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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 6. Februar 2013; 08:17
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Vorratsdatenspeicherung/Recht/Kommentar:

> Notnagel Grundrechtscharta

Auf einmal sind sie alle dagegen -- in unterschiedlichem Ausmass zwar,
aber die Wortmeldung saemtlicher Fraktionen letzten Donnerstag im
Plenum des Nationalrats waren alle gegen die Implementierung der
Vorratsdatenspeicherung in das oesterreichische Recht. Schwarzorange
hatte 2006 der VDS-Richtlinie in Bruessel zugestimmt, unter Rotschwarz
wurde -- nach einem Urteil des EuGH -- die Ratifizierung beschlossen.
Die Sozialdemokratie war auch schon damals nicht gluecklich
darueber -- aber es drohten Strafzahlungen im Euromillionen-Bereich.
Und deswegen gibt es auch keine Mehrheit fuer die Abschaffung der VDS.

Wie glaubwuerdig gerade von Seiten der Regierungsfraktionen diese
Ablehnung ist, bleibt aber sowieso fraglich. Immerhin tagte zumindest
noch im Dezember eine Arbeitsgruppe im Justizministerium, die die
Ausweitung der Nutzungsmoeglichkeit der VDS auf die Verfolgung von
Urheberrechtsverletzungen diskutierte (akin 27/2012).

Doch jetzt ist ploetzlich wieder das europaeische Gericht am Zug. Denn
der oesterreichische Verfassungsgerichtshof hat nun drei Antraege
vorliegen (unter anderem jenen von 11.000 Privatpersonen), die die
Konformitaet der VDS mit der oesterreichischen Verfassung aber auch
der vielgeruehmten EU-Grundrechtscharta bezweifeln; denn diese Charta
war als Teil des Lissabon-Vertrages beim Beschluss der Richtlinie und
auch bei den bisherigen Urteilen des EuGH noch nicht in Kraft. Also
legte der VfGH nun der europaeischen Instanz diese Frage zu einer
Vorabentscheidung vor. Ebenso liegt nun auch eine Beschwerde der
oesterreichischen Datenschutzkommission beim EuGH -- ebenfalls mit
Bezug auf die Grundrechtscharta. Hier geht es darum, dass ein
Telekom-Unternehmen sich geweigert hatte, einem Betroffenen Auskunft
ueber jene Daten zu geben, die im Zuge der VDS ueber ihn gesammelt
worden waren -- mit der Begruendung, hierbei handle es sich um "Daten
der Strafrechtspflege".

Nun sind die Formulierungen der Grundrechtscharta zwar recht rigoros,
was den Schutz der Staatsbuerger- und Menschenrechte angeht,
bezueglich ihres Gueltigkeitsbereichs aber ziemlich waessrig. Auch
wurden sie nicht von allen EU-Staaten ohne Vorbehalt unterzeichnet.
Was diese Charta also wirklich wert ist, wird sich wohl erstmals
anhand der Vorratsdatenspeicherung weisen.

Man hofft also jetzt im oesterreichischen Nationalrat auf den EuGH.
Aber ein wenig schofel ist das schon. Denn immerhin gibt es in
Oesterreich ja schliesslich auch noch ein eigenes Verfassungsrecht.
Die Arge Daten wies juengst in einer Aussendung hin, dass zumindest
die Bestimmungen ueber das Auskunftsrecht im Datenschutzgesetz im
Verfassungsrang stehen ebenso wie in der von Oesterreich ratifizierten
Datenschutzkonvention des Europarats. Ist das jetzt alles egal --
zaehlt nur mehr der EuGH? Was macht der VfGH, wenn der EuGH
abschlaegig bescheidet?

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat 2010 die VDS mit dem
dortigen Grundgesetz als unvereinbar erklaert und die Ratifizierung
aufgehoben. Nun droht der deutschen Regierung nach einer Klage der
EU-Kommission ebenfalls eine enorme Geldbusse.

Hier stellt sich also eine Frage, die weit ueber den Bereich der
Eingriffe in die Privatsphaere hinausgeht: Ist eine EU-Richtlinie
ausreichend, um nationales Verfassungsrecht so einfach auszuhebeln --
selbst wenn es sich um Grundrechte handelt?

Es ist eine politische Schande, dass man jetzt in dieser Frage auf die
Hoechstgerichte hoffen muss -- denn auf die gesetz- und
verfassungsgebenden Versammlungen in den nationalen Parlamenten
Europas kann man nicht bauen. Wenn sie nicht sowieso mehrheitlich fuer
die totale Ueberwachung sind, fuerchten sie sich vor Klagen der
EU-Kommission.

So wird man aber sicher nicht viel Sympathie fuer das "Gemeinsame Haus
Europa" gewinnen koennen.
*Bernhard Redl*



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