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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 10. April 2013; 02:35
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Brasilien:
> Schmutziger Grossputz in Rio
Rio de Janeiro hat schon lange mit den Vorbereitungen fuer die
Fussball-WM 2014 und die Olympischen Sommerspiele 2016 begonnen.
Darunter zu leiden haben die Bewohner der Armensiedlungen - und ein
Protestcamp indigener Brasilianer.
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Bei kulturellen oder sportlichen Grossereignissen spielt man gerne
heile Welt. In Salzburg werden Bettler und Obdachlose zur
Festspielzeit aus dem Stadtzentrum vertrieben, in Brasilien sollen es
Hunderttausende Bewohner urbaner Armenviertel, der Favelas, sein. Wo
immer sie der Zurschaustellung von Wohlstand, Ordnung und
touristischer Schoenheit im Wege stehen, sollen die Favelas weichen.
Und damit der selbstgeschaffene Lebensraum ihrer Bewohner.
Diese informellen Siedlungen sind keine Slums, also verelendete
Stadtbereiche, sondern durch Zuzug z.B von Eisenbahnarbeitern
entstanden, urspruenglich nach der Abschaffung der Sklaverei Ende des
19. Jahrhunderts. Freie Flaechen wurden anfangs mit
Bretterverschlaegen, spaeter auch mit bestaendigeren Ziegelbauten in
Beschlag genommen. Die Staedte konnten oder wollten keine Inklusion
betreiben, Arbeit gab es fuer die meisten Bewohner auch nicht, und so
wurden die Favelas sich selbst ueberlassen. Es entstanden eigene
Sozial- und Wirtschaftsgefuege, oft auch unter der Beteiligung lokaler
Drogenkartelle.
Das mediale Bild, das wir heute geliefert bekommen, laesst sich mit
vier Woertern zusammenfassen: Armut, Muell, Drogen, Verbrechen. Wenn
man nur oberflaechlich hinschaut oder begleitet "Favalas schauen"
geht, mag das auf den ersten Blick auch so aussehen. Gerade erst ist
das "Zeit-Magazin" darauf hereingefallen und untertitelt: "Wer hat das
Sagen in den Favelas - die Drogenbosse oder bald endlich die Polizei,
der bislang niemand vertraute?" Solche "Law and Order"-Berichte sollen
unser Bild einer schoenen heilen Welt festigen. Tatsaechlich leben
aber "nur" 2% der Bewohner von illegalen Taetigkeiten, die Mordrate in
Rio liegt heute unter jener von New Orleans oder Baltimore.
"Wir geben diesen Menschen ihre Wuerde zurueck"
Immer wieder gab es Bestrebungen zur Aufloesung - abwechselnd durch
als "Umsiedlung" verniedlichte Vertreibungen und durch Versuche der
Inklusion wie beim seitens der Stadtverwaltung als sehr erfolgreich
bezeichneten Programm "Favela-Bairros" zur Umwandlung der Favelas in
"regulaere Bezirke". Derzeit ist wieder so eine Welle im Gange, und
diesmal enthaelt sie beide Elemente. Denn eines ist den
Stadtverwaltungen Brasiliens am wichtigsten: Schnell soll es gehen,
und gruendlich soll es sein.
2007 erhielt Brasilien den Zuschlag fuer die Ausrichtung der
Fussball-WM 2014. Zwei Jahre spaeter wurde Rio de Janeiro auch noch
mit der Austragung der Olympischen Sommerspiele 2016 betraut. Fuer
beides ist das Maracaná-Stadion im Norden Rios ein wichtiges Zentrum:
2014 findet das Finale der Fussball-WM dort statt, 2016 die Fussball-
und in unmittelbarer Naehe auch etliche andere Bewerbe der Olympischen
Spiele. Pech, dass sich im Norden auch zahlreiche Favelas befinden.
Pech in erster Linie fuer deren Bewohner.
Denn seit 2009 beginnt man gerade im Norden, Erneuerungsprogramme
zunehmend dadurch umzusetzen, dass Favelas geschleift, ihren Bewohnern
viel zu niedrige Abfindungen gezahlt und sie in viel zu teure
Sozialbauten abgesiedelt werden. "Wir geben diesen Menschen ihre
Wuerde zurueck" sagt die Stadtverwaltung ueber das
"Wachstumsbeschleunigungsprogramm" PAC fuer die Nordzone von Rio. Die
dort lebenden Menschen sehen es als Vertreibung. Denn weder wird ihnen
leistbarer Ersatz geboten noch in irgendeiner Weise Ruecksicht auf die
Bewohner der Favelas genommen. Trotzdem gibt man ihnen nur vier Wochen
Zeit fuer die Raeumung, dann wird brutal eingegriffen.
Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz
Die Situation eskalierte dermassen, dass Amnesty International im
April 2011 Beobachter entsandte. Kaum waren die wieder weg, kam
Mangueira, das Viertel, das jetzt das "Zeit-Magazin" als Beispiel fuer
die gelungene "Befriedung" hernimmt, an die Reihe: Im Juni 2011
rueckte die Staatsgewalt in Form von 750 schwerbewaffneten
Sondereinsatzbeamten, 14 Armeepanzern und 5 Hubschraubern der
Luftwaffe ein. Und dann kommen die Abbruchkomandos und Bagger. 17
Favelas sollen bis Mitte 2011 bereits auf diese Weise "befriedet"
worden sein. Das widerstaendige "Volkskomitee fuer die WM 2014"
spricht von bisher 170.000 Vertriebenen in Brasilien, allein in Rio
30.000. Anderen Schaetzungen zufolge sollen bis zur WM landesweit ca.
1,5 Millionen Menschen auf diese Weise vertrieben und ihr Zuhause
vernichtet werden.
Je naeher der WM-Termin kommt und je mehr man sich dem
Maracaná-Stadion naehert, desto hektischer und brutaler werden diese
Aktionen. Zuletzt traf es die Gebaeude und das Gelaende des in
unmittelbarer Nachbarschaft liegenden ehemaligen Indigenen-Museums
Aldeia Marcaná (abgesiedelt 1977), das 2006 von verschiedenen
indigenen Gruppen als "Symbol des kulturellen Widerstands" besetzt
wurde. "Wir sind hier, um daran zu erinnern, dass wir unsere eigene
Kultur haben, die wir von niemandem kopiert haben", sagt Doitrió
Tukano, Fuehrer der Tukano-Indigenen.
Die um das ehemalige Museum entstandene Huettensiedlung soll nun
ebenso wie das Gebaeude aus dem 19. Jahrhundert einem Parkplatz bzw.
einem kommerziellen Sportzentrum weichen. Ende Oktober 2012 erklaerten
die Behoerden, dass das ehemalige Museum abgerissen werden soll, um
die Verkehrswege um das Stadion ausbauen zu koennen. Laut dem
Gouverneur von Rio de Janeiro hat die FIFA den Abriss gefordert - was
diese aber bestreitet. Nach Protesten ruderte die Regierung zurueck
und wollte sich vorgeblich fuer die Erhaltung des Museumsgebaeudes
einsetzen.
Einige Dutzend der Besetzer harrten aus. Mittlerweile erhielten sie
auch Unterstuetzung durch nicht-indigene Protestgruppen. Am 22. Maerz
dieses Jahres stuermten ca. 200 Polizisten einer Sondereinsatztruppe
das Gelaende, wobei vor allem die Unterstuetzer brutal mit
Schockgranaten, Traenengas und Pfefferspray angegriffen wurden.
Seitens der Fuehrer indigener Gruppen und von
Menschenrechtsorganisationen kam scharfer Protest. "Dass zu Gewalt
gegriffen wurde, zeigt die Einstellung der Behoerden gegenueber
Menschen, die Sportgrossereignissen im Weg stehen", sagt Christopher
Gaffney, Professor fuer Urbanistik an der in einer Satellitenstadt
Rios gelegenen staatlichen Universitaet Fluminense. Noch geht der
Protest weiter, die internationale Aufmerksamkeit waechst.
Heile Welt um jeden Preis
Menschenrechte, Demokratie und friedliche Einigung steht nicht auf dem
Programm der Regierung, wenn es um die Selbstdarstellung Brasiliens
und vor allem Rio de Janeiros fuer den Rest der Welt geht. Symbolische
Aussage der zunehmend brutalen Massnahmen: Die fuer die
Grossveranstaltungen angesetzten Megaprojekte sollen um jeden Preis
durchgezogen werden. Schliesslich stehen Milliardeneinnahmen auch
durch weitere Belebung des Tourismus in Aussicht.
Dem aermsten Viertel der Bewohner kommen die aber nicht zugute. Im
Gegenteil, diese Menschen werden noch weiter ins Abseits gestellt und
ihr Lebensmittelpunkt, ihre Heimat vernichtet. Die scheinbar heile
Welt, die wir zu sehen bekommen werden -- sie wird allzu teuer erkauft
sein.
*Peter Gruendler*
Weitere Infos in englisch: http://rioonwatch.org
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