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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 10. April 2013; 02:42
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WSF:

> 55.000 Menschen bei ueber tausend Veranstaltungen

*Hermann Dworczak* war am Weltsozialforum in Tunis und lieferte wieder
ein Tagebuch davon
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Das Weltsozialforum in Tunis erlebte einen starken Auftakt.
Zehntausende marschierten in einer bunten und politisch breiten
Demonstration durch Tunis. Schon lange vor Beginn der Demo war die
Avenue Bourgiba gerammelt voll. Viele Photos des von radikalen
Islamisten ermordeten linken tunesischen Politikers Chokri Bel Heide
waren zu sehen. Solidaritaet mit Palaestina wurde auf vielen Plakaten
und Transparenten eingefordert. Ein grosses Spruchband lautete "Afrika
ist nicht zu verkaufen".

Starke Bloecke bildeten die franzoesischen GewerkschafterInnen von
"Solidaire" und Attac. Aus Deutschland kam eine groessere Gruppe der
GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), aus Osteuropa reisten
verschiedene politische Gruppen und AktivistInnen z. B. aus der
Ukraine, Russland und Rumaenien an, aber auch aus Brasilien und sogar
eine Gruppe von ChinesInnen - u.a. von der Chinesischen Akademie fuer
Sozialwissenschaften.

Nach der beeindruckenden Eroeffnungs-Demonstration setzte Mittwoch die
inhaltliche Arbeit des WSF ein. Bereits am Vormittag gab es auf dem
Campus El Manar ueber 100 Veranstaltungen.

Das "Internationale Netzwerk gegen Rechtsextremismus - Prague Spring
2", dem auch das Austrian Social Forum angehoert, organisierte eine
Konferenz zum Thema "Rise of right wing extremism and religious
fundamentalism". Ueber 70 Personen nahmen an der Veranstaltung teil.
Das leider rein maennlich besetzte Podium bestand aus Teilnehmern aus
Tunesien, Griechenland, Norwegen, Ungarn und Oesterreich. Voellig zu
recht wurde daher in der Debatte unterstrichen, dass es keinen
umfassenden Kampf gegen die extreme Rechte und die religioesen
Fanatiker ohne einen entsprechenden feministischen Beitrag geben kann!

In die Diskussion griff auch ein Genosse aus Algerien ein, der von der
Degenerierung der algerischen Revolution berichtete, die den
Islamisten den Weg ebnete. Berichte aus der Ukraine, wo die extreme
Rechte bei den letzten Parlamentswahlen ueber 10 Prozent der Stimmen
eingeheimst hatte, und aus Russland rundeten das Bild ab.

Die Veranstaltung machte deutlich, dass der gewaltige Anstieg von
Rechtspopulismus, Rechtsextremismus - in manchen Laendern von offen
faschistischen Kraeften und religioesem Fundamentalismus (von der Tea
Party in den USA ueber den "politischen Islam" bis hin zu den
Hindu-Fundamentalisten) ein GLOBALES Phaenomen vor dem Hintergrund der
kombinierten Krisen des Kapitalismus darstellt.

Am dritten Tag des WSF gab es Donnerstag Vormittag eine spannende
Veranstaltung zur Lage in China: "China and its Future - a Mapping for
the People". An diesem von ChinesInnen organisierten Seminar nahmen
auch die bekannten Sozialwissenschafter Samir Amin und Francois
Houtard teil.

Waehrend Amin China nur recht oberflaechlich als "emerging society"
charakterisierte, stellte Houtard einige kritische Fragen zur
Aussenpolitik Chinas - besonders zum Landerwerb und Bergbau
chinesischer Firmen in Afrika, Lateinamerika und Asien.

Der Soziolge Chen Xin von der Chinesischen Akademie der
Sozialwissenschaften beleuchtete kritisch die "Urbanisierungspolitik"
der chinesischen Regierung und betonte, dass nach wie vor 200
Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben.

Lau Kin Chi aus Hong Kong berichtete von Projekten im laendlichen
Bereich. Sie formulierte scharf: "Wenn China den Weg des Westens geht,
ist das ein Weg in die Katastrophe".

Nicht weniger pointiert die feministische Kulturkritikerin Dai Jinhua
von der Peking Universitaet, die das aktuelle chinesische
"Entwicklungsmodell" mit seinen enormen negativen sozialen und
oekologischen Folgen problematisierte: In der allgemeinen Diskussion
wurde von mehreren RednerInnen die Politik der chinesischen Fuehrung
der Glorifizierung des "Marktes" angeprangert. Eine bruchlose
Fortsetzung dieses Weges wuerde "schliesslich die Errungengschaften
der chinesischen Revolution in Frage stellen".

Am vierten Tag goennte ich mir eineinhalb Stunden in der riesigen und
wunderbaren Medina. Dann ging es wie immer auf das Unigelaende El
Manar. Ich hoerte mir ein Interview an, das Karl Fischbacher von
labournetaustria mit dem Generalsekretaer der Gewerkschaft UGTT
machte, siehe labournetaustria (1). Mit Elisabeth Gauthier von Espaces
Marx diskutierte ich ueber den Altersummit in Athen im Juni. Und
schliesslich landete ich bei einer Gedenkveranstaltung fuer Hugo
Chavez. Die Veranstaltung gedachte auch des tunesischen linken
Politikers Chokri Belaid, der ebenso wie der kongolesische
Freiheitskaempfer Lumumba von der Reaktion ermordet worden war.

Das Weltsozialforum in Tunis wurde Samstag mit einer Demo beendet, die
ganz im Zeichen der Solidaritaet mit dem palaestinensischen Volk
stand.

Sicher ist es jetzt noch zu frueh, um eine Bilanz dieses WSF zu
machen. Einige facts sprechen jedoch fuer sich: Circa 55.000 Personen
hatten sich registriert. Es gab ueber tausend Einzelveranstaltungen.
Wichtig war, dass das Weltsozialforum KEIN "Ghetto-Dasein" fristete,
also nicht abgehoben agierte. An vielen Punkten der Stadt war das WSF
praesent - nicht nur auf dem zentralen Veranstaltungsgelaende des
Campus El Manar oder auf der Avenue Bourgiba, die zeitweise mit ihren
Diskussionen, kuenstlerischen Darbietungen und Spontan-Demos wie ein
zweites Forumgelaende wirkte.

Fuer die AkteurInnen der tunesischen Revolution, die den Startschuss
fuer den "arabischen Fruehling" gegeben hatte, war es von enormer
Bedeutung mit Aktivistinnen aus allen Kontinenten zusammenzukommen.
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(1) http://www.labournetaustria.at/interview-mit-haroun-cherif-koordinator-der-ugtt-jugend-tunesien-auf-dem-wsf-tunis-am-29-3-2013/



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