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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 10. April 2013; 02:39
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Recht:
> VfGH haelt Breivik-Weisung fuer zulaessig
Die Meinungsfreiheit liege hier eher beim Unternehmen als beim 
Journalisten, so das Hoechstgericht. Die Konsequenzen des Urteils 
koennten aber weit ueber den Anlassfall hinausgehen.
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Wie bekannt, hatte Robert Ziegler, stellvertretender Chefredakteur des 
ORF NOe, im Juli 2011 nach den Anschlaegen von Anders Breivik in einer 
Email an seine Untergebenen gebeten, man solle nach dem Auftauchen des 
Begriffes "christlicher Fundamentalist" in Agenturmeldungen diesen 
nicht verwenden, sondern "bei der Formulierung besonders sensibel 
vorgehen, diesen aeusserst unchristlich agierenden Mann eventuell als 
'religioesen Fanatiker' bezeichnen oder [sich] vor allem auf die 
ueberwiegend verwendete Einordnung als 'Rechtsextremisten' 
beschraenken".
Dieses Email wurde weitgehend als Weisung verstanden. Die Initiative 
"Religion ist Privatsache" brachte daraufhin eine Beschwerde bei der 
Aufsichtsbehoerde KommAustria ein. Diese gab der Beschwerde recht: Es 
laege "eine inhaltliche Einflussnahme vor, die darauf gerichtet ist, 
den Informationsgehalt einer Nachricht zu veraendern", Ziegler habe 
versucht, "eine religioese Einordnung durch eine politische zu 
ersetzen, was im Widerspruch zu einer konstruktiven, kritischen 
Auseinandersetzung steht" und die Weisung waere "eine 'verpoente 
Intervention' -- was dem Wortlaut ensprechend nichts anderes bedeutet 
als ein nach dem Gesetz unzulaessiger Eingriff". Soweit die 
KommAustria, der Bundeskommunikationssenat bestaetigte als zweite 
Instanz das Urteil.
Das Hoechstgericht hingegen sieht das ganz anders: ORF-Organe duerften 
gegenueber Journalisten "auf Bewertungen Einfluss nehmen, die -- zumal 
bei unsicherer Tatsachenlage -- eine Berichterstattung zur Folge haben 
koennten, die in Konflikt mit den gesetzlichen Vorgaben geraten 
koennte." Verletzt wuerde das Gesetz lediglich, wenn sie "Tatsachen zu 
unterdruecken" suchten.
Der VfGH geht aber in dieser Angelegenheit nicht auf die Frage ein, 
inwiefern tatsaechlich zu diesem Zeitpunkt von einer unsicheren 
Tatsachenlage auszugehen gewesen waere, sondern geht die Sache 
prinzipiell an und kommt zu einem erstaunlichen Schluss: "Ebenso wie 
die Gestaltung von Sendungsinhalten durch einzelne journalistische 
Mitarbeiter faellt auch die Einflussnahme auf den Inhalt der 
Berichterstattung durch leitende programmgestaltende Mitarbeiter in 
den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit des ORF." Die Feststellung des 
Bundeskommunikationssenats, der ORF habe durch Zieglers Email das 
ORF-Gesetz verletzt, bilde einen Eingriff in dessen Rundfunkfreiheit. 
Der Ueberzeugungsschutz der Untergebenen Zieglers, der sowohl im 
Redakteursstatut des ORF als auch im Mediengesetz verankert ist, 
haette in diesem konkreten Fall weniger Gewicht als die Rechte des 
Unternehmens.
Kommentar: Ende des Ueberzeugungsschutzes
Dieses Urteil koennte auch weitreichende Konsequenzen fuer andere 
Medienunternehmen haben. Fuer diese gilt zwar nicht dasselbe 
Objektivitaetsgebot wie fuer den ORF, sondern es kann eine konkrete 
politische Linie vorgegeben werden -- dennoch gilt auch dort der 
Ueberzeugungsschutz: "Jeder Medienmitarbeiter hat das Recht, seine 
Mitarbeit an der inhaltlichen Gestaltung von Beitraegen oder 
Darbietungen, die seiner Ueberzeugung in grundsaetzlichen Fragen oder 
den Grundsaetzen des journalistischen Berufes widersprechen, zu 
verweigern, es sei denn, dass seine Ueberzeugung der ... 
veroeffentlichten grundlegenden Richtung des Mediums widerspricht. ... 
Aus einer gerechtfertigten Weigerung darf dem Medienmitarbeiter kein 
Nachteil erwachsen" (§2 MedienG). Dieses Verweigerungsrecht ist zwar 
negativ formuliert, kann aber auch positiv als Recht auf eine eigene 
Meinung ausgelegt werden. Zwar ist das Medienunternehmen nicht 
verpflichtet, einen ungeliebten Beitrag auch zu veroeffentlichen, 
allerdings wird in der Praxis oft genug eine Veroeffentlichung nicht 
vermeidbar sein, da eine Berichterstattung zu einem bestimmten Thema 
momentan geboten und nicht aufschiebbar erscheint.
Wenn nun aber beim ORF die Meinungsfreiheit des Unternehmens hoeher 
gewertet wird als die Freiheit des Beitragsgestalters, wird -- trotz 
der besonderen rechtlichen Situation des ORF -- auch in anderen 
Medienunternehmen in Hinkunft ein Recht postuliert werden koennen, 
Mitarbeiter sehr wohl in ihrer Beitragsgestaltung in einer Weise 
"anzuleiten", wie dies eigentlich durch das Mediengesetz unterbunden 
werden sollte.
Es ist zwar medienpolitisch sicher sinnvoll, eine Abwaegung der Rechte 
des Medieninhabers und dessen Beschaeftigten vorzunehmen, bei der auch 
darauf zu achten ist, dass die grundlegende Richtung eines Mediums und 
damit auch sein Ruf ungefaehrdet bleiben. Allerdings ist gerade heute 
in einer Krise der professionellen Medien die Beschaeftigung in einem 
Medium oft genug aeusserst prekaer -- in der Praxis kann sich kaum ein 
Mitarbeiter mit schwachem Stand im Unternehmen einer solchen 
inhaltlichen Anleitung entziehen. Und die Schere im Kopf ist 
mittlerweile sowieso schon aeusserst wirkmaechtig. In dieser Situation 
ist der Entscheid des VfGH, die Rechte der Beitragsgestalter weiter zu 
schwaechen, medienpolitisch eher nicht so gut. Mit anderen Worten: 
Jetzt kann man den Ueberzeugungsschutz bei grossen Medienunternehmen 
endgueltig vergessen.
*Bernhard Redl*
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