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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 10. April 2013; 02:44
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EU/Kapitalismus/Medien:
> Draghis Graphiken - die "dirty tricks" der Konservativen
Oder: Wie Europaeische Zentralbank, konservative PolitikerInnen und 
Medien versuchen, mit irrefuehrenden Grafiken Druck auf Loehne zu 
machen.
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EU-weit soll Druck auf Loehne gemacht werden. Es geht wieder einmal 
darum, die "Wettbewerbsfaehigkeit" der EU-Staaten zu erhoehen. 
Einigermassen anstaendige Loehne, Arbeitsbedingungen und 
Beschaeftigungsverhaeltnisse stehen diesem Ansinnen im Weg. Wie lautet 
nicht das konservative, neoliberale Mantra? "Wir haben ueber unsere 
Verhaeltnisse gelebt", es brauche "harte Einschnitte", es muesse 
"Verzicht" geuebt, der "Guertel enger geschnallt" werden, es brauche 
"Strukturreformen" - also Abbau von ArbeitnehmerInnenrechte, 
Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Liberalisierung der 
Arbeitsmaerkte, niedrigere Loehne. Im Juni soll auf Europaeischer 
Ebene der "Pakt fuer Wettbewerbsfaehigkeit" beschlossen werden - der 
Druck auf Loehne und Arbeitsbedingungen quasi "institutionalisiert" 
werden. Wie allerdings eine Massnahme durchsetzen, die ausgesprochen 
unpopulaer ist und wohl nicht ohne Widerstand durchzusetzen sein wird? 
Wie also das "Feld" aufbereiten, um moegliche Proteste moeglichst 
klein zu halten?
Im Rahmen des Europaeischen Rates referierte EZB-Chef Mario Draghi 
ueber die oekonomische Lage in der EU. Draghi sollte die 
tatsaechlichen Krisenursachen und notwendige Massnahmen zur 
Bewaeltigung derselben vorstellen. Er praesentierte zwei Grafiken, die 
seine Kernthese bekraeftigen sollte: Jene Laender, welche 
Leistungsbilanzueberschuesse aufweisen - also etwa Oesterreich, 
Belgien, Luxemburg, die Niederlande und vor allem Deutschland - 
wuerden eine hoehere Produktivitaet aufweisen als jene, welche 
Defizite "produzieren" - also etwa Frankreich, Griechenland, Portugal, 
Italien und Spanien. In diesen Laendern wuerden die Loehne deutlich 
staerker steigen als die Produktivitaetszuwaechse, was diese 
schlichtweg weniger "wettbewerbsfaehig" mache. Lohnzurueckhaltung sei 
daher ein Gebot der Stunde und wuerde zu Erfolg fuehren, "masslose" 
Gewerkschaften sowie starre Arbeitsmaerkte (z.B. ein 
Kuendigungsschutz) seien dagegen verantwortlich fuer den Niedergang. 
Die beiden Grafiken sowie einzelne Laenderbeispiele wuerden das 
veranschaulichen. Prompt uebernahm die Frankfurter Allgemeine Zeitung 
in einem Beitrag diese Darstellung, sprach von einer "gespaltenen 
Waehrungsunion"
In Oesterreich tauchten dieselben EZB-Grafiken ebenfalls auf: es war 
der ehemalige Bundeskanzler Schuessel der im Rahmen der ORF-Sendung 
"Im Zentrum" am 23. Maerz 2013 diese zur Untermauerung seiner 
Argumente, wonach es "harte" Massnahmen zur Bewaeltigung der Krise 
brauche, darunter eben auch eine restriktive Lohnpolitik, dieselben 
hervor zauberte und seinen MitdiskutantInnen vorlegte. Es brauche 
"schmerzhafte Kuren", eine Deregulierung der Arbeitsmaerkte um Jungen 
eine "Chance" zu bieten etc.
Aufmerksame BeobachterInnen, fragten sich allerdings, ob diese 
Grafiken denn tatsaechlich die Realitaeten widerspiegeln wuerden. 
Interessanterweise wiesen dieselben naemlich selbst fuer Oesterreich 
und Deutschland eine Lohnentwicklung ueber der 
Produktivitaetsentwicklung auf. Tatsaechlich setzte es allerdings in 
Oesterreich seit 1997 bestenfalls stagnierende Realloehne. War 
Deutschland fuer seine Politik der Lohnzurueckhaltung und seinen 
expandierenden Niedriglohnsektor geradezu beruehmt-beruechtigt. 
Konnten diese Grafiken also stimmen?
Bewusste Taeuschung?
Diese Frage stellte sich auch Andrew Watt, Oekonom des IMK, des 
deutschen Instituts fuer Makrooekonomie und Konjunkturforschung der 
Hans-Boeckler-Stiftung und laengjaehriger wissenschaftlicher 
Mitarbeiter des europaeischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI). Und siehe 
da: was er herausfand ist geradezu ungeheuerlich.
Waehrend die Grafiken naemlich tatsaechlich das reale - also 
inflationsbereinigte - Produktivitaetswachstum abbilden, stellt die 
Lohnkurve die "nominalen" - also nicht inflationsbereinigten - 
Lohnzuwaechse dar! Waehrend also bei der Produktivitaet die Inflation 
beruecksichtigt wird, ist das bei den Loehnen nicht der Fall. Daraus 
muss sich logischerweise ein enormer Abstand ergeben! Es wird 
schlichtweg verglichen, was nicht verglichen werden kann!
Wird von einer durchschnittlichen jaehrlichen Inflationsrate von 1,9 % 
ausgegangen und diese ueber 12 Jahre hinweg, ergibt sich so eine 
Luecke zur "realen" Lohnentwicklung von rund 28 %. Wird diese Luecke 
bereinigt, so zeigt sich fuer die angeblich hinsichtlich ihrer 
Lohnentwicklung so ueberbordernden "Defizitstaaten" eine ganz andere 
Entwicklung: tatsaechlich entwickeln sich die "Realloehne" ziemlich 
gleich mit der "realen" Produktivitaet. Von einem geradezu 
dramatischen Ueberschiessen kann jedenfalls nicht die Rede sein! Fuer 
Frankreich wuerde das etwa bedeuten, dass sich die 
Lohn-Produktivitaets-Luecke von "nominal" betrachteten dramatischen 32 
% auf beinahe vernachlaessigbare "reale" 4% minimiert!
Allerdings zeigt der Vergleich "realer" Werte die massiv hinter der 
Produktivitaet zurueckbleibende Lohnentwicklung in 
"Ueberschuss"-Staaten wie Oesterreich oder Deutschland auf! Was fuer 
Oesterreich etwa der Einkommensbericht des Rechnungshofs abbildet 
(Reallohnverluste bei den ArbeiterInnen, stagnierende Realloehne bei 
den Angestellten), fuer Deutschland einen Niedriglohnsektor darstellt, 
der ueber 20 % aller unselbstaendig Beschaeftigten umfasst! Diese 
"Niedriglohnpolitik" und Politik der Lohnzurueckhaltung war es 
allerdings, welche die Nachbarlaender mit ihren Wirtschaften geradezu 
in Grund und Boden "konkurrierte", ihnen also die 
"Wettbewerbsfaehigkeit" nahm. Gerade diese ruecksichtslose 
Wettbewerbspolitik, die hier enorme Ueberschuesse, dort massive 
Defizite produzierte war entscheidend fuer das Entstehen der 
Wirtschaftskrise mitverantwortlich! Ein Medaille hat eben immer zwei 
Seiten...
Irrtum, oekonomische Schlampigkeit oder bewusste Irrefuehrung seitens 
der EZB- bzw. EU-OekonomInnen? Es ist Letzteres anzunehmen. Es geht 
Konservativen und Neoliberalen darum, das Feld fuer massive 
Lohnkuerzungen und Arbeitsrechtsabbau aufzubereiten. Dabei scheint so 
ziemlich jedes Mittel recht zu sein, selbst die schmutzigsten Tricks, 
fuer "NormalbuergerInnen" kaum durchschaubar. Auch die hemmungslose 
Instrumentalisierung von "Wissenschaft", die sich zu derartigem ganz 
offensichtlich auch missbrauchen laesst. Wie gut, dass es noch Leute 
wie Andrew Watt und Institute wie das IMK gibt ...
(Markus Koza am Alternative-Blog)
Quelle und Faksimile der Graphiken: 
http://diealternative.org/verteilungsgerechtigkeit/2013/03/lohne-und-wettbewerbsfahigkeit-die-dirty-tricks-der-konservativen/
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