aussenminister Kerry nimmt in seinem bemerkenswerten Artikel den 
Mund sehr voll. Sollte wirklich die Straflosigkeit der Feind des 
Friedens sein, so waere doch vor allem die Straflosigkeit derjenigen 
zu beenden, die fuer die meisten Kriege der neuen Zeit verantwortlich 
sind. Das sind in erster Linie die fuehrenden Politiker der 
NATO-Staaten. Es muessten auch diejenigen zur Verantwortung gezogen 
werden, die in diesen Kriege schwere Kriegsverbrechen begehen: durch 
den Beschuss von Zivilpersonen (Beispiel: das vom deutschen Oberst 
Klein befohlene Kundus-Massaker), durch Folter oder durch den Einsatz 
unerlaubter Waffen und Munition. Schliesslich waere gegen die 
Beguenstigten und/oder Drahtzieher der modernen Rohstoff- und 
Energiekriege zu ermitteln: internationale Kriegsgewinnler-Konzerne 
(z.B. Halliburton) oder private "Sicherheitsfirmen" (z.B. das fruehere 
"Blackwater").
Um unliebsamen Interpretationen vorzubeugen, versicherte Kerry, dass 
es sich bei der Auslobung von fuenf Millionen Dollar fuer die 
Ergreifung von Kony keineswegs um "ein Programm fuer Kopfgeldjaeger 
handelt, bei dem die Gesuchten tot oder lebendig ueberbracht werden". 
Mag ja sein, dass sich das US-Militaer das Vergnuegen vorbehaelt, den 
Gesuchten nach erfolgreichem Aufspueren selbst zur Strecke zu bringen. 
Es waere nicht das erste Mal; und beim prominenten Vorgaenger Osama 
bin Laden sass das ganze Sicherheitskabinett Obamas "in der ersten 
Reihe" und sah zu, wie die Ergreifung und Hinrichtung des Staatsfeinds 
Nr. 1 der USA Hand in Hand ging.
Kerry beginnt seinen Artikel mit der Herz zerreissenden Schilderung 
von Kindern in Kriegsgebieten: "Stellen Sie sich einen Moment lang 
vor", schreibt er, "Sie waeren ein Kind in Zentralafrika. Sie schlafen 
nicht jeden Abend zuhause bei ihrer Familie, sondern mit Dutzenden 
anderer Kinder in einer Notunterkunft. Sie hoffen, dass die grosse 
Anzahl von Kindern Ihnen Sicherheit bieten. ... Dies ist ein wahrer 
Albtraum." Wie recht er doch hat! Aber ersetzen wir Zentralafrika 
durch Afghanistan. Vor wenigen Tagen erst sind dort wieder zahlreiche 
Kinder bei Alliierten-Angriffen ums Leben gekommen. Die Taeter heissen 
nicht Kony und es ist auch nicht die Lord's Resistance Army, welche 
solche Taten veruebt. Es ist die NATO und es sind deren Kampfpiloten, 
welche die toedliche Fracht abwerfen. Ihnen allen sei - wiederum in 
den Worten des US-Aussenministers - gesagt: "Lassen Sie uns unser 
Engagement erneuern, jeden Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen."
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Der Autor, Politikwissenschaftler, leitet die AG Friedensforschung in 
Kassel und ist Sprecher des "Bundesausschusses Friedensratschlag".
Quelle: http://www.ag-friedensforschung.de/themen/ICC/kerry-stru2.html
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