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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23. Jaenner 2013; 03:32
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International:

> Mali, ein neues Afghanistan?

*Werner Ruf* und *Peter Strutynski* kritisieren fuer die deutschen
Institutionen "AG Friedensforschung" und "Bundesausschuss
Friedensratschlag" die europaeische Mali-Politik
*

Da hat Frankreich gerade seine Truppen aus Afghanistan
zurueckgezogen - und beginnt nun in Mali einen Krieg zur "Bekaempfung
des Terrorismus", dessen Begruendung fast woertlich jener gleicht, die
die USA und die NATO fuer ihren verlorenen Krieg in Afghanistan
verbreitet hatten. Seit bald zwanzig Jahren ist die Sahel-Zone ein
Unruhegebiet als Folge der (klima-bedingten) Duerrekatstrophe, die die
Viehherden der Nomadenvoelker vernichtet hat. Besonders betroffen
davon sind die Tuareg-Staemme, die nie einen eigenen Staat erhielten,
sondern aufgrund willkuerlicher Grenzziehung durch den franzoesischen
Kolonialismus auf die Staaten Algerien, Libyen, Niger, Mali und
Burkina Faso verteilt leben. Ihre Aufstaende wurden in den letzten
zwanzig Jahren immer heftiger.

Die nun beschworenen "islamistischen Terroristen" kontrollieren seit
mehr als zehn Jahren den Rauschgiftschmuggel, der von Kolumbien ueber
Westafrika und die Sahara nach Europa fliesst. Sie alimentieren sich
durch Kontrolle und Erpressung der Migranten, die von Schwarzafrika
ans Mittelmeer streben und aus vielfaeltigen Entfuehrungen von
Technikern vor allem des franzoesischen Atomkonzerns Areva und von
diversen Geheimdienst-Agenten, die in der Region aktiv sind. Die
bekannteste Gruppe, die sich jetzt Al Kaida im Islamischen Maghreb
nennt, wurde erstmals bekannt als GSPC (Groupe Salafiste de
Prédication et du Combat), die 2003 fuer 32 entfuehrte europaeische
Touristen 15 Mio. Loesegeld kassierte. Sie wurde schon damals an der
langen Leine des algerischen Geheimdienstes gefuehrt - das duerfte bis
heute gelten. Es war diese Gruppe, die von den USA zum Anlass genommen
worden war, um 2007 ein Regionalkommando fuer Afrika (African Command,
kurz: Africom) aufzustellen, dessen Hauptaufgabe die Bekaempfung des
(islamischen) Terrorismus in Afrika sein sollte.

In Mali raecht sich nun der vor allem von Frankreich voran getriebene
Krieg in Libyen mit dem Ziel des Sturzes von Mu'ammar Qaddhafi: Der
Sahel ist ueberschwemmt mit teils hoch modernen Waffen, die nach der
Zerstoerung der Staatlichkeit Libyens in die Haende zahlreicher Banden
gerieten, darunter auch Tuareg-Staemme, die fuer Qaddhafi gekaempft
hatten. Ihre Rebellion gegen die Zentralregierung in der malischen
Hauptstadt Bamako und die Ausrufung eines "unabhaengigen Staates
Awazad" - eines Staates der Tuareg musste fuer Frankreich wie die
Mehrzahl der Sahel-Staaten eine Bedrohung sein, gefaehrdete sie doch
die kolonial etablierte "Ordnung": Es geht also nicht primaer um Mali,
sondern vor allem um das benachbarte Niger, den drittgroessten
Uranproduzenten der Welt, der de facto beherrscht wird vom
weltgroessten Atomanlagenbauer und Nuklearkonzern Areva, einer
franzoesischen Firma. Auch das Frankreich des sozialistischen
Praesidenten Hollande erweist sich so als Schuetzer der Interessen
jener Konzerne, die auch 50 Jahre nach der formalen Unabhaengigkeit
die ehemaligen Kolonien fest im Griff haben.

Die Existenz moderner Waffen in der Region verdankt sich aber auch der
aggressiven Politik des Golfemirats Katar, das schon in der Fruehphase
des arabischen Fruehlings islamistische Rebellen in Libyen grosszuegig
mit Waffen belieferte - mit Wissen und in Abstimmung mit den USA,
Frankreich und Grossbritannien. In einer Studie der Stiftung
Wissenschaft und Politik (SWP, 2/2012) heisst es: "Katar dirigierte
Waffen und Geld in erster Linie an islamistische Rebellen ... In Bengasi
wurden vor allem Milizen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft
beliefert, in den westlichen Bergen die Einheiten des ehemaligen
Jihadisten und spaeteren Militaerkommandeurs von Tripolis, Abdalhakim
Belhaj." Grob gesprochen laesst sich sagen: Waehrend die
Tuareg-Kaempfer mit Waffen aus den Arsenalen Qaddhafis nach Mali
(zurueck) gekommen sind, werden die Kaempfer der islamistischen "Ansar
al-Din" und der "Bewegung fuer Einheit und Djihad" von Katar aus mit
Geld, Waffen und Munition versorgt. Das einzige, woran in Mali kein
Mangel besteht, sind Mordwerkzeuge.

Fuer seine Militaerintervention - mit Mordwerkzeugen aus der Luft,
zunehmend aber auch am Boden - beruft sich Frankreich auf die
Resolution 2071 (2012) des UN-Sicherheitsrats, die in Ziffer 9 die
"Mitgliedsstaaten, regionale und internationale Organisation
einschliesslich der Afrikanischen Union und der Europaeischen Union
dazu aufruft, so schnell wie moeglich koordinierte Hilfe, Expertise,
Ausbildung und Faehigkeiten" der malischen Armee zur Verfuegung zu
stellen, ... "um die Einheit und territoriale Integritaet Malis aufrecht
zu erhalten". Hieraus das Recht auf eine Militaerintervention
herauslesen zu wollen, ist ein politischer Kraftakt. Und in der
juengsten Resolution 2085 vom 20. Dezember findet sich kein ueber die
oben zitierte Formel hinausgehender Beschluss. Im Gegenteil:
Ausdruecklich wird in Ziffer 11 dieser Resolution betont, "dass die
militaerische Planung vor dem Beginn der offensiven Operation weiter
praezisiert werden" muesse. Das ist bisher nicht geschehen. Wohl
deshalb beruft sich Frankreich auf eine (bestellte?) formale Bitte der
nach einem Militaerputsch in Bamako eingesetzten Uebergangsregierung
zur Legitimierung seiner Intervention.

Dieser nun franzoesische "Krieg gegen den Terror" entpuppt sich also
als Krieg zur Wahrung von Interessen. Ihn militaerisch zu gewinnen,
duerfte noch schwieriger sein als in Afghanistan: Der Raum ist
wesentlich groesser als Afghanistan, das Gelaende, den Aufstaendischen
bestens bekannt, noch schwieriger. Geradezu ironisch erscheint die
Zurueckhaltung der USA, die sich mit ihrem eigens dafuer geschaffenen
Instrument, Africom, an diesem Krieg nicht beteiligen. Anders scheint
es in der EU zu sein, in der nicht nur Frankreich erheblichen Einfluss
hat, sondern wo auch unter deutschen "Verteidigungspolitikern" schon
mit den Hufen gescharrt wird, um aus Frankreichs Krieg ein Unternehmen
der EU zu machen - mit dem Ziel, die Rolle des deutschen Militaers
auch weltweit voranzutreiben. Ernst zu nehmen ist die Drohung einer
der Gruppierungen des Sahel, der "Bewegung fuer Einheit und Djhad in
Westafrika", die bereits Terroranschlaege in Frankreich angekuendigt
hat: In der Folge der Kolonisation lebt eine Vielzahl von Menschen aus
dieser Region in Frankreich. Der "Krieg gegen den Terror", der in
Wirklichkeit wirtschaftliche Interessen verfolgt, wird Krieg und
Terror auch nach Frankreich und Europa bringen!

Welche Perspektiven sehen wir?

1. Die ersten Aktionen der franzoesischen Armee zeigen bereits, dass
sich in Mali ein veritabler Luftkrieg mit all seinen
Begleiterscheinungen wie Flaechenbombardements, Zerstoerungen und
zahlreichen zivilen Opfern zu entwickeln beginnt. Es ist reines
Wunschdenken des franzoesischen Praesidenten, dass die
Militaeroffensive binnen einer Woche dazu fuehren koennte, die
avisierten 3.300 Soldaten der ECOWAS-Staaten ins Land zu holen, damit
diese die "Rueckeroberung" des noerdlichen Landesteils (immerhin ein
Gebiet von der Groesse Frankreichs und Spaniens zusammen genommen!)
bewerkstelligen wuerden. Viel eher erwarten wir eine Ausweitung der
Kampftaetigkeiten auch im Sueden Malis.

2. Der "Krieg gegen den Terror", den die USA 2001 in Afghanistan
begannen und 2003 gegen Irak fortsetzten und der 2011 als NATO-Krieg
gegen das Qaddhafi-Regime in Libyen gefuehrt wurde, hat bisher in
keinem Fall zu den gewuenschten Ergebnissen gefuehrt. Afghanistan ist
nach 11 Jahren Krieg ein Desaster, Irak gruendlich destabilisiert und
in Libyen sind Kraefte an die Macht gespuelt worden, die dem
salafistischen Islam naeher stehen als der westlichen Kriegsallianz.
Eine auslaendische Intervention in Mali wird keine anderen Ergebnisse
zeitigen: Im schlimmsten Fall wird nicht nur Mali, sondern werden auch
die angrenzenden Staaten destabilisiert. Der Antiterrorkrieg wird auch
in dieser Region zu einer Schwaechung staatlicher Strukturen bis hin
zu deren Verfall und zur Vervielfachung und Staerkung der
terroristischen Organisationen beitragen.

3. Frankreich wird - selbst wenn kurzfristige militaerische Erfolge
moeglich erscheinen - ueber kurz oder lang in seine historische Rolle
als Kolonialmacht zurueckfallen, die in ihrer Einflusszone die
Kontrolle ueber die wichtigsten Rohstoffquellen und Transportwege
beibehalten oder wieder gewinnen will.

4. Eines der Hauptargumente, die heute von der politischen Klasse
bemueht werden, um ein energisches Eingreifen in Mali zu
rechtfertigen, lautet: Al Kaida und seine Ableger in Nordafrika und
der Sahelzone muessen militaerisch bezwungen werden, damit sie sich
nicht ueber den Mittelmeerraum bis in die Europaeische Union hinein
ausbreiten und hier ihre Terroraktivitaeten entfalten. Doch genau das
wird die Folge des militaerischen Eingreifens sein - nicht nur in
Frankreich, sondern auch in den Staaten, die Frankreich direkt oder
indirekt unterstuetzen.

Welche Alternativen gibt es?

Die Alternativen zu diesen Horrorszenarien liegen demnach auf der
Hand: Alles andere ist aussichtsreicher als die begonnene
Militaerintervention.

Dazu gehoeren ernsthafte Versuche, die verfeindeten Parteien zu
Gespraechen zu bewegen.

Dazu gehoeren Ueberlegungen, wie ein Interessenausgleich zwischen den
verschiedenen Landesteilen und ihren Bewohnern aussehen koennte.

Dazu gehoert schliesslich die Anerkennung des Prinzips des
Gewaltverbots in den internationalen Beziehungen. Die Regierungen des
Westens sollten sich bei jedem innerstaatlichen Gewaltkonflikt mehr
und bessere Gedanken machen, als gleich nach dem Militaer zu rufen.

Sache der Malier ist es, in einem Dialogprozess nach politischen
Loesungen der Staats- und Gesellschaftskrise zu suchen.
(gek.)

Volltext:
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Mali/agf-baf-stellung.html

*

> Zitate

"Der Einsatz Frankreichs in Mali ist notwendig, er ist richtig und er
ist auch vom Voelkerrecht gedeckt. Wir Europaeer haben ein gemeinsames
Interesse daran, dass Mali nicht zu einem Rueckzugsort und zu einer
Hochburg des Terrorismus gewissermassen unmittelbar vor unserer
europaeischen Haustuer wird."
Deutschlands Aussenminister Guido Westerwelle und die Geographie

"Die Sehnsucht junger Leute nach der grossen, weiten Welt wird heute
anders bedient. Ich wuerde mir wuenschen, dass es mehr Interesse fuer
das Unbekannte gibt als Sehnsucht nach dem ,Hotel Mama'."
Deutschlands Verteidigungsminister Thomas de Maizière ueber den
angeblichen Unwillen deutscher Soldaten in fremden Laendern Krieg zu
fuehren.

"Es ist eine Ironie, dass Frankreich und die USA fordern, diese
Extremistengruppen zu bekaempfen, waehrend sie weiterhin Geld, Waffen,
verdeckte militaerische Unterstuetzung und diplomatische Anerkennung
fuer deren Brueder in Syrien und indirekt fuer deren Verbuendete in
Afrika sicherstellen."
Nader Entessar, Professor an der University of South Alabama, ueber
die Mali-Politik der "Internationalen Gemeinschaft" in der
englischsprachigen iranischen "Tehran Times".




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