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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 12. Februar 2013; 20:16
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Fremd in EU/Geschichte:
> Die Bewegung der Sans Papiers
Nicht zum ersten Mal ist die Besetzung einer Kirche ein 
Kristallationspunkt fuer eine Bewegung von ImmigrantInnen oder 
Fluechtlingen. *Hannah Krumschnabel* erinnert an die seit Jahrzehnten 
andauernden Kaempfe der Sans Papiers in Frankreich. (Abgekupfert von 
der "Linkswende ").
1972: Von Abschiebung bedrohte Tunesier treten in Hungerstreik und 
besetzen eine Kirche in der franzoesischen Industriestadt 
Valence, »illegale« Immigranten in ganz Frankreich tun es ihnen nach, 
bald folgen auch Streiks an ihren Arbeitsplaetzen. Fuer einige kann 
mithilfe der Gewerkschaft eine Legalisierung ausgehandelt werden, was 
Hungerstreiks in 20 weiteren franzoesischen Staedten ausloest. Seit 
1968 haben Einwanderinnen und Einwanderer fuer ein Aufenthaltsrecht 
und faire Loehne gekaempft, nun verbinden sie sich mit 
Betriebsrats-Organisationen. Es ist die Geburtsstunde der Bewegung 
der »Sans Papiers« (Ohne Papiere).
Hier bleibe ich!
Ihr Widerstand richtete sich zunaechst vor allem gegen 
die »Marcellin-Fontanet-Erlaesse«, die ein Aufenthaltsrecht von einem 
langfristigen Arbeitsplatz abhaengig machten und der Polizei die 
Kontrolle ueber alle Aufenthaltsfragen ueberliessen. Die anfangs eher 
unorganisiert ueber das Land verstreuten Sans Papiers bildeten schnell 
gemeinsame Strukturen aus und beschlossen auf einer ersten 
Vollversammlung 1973, sich nicht weiter auf Hungerstreiks zu 
beschraenken und kaempferische Aktionen zu wagen. Als strategischen 
Pluspunkt im Vergleich zu den heute in der Votivkirche protestierenden 
Fluechtlingen hatten sie vielfach Jobs in grossen Industriebetrieben 
und konnten Streiks als Kampfmittel einsetzen. Der groesste Streik der 
Sans Papiers fand in der Papierrecycling-Fabrik von Nanterre statt, 
dauerte sieben Monate an und erreichte Lohnerhoehungen und 
Aufenthaltstitel. Doch nach den grossen Erfolgen schlug die Regierung 
umso haerter zurueck: In der zweiten Haelfte der 1970er und in den 
1980er Jahren folgte ein restriktives Gesetz auf das andere und 
Rassismus gegen Einwanderer wurde salonfaehig. Die Bewegung der Sans 
Papiers konnte sich davon lange nicht wirklich erholen. Doch auch 
waehrend dieser leisen Phase gab es durchaus Erfolge, etwa als Ende 
der 80er Massen unter dem Slogan »Hier bin ich, hier bleibe ich, hier 
waehle ich!« demonstrierten.
Kirchenbesetzungen
Erst 1996 meldeten sich die Sans Papiers mit einem Paukenschlag 
zurueck: Eine spontane Besetzung der Kirche Saint Ambroise in Paris 
zwang die franzoesische Linke und die Gewerkschaften, sich endlich 
klar zu dem Thema zu positionieren. Die Sans Papiers selbst hatten 
keine gemeinsamen Strukturen mehr und doch konnten sie innerhalb 
kuerzester Zeit massenhaft Unterstuetzung in ihrem Umfeld 
mobilisieren. Die Besetzerinnen und Besetzer der Kirche waren zudem 
gut organisiert und stellten klare Forderungen nach Legalisierung. 
Eine Raeumung nach vier Tagen und ein Grossschlag der Polizei brachten 
gewaltiges mediales Interesse und die Gewerkschaften aeusserten 
eine -- wenn auch problematisch formulierte --  
Solidaritaetserklaerung.
Als Reaktion auf die Repression der Regierung folgte im Juni mit der 
Besetzung der Kirche Saint Bernard eine Ausweitung der Kampfes: Wieder 
waren zehn Sans Papiers in Hungerstreik, doch zusaetzlich wurde unter 
Schirmherrschaft von Gewerkschaftsfunktionaeren demonstriert, 
Geistliche und Unterstuetzer verhinderten monatelang die Raeumung der 
Kirche. Die Sans Papiers organisierten sich in Plena und legten Wert 
darauf, unabhaengig zu bleiben, obwohl immer wieder NGOs oder 
Pernsonenkommitees aus Prominenten als »Mediateure« fuer sie zu 
sprechen versuchten. Am Ende bekamen 150 der Sans Papiers eine 
Aufenthaltsgenehmigung, 50 wurden abgeschoben und zahllose Weitere 
warten zum Teil bis heute auf einen Bescheid. Ihre Anliegen blieben 
noch weit nach diesem Aufschwung der Bewegung in der Gesellschaft 
praesent.
Gewerkschaftliche Kaempfe
Das zeigt sich insbesondere seit 2008. Gegen ein Gesetz, das 
Arbeitgeber zur Meldung »illegaler« Arbeitskraefte zwingen sollte, 
streikten 2008 mit Unterstuetzung der Gewerkschaft CGT neun Koechinnen 
und Koeche. Sie erreichten damit eine Legalisierung und inspirierten 
aehnliche Kaempfe. Im April streikten 1500 Sans Papiers in 25 Firmen 
koordiniert, weitere 2000 nahmen an den Protesten teil, etwa 80% von 
ihnen erhielten im Anschluss tatsaechlich eine Aufenthaltsgenehmigung.
2009 versuchte CGT diesen Erfolg zum Anlass zu nehmen, mit 
organisierten Besetzungen (etwa von Arbeitsaemtern) und Streiks die 
zustaendigen Praefekturen zu Legalisierungswellen zu bewegen. 
Tausende »Illegale« und elf Gewerkschaften und Organisationen nahmen 
daran teil. Das machte die Bewegung breiter und fuehrte im Maerz 2010 
sogar zu einem Generalstreik der MigrantInnen und Migranten nach dem 
Vorbild von Kalifornien 2006. Obwohl Sans Papiers und Gewerkschaften 
weiterhin in einem schwierigen Verhaeltnis zueinander stehen, haben 
diese Kaempfe eine wichtige neue Phase der Bewegung eingeleitet. Bis 
heute sind Aufenthaltsrecht, Arbeitserlaubnis und faire Bezahlung dank 
der Hartnaeckigkeit der Immigrantinnen und Immigranten ein staendig 
umkaempftes Terrain. Derzeit kaempfen 38 Sans Papiers in Lille nach 
73-taegigem Hungerstreik um Legalisierung.
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Quelle: 
http://www.linkswende.org/6257/Vergessene-Geschichte-35-Die-Bewegung-der-Sans-Papiers
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